Geburtstag:Der Besucher

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Der Kunsthistoriker Neil MacGregor wird 70 Jahre alt. Anfangs waren alle erleichtert, dass er Gründungsintendant des Humboldt-Forums wurde. Nun gibt es ein paar Fragen.

Von Jens Bisky

Obwohl er die Hände in den Hosentaschen und das Jackett irgendwo abgelegt hat, wirkt er hoch konzentriert. Aufmerksam lauscht er, was der Maler Lucian Freud mit ausgreifenden Handbewegungen erzählt. "Early morning visit from Neil MacGregor" heißt die Fotografie aus der Sammlung der National Portrait Gallery in London. In jenem Jahr, in dem das Foto vom frühmorgendlichen Besuch gemacht wurde, wechselte Neil MacGregor von der National Gallery zum British Museum. Interessant ist der Schnappschuss, weil die Haltung, die der Kunsthistoriker hier einnimmt, dieselbe zu sein scheint, mit der er derzeit in Berlin Sympathien gewinnt: freundlich, klar, geistesgegenwärtig, kritisierend und animierend in einem. So zeigt ihn das Foto, so schildern die Hauptstadtgerüchte den Gründungsintendanten, einen von dreien, des Humboldt-Forums.

Die Frage, wie er sich denn mache, wird unter Museumsfreunden und Schlossbauskeptikern oft gestellt. War man anfangs erleichtert, dass mit MacGregor ein Mann von Format, mit Erfahrung, Erfolg und Ruhm für das ehrgeizige Bundeskulturvorhaben gewonnen werden konnte, gab es Ende des vergangenen Jahres immer mehr Bedenken: Würde er oft genug in Berlin sein, um die verschiedenen Akteure zusammenzubringen? War er nicht schon ausgelastet mit seiner Beratertätigkeit für Mumbai, wo die Weltkulturen auf neue Art präsentiert werden sollen, und seinen Plänen für neue BBC-Projekte? Nun, seit Anfang des Jahres arbeitet die Gründungsintendanz mit einer neuen Entschlossenheit daran, an die Stelle der programmatischen Vagheiten praktische, interessante museumstaugliche Lösungen zu setzen. Neil MacGregor, 1946 in Glasgow geboren, war Dozent, er hat das feine Burlington Magazine herausgegeben und sich in seinen Direktorenjahren seit 1987 zu einem der großen Erzähler der Museumswelt entwickelt. Indem er die Geschichte einzelner Objekte scheinbar nur nacherzählte, ließ er versunkene, fremde und vertraute Kulturen auferstehen. Er machte sie als Räume der Sinnerzeugung verstehbar: in Ausstellungen, in Radiofeatures, in viel gelesenen Büchern wie "Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten" oder "Deutschland. Erinnerungen einer Nation". Seine Werke demonstrieren eine erfrischende Unbefangenheit gegenüber Fächer- und Sprachgrenzen oder Deutungskonventionen.

Der Ruf nach Berlin war für Neil MacGregor mit dem Risiko verbunden, seinen Ruf mit der Arbeit an diesem institutionell und inhaltlich lange ungesicherten Projekt zu gefährden. Er ist das Risiko eingegangen, ohne das für ihn bereitete Podest einer Erlöserfigur zu besteigen. Gut kann man sich ihn bei Morgenbesuchen in den Dahlemer Museen oder auf der Baustelle in Mitte vorstellen. An diesem Donnerstag feiert der Weltbürger und Neuberliner seinen 70. Geburtstag.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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