Fundstücke:Utopien auf Vinyl

Fundstücke: Verstaubt und vergessen: der Plattenschatz aus dem Amerikahaus.

Verstaubt und vergessen: der Plattenschatz aus dem Amerikahaus.

(Foto: Amerikahaus)

Plattenkisten im Keller des Amerikahauses haben die Künstlerin Michaela Melián inspiriert, daraus im Rahmen der "Public Art Munich" eine 24-stündige Musikinstallation zu machen

Von Jürgen Moises

Auf dem gemalten Plattencover sieht man einen Schmied im Lederschurz und roten Hemd, der einem als Betrachter fröhlich zuzwinkert. Neben ihm stapeln sich Kisten und Instrumente, im Hintergrund flackert der Kamin, während er selbst mit Schwung auf eine Note einhämmert. "The Man Who Invented Music" heißt die Platte, die neben der titelgebenden Komposition von Don Gillis mit "Portrait of a Frontier Town" noch eine weitere Tondichtung des US-Komponisten und Radioproduzenten enthält. Die Musik darauf hat, wie das Cover, zuweilen etwas comic-haftes, mit Geräuschen wie aus einem Bugs-Bunny-Film. Ansonsten ordnet man sie als amerikanische Programmmusik der Vierzigerjahre für gewöhnlich neben George Gershwin oder Leonard Bernstein ein.

Zusammen mit Bernstein-, Gershwin- und noch vielen anderen Platten hat Michaela Melián "The Man Who Invented Music" im Amerikahaus auch gefunden. Insgesamt 1630 Schallplatten standen dort seit 20 Jahren in verstaubten Kartons im Keller herum. Unbenutzt und nicht katalogisiert. Was das alles ist, musste die im oberbayerischen Berg lebende Künstlerin, Musikerin und preisgekrönte Hörspielautorin erst Schritt für Schritt herausfinden. Das Cover und die Titel der Don-Gillis-Platte haben ihr auf jeden Fall sofort gefallen. Deswegen hat sie ihre 24-stündige Musik-Installation, die sie am Freitag von 20 Uhr an im Rahmen von Public Art Munich (PAM) in der großen Garage der derzeitigen Interimsräume des Amerikahauses präsentiert, auch mit "Music from a Frontier Town" betitelt.

Nur wird sich das Ganze nicht um eine Stadt im amerikanischen Westen drehen, sondern um München in der Zeit des Kalten Krieges, als eine Art "gemütlichen" US-Außenposten im Ost-West-Konflikt. Das ist ein Bild, das sich bei Melián einstellte, als sie nach Relikten aus der Re-Education-Ära im Amerikahaus suchte und dessen Leiterin Meike Zwingenberger sie auf "zig Kisten" im Keller verwies. Auf das Thema "Re-Education" war sie im Gespräch mit Joanna Warsza gekommen, bei einer Führung rund um den Königsplatz, die sie der PAM-Kuratorin vor zwei Jahren gab. Da ging es neben den NS-Bauten auch um das Amerikahaus. Um die kulturelle Bedeutung, die es nach 45 in München hatte. Um seine leicht behäbige, trotzdem elegante Architektur. Oder darum, dass Melián um 1980 zum ersten Mal John Cage dort live erlebt hatte.

Der Sprung zur "Re-Education" war da nicht mehr weit. Denn in deren Zeichen sind die Amerikahäuser in den Fünfzigern schließlich entstanden. Das heißt: Mit ihrem Kultur- und Bildungsprogramm sollten sie die Deutschen entnazifizieren, sie zu Demokraten und bald auch zu Antikommunisten umerziehen. Dafür war die in Washington ansässige United States Information Agency zuständig, die das Amerikahaus von 1953 bis 1997 leitete. Diese betrieb aber keine plumpe Propaganda, sondern holte moderne Schriftsteller, Künstler und Musiker hier her. Und betrieb damit laut Melián eher eine sublime Art der "Cultural Diplomacy", die Amerika als hohe Kulturnation darstellte, oder wenn man so will: als ein besseres, utopisches Europa.

Diese Programmatik spiegelt sich auch in dem Berg aus Platten wider, der interessanterweise keine Elvis- oder andere Pop-Scheiben enthält. Stattdessen gibt es viel Jazz und vor allem amerikanische Klassik. Roots-Musik und Field-Recordings von American Indians sind ebenfalls dabei, sowie zahlreiche Sprachplatten mit Geschichten, Märchen oder Radiomitschnitten, in denen es um wissenschaftliche oder historische Themen geht. All diese Platten kann man am Freitag und Samstag in der Garage selber auflegen. Man kann sich parallel dazu als Loop eine aus acht "Movements" bestehende Klangcollage anhören, die Melián aus Samples von immerhin 70 Platten geschmiedet hat, und sich einen aus sämtlichen Plattencovern bestehenden 24-Stunden-Film ansehen.

Vier der "Movements" kann man außerdem als Platte kaufen. Und alle acht kann man sich komplett als Hörspiel am 13. Mai beim Dok-Fest im Filmmuseum und am 29. Juni auf Bayern 2 im Radio anhören. Zudem wird es an diesem Samstag um 18 Uhr in der Garage ein Künstlergespräch mit Michaela Melián geben, die für diese Aktion auch ein Stück weit die eigenen Grenzen auslotet. Denn abgesehen von ein paar kleinen Nickerchen ab und zu will die 61-Jährige die 24 Stunden komplett durchhalten.

Michaela Melián: Music from a Frontier Town, Freitag, 4. Mai, bis Samstag, 5. Mai, 20 Uhr bis 20 Uhr, Garage der Interimsräume des Amerikahauses, Barer Str. 19 a

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