Fundamentalismus:Keine Frauen, keine Bilder

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Der "Tschador" macht unsichtbar: Murathan Mungan liefert mit seinem gleichnamigen Buch ein Porträt des Nahen Ostens.

Verena Mayer

Der Tschador ist ein Symbol. Für Gottesfurcht und Sittenstrenge oder aber für Unterdrückung und Fundamentalismus, je nachdem, von welcher Seite der Welt aus man ihn betrachtet. Am Tschador entscheidet sich, wo man steht, es gibt nur ein Dafür oder ein Dawider.

Es ist schwierig, unter dem Tschador jemanden zu finden. Das bemerkt auch Mungans Romanfigur Akhbar bei der Suche nach seiner Familie. (Foto: Foto: rtr)

Der türkische Autor Murathan Mungan beschreibt den Tschador in seinem gleichnamigen Roman als das, was er im praktischen Gebrauch ist. Als ein Stück Tuch, das Frauen verhüllt und sie zum Verschwinden bringt. Mit allen Konsequenzen, die das für eine Gesellschaft haben kann und ganz gleichgültig, ob man dieses Tuch nun Tschador, Burka, Hidschab oder Kopftuch nennt.

"Tschador" beginnt als Heimkehrergeschichte. Ein junger Mann namens Akhbar reist nach Jahren im Ausland zurück in die Heimat, um seine Familie wiederzusehen. Doch statt Freunden und Geschwistern, die "sehnsuchtsvoll auf ihn warten in einer Sphäre, in der alle Gefühle frisch und unverfälscht geblieben waren", findet er ein vom Krieg gebeuteltes Land vor.

Die Städte sind kaputt, ihre Bewohner in alle Winde zerstreut, und die Macht hat ein Regime übernommen, das sich "Soldaten des Islam" nennt.

Akhbar beginnt, nach den Spuren seiner Verwandten zu forschen, er fragt auf Märkten und in Kaffeehäusern nach ihnen, er besucht Moscheen und die Häuser ehemaliger Nachbarn. Er erfährt, dass der Bruder sich den Gotteskriegern angeschlossen hat und gefallen ist. Dass seine Mutter und Schwester möglicherweise in ein Dorf geflohen sind, wo sie in archaischen Verhältnissen leben.

Je mehr Akhbar über den Verbleib seiner Familie zusammenträgt, desto deutlicher tritt ihm vor Augen, was alles fehlt. Wohin er auch blickt, er sieht keine Bilder mehr, nur die nackten Wände, von denen sie abgenommen wurden. Denn die Bilder sind verboten, ob Fotos, Heiligendarstellungen oder die Männchen auf Griffelkästen.

Blinde Flecken der Gesellschaft

Und es ist eine Stadt ohne Frauen, durch die Akhbar irrt. Die Frauen wagen sich ohne männliche Begleitung nicht mehr hinaus, und die wenigen, die man noch sieht, stecken in "dunklen Stoffhöhlen". Diese Burkas sind die blinden Flecken der neuen Gesellschaft, sie machen diejenigen unsichtbar, die sie tragen, und lassen die Blicke der anderen ins Leere laufen.

Geschickt verknüpft Murathan Mungan das Unsichtbarwerden der Frauen mit dem von den "Soldaten des Islam" verhängten Bilderverbot. Der leicht glänzende Stoff der Burka bringt nicht nur die Frauen und damit die "Hälfte des Lebens" zum Verschwinden, er vernichtet auch die Phantasie, die sich an der Betrachtung anderer entzündet, und damit auch jede Art von Vorstellungs- und Urteilskraft.

"Vielleicht waren alle Zeichen verschwunden", stellt Akhbar an einer Stelle verbittert fest. Was bleibt, ist die verordnete Eindeutigkeit, Dinge, die früher "hinter hohen Mauern" geschahen, sind jetzt öffentlich: Das Schlachten von Tieren und die Hinrichtungen von Menschen. "Bilder vom Tod sind immer so deutlich, dass sie Missverständnisse ausschließen. Und ein Tod, der jederzeit auftreten kann, ist der größte Trumpf in den Händen der unsichtbaren Macht."

Mungans Sprache trägt dem Bilderverlust auf kunstvolle Weise Rechnung. Murathan Mungan, der 1955 geboren wurde und in der Türkei ähnlich bekannt ist wie Orhan Pamuk, muss die Dinge nicht aussprechen, um deutlich zu werden.

Das Land, in dem er seinen Roman ansiedelt, hat keinen Namen, man kann Iran, Afghanistan oder den Irak darin sehen, aber auch die Situation im Nahen Osten ganz allgemein. Mungan verliert keine überflüssigen Worte, er vertraut der Kraft seiner Bilder, die treffend und genau sind wie Symbole.

Um etwa zu beschreiben, was der Tschador für eine Gesellschaft bedeutet, muss er keine Koran-Verse zitieren und keine feministischen oder islamkritischen Streitschriften bemühen. Er besinnt sich einfach auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, das aus dem Persischen kommt und Zelt heißt.

Und wo Frauen in ein "Stoffzelt mit Sichtgitter" gezwungen werden, sind sie irgendwann auch "nichts weiter als gehende und sich regende Zelte". In einem Halbsatz hat Murathan Mungan fundamentalistisches Gedankengut besser auf den Punkt gebracht als jeder Kopftuchstreit.

Murathan Mungan. Tschador. Roman. Aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Blumenbar Verlag, München 2008. 127 Seiten, 15,90 Euro.

Bekannte Autoren sitzen Rede und Antwort. Auf dem Blauen Sofa während der Frankfurter Buchmesse.

© SZ vom 14.10.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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