"Der andere Liebhaber" im Kino:Das doppelte Maskottchen

"Der andere Liebhaber" ist ein Erotik-Thriller, wie ihn nur die Franzosen hinbekommen. Regisseur François Ozon beweist darin mal wieder seine ganze Meisterschaft als Amour-fou-Experte.

Von David Steinitz

Man traut sich kaum, die Handlung dieses Erotik-Thrillers wiederzugeben, weil sie zunächst einmal nach absoluter Drehbuch-Kreisliga klingt. Also nach einer Geschichte, für die sich selbst der schamloseste Soap-Autor abgrundtief schämen müsste.

Die 25-jährige Chloé (Marine Vacth) hat trotz einer lukrativen Karriere als Fotomodell keine Lust mehr auf Posen und ist überhaupt unzufrieden mit der Einsamkeit ihres Pariser Großstadtlebens. Deshalb beginnt sie eine Behandlung beim Psychotherapeuten Paul (Jérémie Renier), in den sie sich nach circa anderthalb Sitzungsminuten verliebt, und natürlich landen die beiden im Bett. Dann findet Chloé heraus, dass Paul einen Zwillingsbruder hat, den er ihr verheimlicht. Und wie es der dramaturgische Zufall so will, ist Louis ebenfalls Therapeut und verkörpert zufälligerweise alle dunklen, animalischen Triebe, die Chloé in ihren kühnsten Träumen so umtreiben - weshalb sie mit ihm auch eine Affäre beginnt.

Die einzige Kinonation der Erde, die nicht dazu verurteilt ist, aus so einer Prämisse eine große Peinlichkeit zu machen, ist naturgemäß die französische. Irgendwann um die Nouvelle Vague herum muss den dortigen Regisseuren eine Art Amour-fou-Gen in die DNA eingepflanzt worden sein, dank dem sie auch aus den abstrusesten erotischen Konstellationen großes Kino zu machen wissen. Und der größte Meister der Amour fou ist derzeit vollkommen uneingeschränkt François Ozon, was er mit "Der andere Liebhaber" mal wieder eindrucksvoll beweist.

Der Film ist eine düstere Hommage an die großen Doppelgängergeschichten der Achtzigerjahre, als die Psychoanalyse noch ganz ungehemmt und ungefiltert als Inspirationsquelle diente. Ozon nennt den Roman "Lives of the Twins" der Schriftstellerin Joyce Carol Oates (1987) und David Cronenbergs Doppelgänger-Horrorfilm "Dead Ringers/Die Unzertrennlichen" (1988) als zwei seiner wichtigsten Einflüsse, nicht nur für diese Geschichte, sondern überhaupt. Diese beiden Vorbilder wiederum haben neben Freuds "Traumdeutung" fast schon gierig in der deutschen Schauerromantik geplündert, in den großen Dramen über Doppelgänger und Ich-Spaltung, sexuelle Neurosen und Triebkräfte. Weshalb der kulturelle Unterbau von "Der andere Liebhaber" letztlich bis zu E.T.A. Hoffmann zurückreicht.

Ozon unterzieht die alten Horrorstücke einer sanften französischen Übersetzung und Modernisierung. Seine Protagonistin Chloé wird seit Jahren von brutalen Bauchschmerzen geplagt. Wobei das deutsche Wort Bauchschmerzen mehr nach schlechtem Kantinenessen klingt, die französische Wendung "mal au ventre" hingegen schon das nötige Drama vermittelt, das natürlich hinter diesen Bauchschmerzen steckt - sie sind psychosomatisch.

Der Therapeut schläft mit seiner Klientin und verlangt hinterher 150 Euro Behandlungsgebühr

Die Zwillingstherapeuten, in deren Hände sich die junge Frau begibt, zeichnet Ozon zärtlich als Pariser Besserverdiener-Karikaturen von Über-Ich und Es. Der gute Paul, der nur Chloés Bestes will, hat ein Sprechzimmer wie ein gemütlicher Uniprofessor, bequeme Ledercouch, weicher Teppich, warme Farben. Mit ihm isst sie abends Sushi und trinkt wohldosierte Mengen Champagner, und was danach im Schlafzimmer passiert, umschreibt man wohl am besten mit dem Begriff "Liebe machen".

Zwillingsbruder Louis hingegen, zu dem Paul keinen Kontakt mehr hat, und den Chloé zufällig ausfindig macht, hat ein Behandlungszimmer so steril wie ein Krankenhauswarteraum. Kalte Farben, Glas und Marmor, die Blumen sind aus Plastik. Mit Champagner hält er sich nicht lange auf, stattdessen bekommt sie bei ihm den wilden Sex, von dem sie immer geträumt hat, nach dem sie sich aber nie zu fragen traute. Hinterher kassiert er jedes Mal ungerührt 150 Euro Behandlungsgebühr.

Dass diese Doppelaffäre nicht zur Groschenroman-Fantasie verkommt, liegt vor allem daran, dass Ozon sie zwar ernst nimmt, ihren Wahrheitsgehalt aber doch gleichzeitig infrage stellt. Zu Beginn wirkt der Film fest in einer grauen Großstadtrealität verankert, bald aber fragt man sich, ob man diesen Bildern noch trauen kann. Chloé bekommt parallel zu ihren beiden Liebeleien einen Job im Museum. Die merkwürdigen Ausstellungen, durch die sie in ihrem schwarzen Kostüm schlendert, nehmen aber von Szene zu Szene mehr die Gestalt eines Albtraums an, monströse, deckenhohe Objekte, die das Museum in einen Märchenwald zu verwandeln scheinen.

Ozon ist einer der wenigen verbliebenen Anhänger des Zelluloids, seine letzten drei Werke hat er ganz anachronistisch auf 35-mm-Film gedreht, darunter auch seine erste Zusammenarbeit mit seiner Hauptdarstellerin Marine Vacth, das Coming-of-Age-Drama "Jung & schön" (2013).

Für "Der andere Liebhaber" hat er sich aber doch von den Möglichkeiten der Digitalkamera anlocken lassen, weniger aus praktischen Gründen, sondern weil man diesen Bildern, die sich bis ins letzte Pixel manipulieren lassen, viel weniger vertrauen kann, weil sie einen eingebauten doppelten Boden haben. Wer hier wen verführt und wer Opfer und wer Täter ist, das verschwimmt von einer traumhaften Sequenz zur nächsten immer mehr. Eine Geschichte, die fest an die alte Lehre des Kinos und der Psychoanalyse glaubt, dass wir das Imaginäre brauchen, um die Realität zu bewältigen.

L'amant double, Frankreich 2017 - Regie: François Ozon. Buch: François Ozon, Philippe Piazzo. Kamera: Manu Dacosse. Mit: Marine Vacth, Jérémie Renier, Jacqueline Bisset. Weltkino, 107 Minuten.

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