Gebeine von Cervantes:Großes Puzzlespiel

Search of human remains of Cervantes continues

Archäologen, Forensiker, Anthropologen, Textilexperten, ein Mumienexperte und eine Gesichtsrekonstrukteurin: An der Cervantes-Suche ist ein großes Team beteiligt, das den Fund im Labor untersucht.

(Foto: dpa)
  • Die Bürgermeisterin Madrids verkündet: Die Gebeine des Nationaldichters Miguel de Cervantes seien gefunden. Seit Monaten wird in Spanien nach den sterblichen Überresten des Schöpfers von "Don Quijote" gesucht.
  • Die Forschergruppe hat kein vollständiges Skelett gefunden, sondern nur einzelne Knochen. Nun soll sichergestellt werden, dass es sich auch wirklich um die sterblichen Überreste von Cervantes handelt.
  • Kritiker bemängeln, die Suche laufe nur auf Kommerz hinaus.

Von Thomas Urban, Madrid

Wahrscheinlich hätte der Nationaldichter Miguel de Cervantes (1547-1616) nur Spott und Häme für die große Show übrig, die die Stadt Madrid in seinem Namen veranstaltet, bemerkte die Tageszeitung El País bissig. Als Spektakel mit Multimediavorführungen sowie vielerlei Prominenten- und Expertenauftritten inszeniert wird nämlich seit Monaten die Suche nach den Gebeinen des Schöpfers Don Quijotes, des Ritters von der traurigen Gestalt, und seines treuen lebensklugen Knappen Sancho Panza.

Anlass der Suche: Im kommenden Jahr steht der 400. Todestag des Meisters mit der spitzen Feder an, der einige abenteuerliche Stationen in seinem Leben durchlaufen hat. So war er Söldner auf einem Kriegsschiff, Sklave in Nordafrika, wegen Unterschlagung im Gefängnis und schließlich ein frommer Sohn der Kirche, der nach eigenem Wunsch die letzte Ruhestätte im Kloster der unbeschuhten Trinitarierinnen im Madrider Literatenviertel fand.

Nun wurde auf einer Pressekonferenz mit Honoratioren, Magnifizenzen und Vertretern der Geistlichkeit von der konservativ-katholischen Bürgermeisterin Ana Botella der Erfolg der Mission verkündet: Die Knochen des großen Spötters wurden eben dort gefunden, in der Krypta der Klosterkirche.

Nur noch ein "Minimum" an genetischer Übereinstimmung

Der Leiter der Forschungsgruppe, der baskische Professor für Gerichtsmedizin Francisco Etxeberria, aber bremste erst einmal die Stadtoberen in ihrer Begeisterung: "Höchstwahrscheinlich handelt es sich um seine sterblichen Überreste." Endgültige Gewissheit werde es leider nie geben können.

Zwar sind die Knochen in einem ausreichend guten Zustand, um DNA-Proben vornehmen zu können. Aber es fehlt an Vergleichswerten. Wohl gibt es angebliche Nachkommen von einem Bruder Cervantes'; doch ist einerseits diese Abstammung nicht zweifelsfrei verbürgt, andererseits wäre nach zwölf Generationen nur noch ein "Minimum" an genetischer Übereinstimmung zwischen dem Dichter und den Nachkommen seines Bruders auszumachen.

An dem Projekt sind fünf Archäologen, acht Forensiker, vier Anthropologen, vier Textilexperten, ein Mumienexperte und eine Gesichtsrekonstrukteurin beteiligt. Sie müssen nun ein großes Puzzlespiel lösen, denn in den Sarkophagen der Krypta wurden keine vollständigen Skelette gefunden, sondern eine Ansammlung von Knochen, die nach ersten Erkenntnissen von mehr als einem Dutzend Menschen stammen. Immerhin wies ein schwerer Holzsarg eine wichtige Spur: In seine Kopfseite wurden mit massiven Nägeln die Initialen M. C. eingeschlagen.

Schiefe Wirbelsäule, eine zerschmetterte Hand und ganze sechs übrige Zähne

Auch sind die Wissenschaftler über die körperlichen Merkmale Cervantes' gut im Bilde: In seinen letzten Lebensjahren litt er stark an Arthrose, nach dem Zeugnis von Zeitgenossen hielt er seinen Körper schief, vermutlich war seine Wirbelsäule seitwärts verkrümmt. Bei der Seeschlacht von Lepanto 1571 haben ihm außerdem türkische Bleikugeln die linke Hand sowie eine oder zwei Rippen zerschmettert. Als alter Mann hat Cervantes selbst in einem Brief sarkastisch sein Zahnbild beschrieben: Ihm seien ganze sechs Beißer geblieben, doch stünden sie leider versetzt zueinander, so dass sie zu gar nichts nutze seien.

Wie Cervantes ausgesehen hat und wie sein Schädel nun aussehen müsste, dieser Aufgabe nahmen sich Zeichner und Trickfilmer der Madrider Medien mit großem Elan an. Doch mussten die Wissenschaftler auf ihrer jüngsten Pressekonferenz einräumen, dass bislang keine Knochenreste gefunden worden seien, die die bekannten Merkmale aufweisen. Mit anderen Worten: Man ist nicht wirklich viel schlauer als vorher.

Doch meldeten sich zuletzt immer mehr skeptische Stimmen angesichts dieses Cervantes-Fiebers. Von Störung der Totenruhe ist die Rede, von der Hollywoodisierung eines Großmeisters der spanischen Literatur. Ana Botella, die Bürgermeisterin, sieht sich gar dem Vorwurf ausgesetzt, die Hochkultur in die Niederungen des Kommerz zu ziehen. Cervantes sei kein Museumsstück, schon gar nicht dürfte seine letzte Ruhestätte zur Touristenattraktion werden. Mehrere angesehene Publizisten erklärten: "Man hätte seine sterblichen Überreste nie suchen, geschweige denn antasten dürfen."

Linktipps:

  • Die spanische Tageszeitung El País zeigt hier in einer Grafik, wo man die Gebeine gesucht hat.
  • Auf der Webseite von El Mundo finden Sie hier ein Video (auf Spanisch).
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