Frauenbewegung im Kaiserreich:An der Schaltstelle zum Paradies

Clara Zetkin, 1928

Clara Zetkin ist eine wichtige Figur der frühen Frauenbewegung. Hier schreibt die Mitbegründerin der USPD und KPD ihre Glückwünsche zum Internationalen Frauentag 1928 nieder.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Barbara Beuys schildert den Kampf der Frauen um Gleichberechtigung im Kaiserreich. Ihr Buch ist mit Sympathie für die Sache geschrieben, spart aber auch nicht mit angemessener Kritik. Etwa, wenn es um die "Rassenhygiene" geht, die damals auch viele der neuen Frauen begeisterte.

Von Stephan Speicher

Im Februar/März 1912 findet in Berlin der Internationale Frauenkongress statt, zum zweiten Mal nach 1904. Kaiserin Auguste hat die Schirmherrschaft übernommen und nimmt an der Eröffnungsfeier teil; Tage später besuchte sie die gleichzeitig laufende Ausstellung "Die Frau in Haus und Beruf" - gegen den ursprünglichen Widerstand aus dem Hofmarschallamt wird auch der zweite Teil, der zur berufstätigen Frau, besichtigt.

Auch die Reichsleitung steht nicht abseits: Martha Bethmann Hollweg, die Gattin des Reichskanzlers, lädt achthundert Damen des Kongresses zu einem Abendessen ins Reichskanzlerpalais.

Damit waren die Forderungen der Frauenbewegung selbstverständlich noch nicht erfüllt. Aber es war ein starkes protokollarisches Zeichen gesetzt: Hier artikulieren sich legitime Interessen, ihre Vorkämpferinnen gehören zur Elite der Gesellschaft. Als zwei Jahre später der Erste Weltkrieg ausbrach, standen die Frauenvereine in ihrer gewaltigen Mehrheit hinter der Regierung und unterstützten die Kriegsanstrengungen. In Großbritannien war das ganz ähnlich.

Den gesellschaftlichen Aufstieg der Frauen und ihrer Forderungen hat die Historikerin Barbara Beuys für ein breiteres Publikum beschrieben: "Die neuen Frauen - Revolution im Kaiserreich. 1900 bis 1914". Überraschend ist der freundliche Blick auf die Zeit. Beuys sieht sehr wohl, was bis 1914 noch zur Gleichberechtigung fehlte und was bis heute fehlt. Aber stärker akzentuiert sie die Fortschritte, die Leistungen der Frauen im Beruf wie im politischen Geschäft.

Die zeitliche Einschränkung im Titel ist unverständlich, der Berichtszeitraum beginnt Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Haupttitel aber trifft das Buch und seine Methode sehr genau. Es gibt eine Geschichte der Emanzipation anhand von Lebensgängen engagierter Frauen.

Das sind berühmte wie Clara Zetkin und Else Lasker-Schüler, halb berühmte wie Alice Salomon oder Lily Braun und auch solche, die nur den Fachleuten bekannt sein dürften. Diese Lebensgänge aber werden nicht von Anfang bis Ende erzählt, sondern immer wieder abbrechend. Denn über die biografische Darstellung legt sich eine chronologische Schichtung.

Die Medizin ist ein häufig gewähltes Fach

Zu bestimmten Zeitpunkten wird, eingebettet in ein Bild der politisch-gesellschaftlichen Situation in Deutschland, berichtet, was die einzelnen Frauen nun tun und erleben. Diese Situationsbilder sind allerdings mit einem recht breiten Pinsel gemalt, und die Aufsplitterung der einzelnen Lebensgänge führt zu einigen Wiederholungen. Doch das ist ein kleinerer Einwand. Im Ganzen ist Beuys ein höchst interessanter Blick auf die Frauen des Kaiserreichs gelungen, auf dessen Integrationsqualitäten und die Zweideutigkeiten gesellschaftlichen Fortschritts.

Im Mittelpunkt stehen die Frauen des Bürgertums, die Anspruch auf Bildung, Studium und anspruchsvolle Berufstätigkeit erheben. Über sie geben die Quellen nun einmal mehr Auskünfte als über das Leben von Näherinnen oder Verkäuferinnen.

Aber in der Frage nach dem Zugang zur Universität zeigt sich auch, was die Gesellschaft respektive ihre Obrigkeit Frauen zutraut. Die ersten studierenden Frauen müssen im 19. Jahrhundert noch nach Zürich ausweichen, die Medizin ist ein häufig gewähltes Fach. Wer in Deutschland studieren will, kann es zunächst nur als Gasthörerin tun, das heißt, einzelne Professoren müssen um das Einverständnis gebeten werden, an seinen Veranstaltungen teilnehmen zu dürfen.

Allmählich lockern sich die Regeln. Den Anfang macht Baden, das 1900 die Gleichstellung weiblicher Studenten durchsetzt. Im preußischen Bonn wird 1903 die erste Frau zum Dr. med. promoviert. In seiner Festansprache bezeichnet der Dekan dies als "Wendepunkt", er glaubt, dass Frauen in den ärztlichen Beruf Neues einzubringen imstande seien, "das der Menschheit zum Segen gereichen werde".

