Fußball vs. US-Nationalsportarten:Beste Bedingungen für den Zufall

*** BESTPIX *** Netherlands v Costa Rica: Quarter Final - 2014 FIFA World Cup Brazil

Am Ende brauchten die Niederlande im WM-Viertelfinale Torwart Tim Krul und Glück, um sich im Elfmeterschießen gegen Costa Rica durchzusetzen.

(Foto: Getty Images)

Die Amerikaner tragen Wettbewerbe in ihren Nationalsportarten, von Basketball bis Eishockey, so aus, dass der Beste gewinnt. Warum Fußball im Gegensatz dazu kein Sport für die Ideologen des Siegens ist.

Von Jens-Christian Rabe

Vor ein paar Tagen, als die amerikanische Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Brasilien noch im Rennen war, platzte der ultrakonservativen Kommentatorin Ann Coulter der Kragen. Die neue Fußballbegeisterung der US-Amerikaner - nur Brasilianer kauften bislang mehr Tickets für die WM-Stadien - deutete sie in einer ihrer wüsten Kolumnen als untrügliches Zeichen des moralischen Verfalls des Landes. Es gebe in diesem "Sport" schließlich weder echte Helden noch echte Verlierer, nirgends endeten so viele Partien 0:0, und keinem Spieler drohe persönliche Schande oder wenigstens eine ernsthafte Verwundung. Im Gegenteil, so Coulter: "Nach einem Fußballspiel bekommt jeder Spieler eine Schleife und einen Saft." Das war natürlich schon vor dem Wirbelbruch des brasilianischen Superstars Neymar im Viertelfinale ziemlicher Unsinn - aber in seinem ideologischen Kern doch nicht ganz so abwegig, wie es im ersten Moment zu sein schien.

Denn auch wenn man als Europäer oder Nicht-Nordamerikaner natürlich unmöglich zu denselben Schlüssen kommen kann wie Ann Coulter, ist es tatsächlich so, dass sich das Design und der implizite Grundgedanke des Fußballs ganz fundamental von allen vier amerikanischen Nationalsportarten - Basketball, Baseball, Football und Eishockey - unterscheidet.

In diesen Sportarten nämlich ist so gut wie alles darauf ausgerichtet, den unzweifelhaft Besten zu ermitteln - und am Ende auch gewinnen zu lassen. Aus keinem anderen Grund gibt es etwa im Basketball, Baseball und Eishockey Finalserien, die sich nicht in einer einzigen Begegnung erschöpfen, sondern im Modus "Best of 7" gespielt werden. (Im Football ist es etwas anders, der Grundgedanke jedoch, dass auf jeden Fall der Beste gewinnen soll, ist auch hier derselbe.) Gewinner ist, wem es als Erstem gelingt, mindestens vier Spiele für sich zu entscheiden. In einer so langwierigen Auseinandersetzung trennt sich unvermeidlich die Spreu vom Weizen.

In den US-Nationalsportarten soll der Beste gewinnen

Im Fußball ist es ganz anders, und womöglich ist genau das der Grund dafür, warum eben Fußball und nicht eine amerikanische Nationalsportart die Weltsportart schlechthin geworden ist. Das Fußball-Regelwerk ist eindeutig nicht darauf ausgelegt, beste Bedingungen für die Besten zu schaffen, sondern darauf, den vermeintlich Unterlegenen möglichst große Chancen einzuräumen, um das Unmögliche möglich zu machen. Der Zufall wird also ganz absichtlich begünstigt.

Die hohe Wahrscheinlichkeit eines torlosen Unentschiedens, die grundsätzliche Seltenheit von Toren, die Abseitsregel, das riesige Spielfeld und das K.-o.-System (dieselben Teams spielen in Finalrunden höchstens zweimal, oft nur einmal gegeneinander) sind keine Konstruktionsfehler. Denn nur wenn es auch für die bessere Mannschaft noch sehr aufwendig bis unwahrscheinlich ist, ein Tor zu erzielen, bleibt für die unterlegene die Chance, mit einem einzigen gelungenen Abschluss das Spiel doch plötzlich für sich zu entscheiden. Man denke nur an das Viertelfinale zwischen den Niederlanden und Costa Rica, das die Niederlande trotz drückender Überlegenheit erst im Elfmeterschießen gewinnen konnten. Genau so ist dieser Sport gedacht.

Und deshalb sind WM-Pressekonferenzen selten echte Ego-Orgien. Man schubst sich eher gegenseitig die Favoritenrolle vor die Füße. Es kann einfach zu viel Unvorhersehbares passieren. Manchmal sogar erst ganz am Schluss. Und das wiederum ist etwas vollkommen anderes als die Ermöglichung des Strebens nach Happiness, um die es der amerikanischen Verfassung geht. Die Niederlage ist im Fußball eher eine Ermutigung, es wieder zu probieren. Der Sieg hinterlässt das Gefühl, trotz aller Unwägbarkeiten noch mal davongekommen zu sein. Der zivilisatorische Fortschritt, den das bedeutet, ist kaum zu unterschätzen, Frau Coulter. Und jetzt hauen wir die Brasilianer weg.

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