Franz-Olivier Giesbert über Jacques Chirac:Weder stark noch unabhängig

Eine vernichtende Bilanz der Präsidentschaft Jacques Chiracs

Jeanne Rubner

Dieser Mann macht schwindlig, schreibt Franz-Olivier Giesbert, er verschlingt alles - Männer, Frauen, Essen und Niederlagen. Der Gargantua heißt Jacques Chirac. Doch Frankreichs Präsident ist zugleich ein ängstlicher, zögerlicher Mensch, der sich - wie auch die Franzosen - an den Status quo klammert.

Franz-Olivier Giesbert über Jacques Chirac: Franz-Olivier Giesbert, Jacques Chirac, Tragödie eines Mannes und Krise eines Landes. Econ, Berlin, 2006. 399 Seiten, 17,95 Euro.

Franz-Olivier Giesbert, Jacques Chirac, Tragödie eines Mannes und Krise eines Landes. Econ, Berlin, 2006. 399 Seiten, 17,95 Euro.

(Foto: Foto: Econ)

Schuld sind immer die anderen

So das faszinierende Psychogramm und zugleich die vernichtende Bilanz, die der renommierte Journalist Giesbert von der mehr als elfjährigen Amtszeit Chiracs zieht. Er habe den Staat so zurückgelassen, wie er ihn nach 14 Jahren der Präsidentschaft Mitterrands vorgefunden hat: weder stark noch unabhängig.

Chirac hat das Land nicht wirklich verändert oder geprägt - von der Abschaffung der Wehrpflicht einmal abgesehen. Aus seiner größten Panne schlug er noch Kapital: 1997 löste er die Nationalversammlung auf und musste nach den Neuwahlen eine Zwangsehe mit der sozialistischen Regierung Jospin eingehen.

Doch so eine Kohabitation hat auch ihr Gutes, der Präsident kann den Staatsmann spielen, der an nichts schuld ist. Schuld sind immer die anderen, etwa an der 35-Stunden-Woche mit ihren verheerenden Folgen für Frankreichs Volkswirtschaft. Chirac hat das Lieblingsprojekt der Sozialisten nicht befürwortet, aber auch nichts dagegen unternommen.

Während Jospin zunehmend unbeliebter wurde, konnte Chirac sein angekratztes Image aufpolieren - und gewann eine zweite Amtszeit. Nun verschanzt er sich hinter der Politik des Weder-Noch. Sein bevorstehendes politisches Ende wurde im Mai 2005 besiegelt, als die Franzosen gegen die EU-Verfassung stimmten.

Ob Chirac über Sarkozy glücklich ist?

Chirac, der - anders als sein Vorgänger Mitterrand - eher aus Vernunfts- denn aus Herzensgründen Europäer ist, hatte den Franzosen die Verfassung zu spät und zu halbherzig verkauft. Er hatte nicht begriffen, dass die Gegner des Vertrags erfolgreich mit der Angst der Franzosen vor der Globalisierung spielten.

Einen Fehler beging Chirac auch, als er nach dem Verfassungsdebakel Dominique de Villepin zum Regierungschef ernannte. Dabei waren zunächst ganz andere im Gespräch gewesen. Der arrogante und wenig teamfähige Villepin brauchte fast alle seine Energien für den Versuch auf, seinen Konkurrenten Nicolas Sarkozy zu beschädigen. Nun wird Sarkozy dennoch fürs Präsidentenamt kandidieren. Ob Chirac darüber glücklich ist? Sarkozy ist sein Ziehsohn, doch inzwischen sind die beiden wie zwei zerstrittene Freunde, die sich nicht versöhnen können.

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