Schwache Historiker

So zu denken war nicht selbstverständlich. 1897 war ein Sammelband erschienen "Die akademische Frau. Gutachten hervorragender Universitätsprofessoren, Frauenlehrer und Schriftsteller über die Befähigung der Frauen zum wissenschaftlichen Studium und Beruf".

Das ist ein Buch, mit dem man höchst aufschlussreiche Stunden verbringen kann. Bemerkenswert, in welchen Disziplinen das Frauenstudium begrüßt oder abgelehnt wird. Besonders aufgeschlossen sind Mathematik und evangelische Theologie. Das schönste Argument trägt der Theologe Hermann von Soden vor: Wenn das, was für die erste Aufgabe der Frau (nämlich Kinder und Familie) angesehen werde, so schwach in der Natur begründet sei, dass es durch ein Studium gefährdet werden könne, dann sei es nur eine "doppelte Gewalttätigkeit" gegen die Frau, wollte man sie auf jene Aufgabe beschränken.

Einen besonders trüben Eindruck vermitteln hier die Vertreter der Medizinischen Fakultät, besonders bemerkenswert, weil sie sich viel auf ihr Erfahrungswissen die weibliche Natur betreffend zugutehalten. Schwach auch die Historiker. Von ihnen möchte man ja denken, dass sie imstande seien, die aktuelle Lage der Frau als eine gewordene und also veränderliche anzusehen. Dafür reicht es aber nur bei einem von vieren.

Doch die Selbstbefreiung der Frauen ist nicht aufzuhalten. Selbst im katholischen Milieu mehren sich die Stimmen zugunsten der Emanzipation. Das Familienrecht des 1900 in Kraft getretenen BGB ist dagegen den Frauen wenig günstig, hier hätte die Autorin etwas ausführlicher werden können, vor allem im Vergleich der Rechtstraditionen. Das große Thema Familie und Beruf ist schon vor hundert und mehr Jahren eines, hier sind sich auch die Frauen, die sich für die Rechte ihres Geschlechts engagieren, nicht einig.

Ein anderer Streitpunkt ist die "sexuelle Frage". Der Ratgeber "Die Frau als Hausärztin" von Anna Fischer-Dückelmann, 1901 erschienen, zehn Jahre später schon in 900 000 Exemplaren verbreitet, spricht sich für eine freiere Sexualität aus. Und das tut eine Reihe der emanzipierten Frauen. Clara Zetkin dagegen vom linken Flügel der Sozialdemokratie (später KPD) hört so etwas nicht gern. Sie hält dergleichen für "ethische Schwarmgeisterei".

Deutscher Drang zum Platz an der Sonne

Überhaupt ist das Verhältnis von bürgerlicher und proletarischer Frauenpolitik spannungsreich. Es gibt Solidarisierungs- wie Abgrenzungsversuche, dabei denken große Teile der Arbeiterschaft, Frauen wie Männer, in Familienfragen nicht anders als die Bürger.

Es gehört zu den Vorzügen des Buches von Barbara Beuys, die Frauen in ihrem Kampf um Gleichberechtigung mit Sympathie, aber nicht ohne Kritik darzustellen. Der deutsche Drang zum Platz an der Sonne, Flottenbau, Kulturstolz, dazu neigten Frauen und eben auch emanzipierten Frauen nicht weniger als Männer. Und, noch interessanter: Auch die Rassenhygiene - das, was anderswo Eugenik heißt, Hochzüchtung einer angeblich gesünderen, stärkeren, leistungsfähigeren, glücklicheren Rasse - begeistert viele der neuen Frauen.

Agnes Bluhm plädiert dafür, dass die emanzipierte Frau, die sich durch ihren Kampf als dem Durchschnitt überlegen erwiesen hat, ihre guten Erbanlagen an möglichst viele Kinder weitergibt. Und wenn Karen Horney, die leidenschaftlich für eine befreite Sexualität wirbt, vom Mann "Stolz und Kraft" erwartet und dass er einem "Raubtier" gleiche, so fragt man sich, ob das nicht mehr ist als eine persönliche erotische Obsession.

Richtige Ehen für Heldengeschlechter

Barbara Beuys meint, dass Frauen für das eugenische Denken, die "Fortpflanzungshygiene" so empfänglich waren, weil sie sich damit an der "Schaltstelle zum Paradies" sahen. Ein Zweites dürfte hinzukommen: Unterdrückte neigen dazu, ihre Befreiung mit der Freiheit aller gleichzusetzen. Die Sache der Frau ist aber gerecht, weil sie das Recht der Frauen vertritt, nicht weil damit jede Träne getrocknet würde.

Um noch einmal aus dem Buch über "die akademische Frau" zu zitieren, diesmal den Schriftsteller Ernst von Wildenbruch: "Es ist die Pflicht jedes denkenden Menschen, an der Befreiung der Frau mitzuarbeiten. Heldengeschlechter gehen nur aus ebenbürtigen Ehen hervor!"

Barbara Beuys: Die neuen Frauen - Revolution im Kaiserreich. Carl Hanser Verlag, München 2014. 384 Seiten, 24,90 Euro, E-Book 18,99 Euro.

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