70.Geburtstag:Big, bigger, Pavarotti

Der italienische Star-Tenor ist ein in der Gesangsgeschichte fast einzigartiges Phänomen. Glanz und Gefährdung dieser Karriere liegen jedoch nahe beieinander: In der Spätphase seiner künstlerischen Laufbahn mutete er sich und uns Interpretationen zu, die er sich und uns hätte besser ersparen sollen.

Jens Malte Fischer

"A night to remember" soll übermorgen in Stuttgart stattfinden, wo Luciano Pavarotti auf seiner "Farewell-Tour" sein letztes Konzert in Deutschland geben wird - doch schon heute feiert er seinen 70. Geburtstag.

Pavarotti dpa

Versteht es, sein Publikum zu bezirzen: Luciano Pavarotti

(Foto: Foto: dpa)

Ob sich die Zuhörer dieses Abends noch lange erinnern werden und an was sie sich erinnern werden, bleibe dahingestellt. Aber die Welt der Musik wird sich in jedem Fall noch lange mit Freude und Respekt an eine der spektakulärsten Tenorkarrieren der letzten Jahrzehnte erinnern.

Sie begann 1961 in Reggio nell'Emilia, wo der Sohn eines höchst stimmtalentierten Bäckers aus Modena seine erste "Bohème" sang und sie bekam ihren entscheidenden Schub, als Dirigent Richard Bonynge einen Tenorpartner für seine Gattin Joan Sutherland suchte, mit der Bonynge gerade jenen Belcanto-Kosmos zu durchmessen begann, den Maria Callas wiederbelebt hatte.

Tenore di grazia

Gesucht wurde damals ein tenore di grazia mit leichter, strahlender und absolut sicherer Höhe, der aber auch der keineswegs zierlichen Primadonna und ihrer koloraturvirtuosen, aber voluminösen Stimme körperlich und stimmlich Paroli bieten konnte.

Pavarottis Stimme war ebenso beweglich wie kräftig, hatte einen metallischen Kern und stieg mühelos in stratosphärische Höhen auf. So kam es zu zehn Gesamtaufnahmen des Trios Sutherland/Pavarotti/Bonynge.

Vokalgeschichte machte die Aufnahme die von Gaetano Donizettis für Paris geschriebener "Fille du Régiment", in der Pavarotti die neun hohen Cs der Arie des Tonio mit einer verblüffend claironhaften Brillanz und Sicherheit produzierte - und dies auch live allerorten wiederholte.

Vergleicht man diese Aufnahme mit denen des heute so erfolgreichen Juan Diego Flórez, dann erkennt man, was Pavarottis Einzigartigkeit ausmachte: Er ist Flórez an Höhenbrillanz und leichter Attacke keineswegs unterlegen, gebietet aber über das Doppelte an vokaler Power, ohne daß sein Singen je kraftmeierisch oder angestrengt wirkt.

Pavarotti ist in der Kombination eines tenore di grazia mit einem Spinto-Tenor ein in der Gesangsgeschichte fast einzigartiges Phänomen und man muss schon in die Zeit um 1900 zu Léon Escalaïs zurückgehen, um Ähnliches vorzufinden.

"Meine Stimme verlangt nach Donizetti, ich aber will Verdi."

In dieser Rarität des Stimmphänomens Pavarotti liegen allerdings Glanz und Gefährdung dieser Karriere nahe beieinander. In einer frühen selbstkritischen Äußerung hat er es einmal so formuliert: "Meine Stimme verlangt nach Donizetti, ich aber will Verdi."

So war es dann auch: Das Ich siegte über die Stimme. Die pure physische Kraft dieses schon in seiner Jugend massiv-athletischen, später ins Unförmige sich ausweitenden Sängers machte die Glorie seiner spektakulären Laufbahn in den sechziger und siebziger Jahren aus. Die Stimme gewann kontinuierlich an Glanz, ohne zunächst an Höhensicherheit zu verlieren.

Als dann aber in den achtziger Jahren die ehrgeizig erstrebten schwereren Partien kamen, da mußte man leider feststellen, daß Pavarotti zwar immer in der Lage war, musikalisch fesselnde, intelligent phrasierte Interpretationen zu erarbeiten, dass aber seine Stimme und sein Umgang damit sich nicht weiterentwickelten.

Die Stimme blieb immer hell und gleißend wie ein italienischer Kleinstadtmarktplatz an einem Augustmittag: makel-, aber auch schattenlos und zu tragischer Abdunklung, zu schicksalhafter Vertiefung, wie sie solche Rollen erfordert hätten, nicht wirklich fähig.

Das ist nicht nur eine Frage der physiologischen Stimmentwicklung, sondern sicher auch eine der Persönlichkeit, des Naturells. Den Menschen aus der Emilia sagt man überrumpelnden Charme und bodenständigen Witz nach - Luciano Pavarotti hatte und hat davon im Überfluss, er umarmt und bezirzt alle und jeden, und wenn ihm vor einem begeisterten Publikum die Tränen kommen, dann kann man sicher sein, dass sie echt sind.

Wenn aber so ein Tenor sich in der Spätphase seiner Karriere auch noch den Verdischen Otello zutraut wie 1991 mit Solti, dann mutet er sich und uns etwas zu, was er sich und uns hätte ersparen sollen.

"O Kohle mio"

So auch die römischen Caracalla-Thermen 1990, die Auftritte der drei Tenöre, die Wiederaufwärmungen dieses Ereignisses für Honorare, mit denen man die Kulturhaushalte mehrerer Kommunen über Jahre hinweg finanzieren könnte. "O Kohle mio" - so lautete der nahe liegende Spott.

Es gab und gibt eine öffentliche Meinung, die es für eine kolossale Leistung hält, wenn drei Herren gesetzteren Alters, das Mikrofon dicht vorm Mund, jeweils rund 15 Minuten und dann noch 15 Minuten gemeinsam etwas singen, was nicht zusammenwachsen will, weil es nicht zusammen gehört.

Auf der Bühne konnte Pavarotti lange Zeit mit seinem tapsigen Charme für sich einnehmen, eine größere Bandbreite von Darstellungskunst hat er nie erreicht. Wohl auch nicht angestrebt: Seine raren Auftritte der letzten Jahre sahen nur noch ein nahezu unbeweglich gewordenes Monument seiner selbst.

Breiten wir über diese letzten Jahre den Mantel der Nächstenliebe in Gestalt seines bettbezuggroßen Taschentuchs, das er bei Konzerten nicht loslassen mag, und erinnern uns, durch so viele fabelhafte Aufnahmen reich beschenkt, an die unwiderstehliche Joie de vivre seines weltumarmenden Singens, an den Glanz und Strahl einer seltenen Tenorbegabung, an die anstrengungslose vokale Bewältigung der schwierigsten Passagen. "Ah mes amis, quel jour de fête", wie Pavarotti es so oft als Tonio in der "Regimentstochter" gesungen hat - a tenor to remember.

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