Franz Marc:Immer wieder anders

"Zwischen Utopie und Apokalypse" - eine Ausstellung in Kochel zur Erinnerung an den Tod des Malers vor 100 Jahren

Von Sabine Reithmaier, Kochel am See

Was für ein überwältigendes Bild: Drei rote Pferde mit lila Mähnen, die auf zitronengelbem Boden und tiefblauem Felsengrund im Reigen tänzeln. Franz Marc hatte schon einen weiten Weg in seiner Entwicklung zurückgelegt, als er 1911 die "Weidenden Pferde IV" malte. Wie mühsam und langwierig der Prozess des Ringens um Formen, Farben und Kompositionen gewesen war, lässt sich in der neuen Ausstellung des Kocheler Franz-Marc-Museums gut nachvollziehen.

"Weidende Pferde IV" ist der zweite Teil der Ausstellungs-Trilogie "Franz Marc - Zwischen Utopie und Apokalypse", mit der das Museum an die 100. Wiederkehr des Todesjahres des Malers erinnert. Normalerweise hängt das titelgebende Gemälde im Busch-Reisinger-Museum in Cambridge, ist eines jener Bilder, die die Nationalsozialisten 1937 für entartet erklärten und ins Ausland verkauften. Marc selbst hatte es in dem für ihn so wichtigen Jahr 1911 gemalt, bereits im Herbst hing es in einer Ausstellung der Galerie Thannhäuser.

Das Folkwang-Museum in Hagen, genauer der Sammler Karl-Ernst Osthaus, kaufte es im November für 750 Mark, wie Marc triumphierend seinem Bruder Paul am 3. Dezember mitteilte. Hatte ihm der doch einige Male dezent vorgehalten, wie brotlos doch Franzens Kunst war. Interessant ist die Rückseite des Bildes, das in Originalgröße an eine Wand reproduziert ist. Marc hatte diese Seite verworfen, aber schemenhaft sind noch zwei Akte in einer Landschaft zu erkennen.

Für Museumschefin Cathrin Klingsöhr-Leroy ist das ein Beleg dafür, dass sich 1911 bei Marc endgültig eine Richtungsänderung vollzieht: Weg von der menschlichen Figur und den Akten, die bis dahin zu seinen bevorzugten Motiven zählten, hin zu den großen Tierbildern, ganz beseelt von dem Willen, das eigentliche Wesen des Tiers, das er als rein und ursprünglich interpretierte, sichtbar werden zu lassen.

Die Ausstellung vermittelt jedenfalls den Eindruck, Marc habe sich unentwegt mit Pferden beschäftigt, sie eingehend studiert, gezeichnet, gedruckt, gemalt. Kein Wunder, dass sie zu seinem berühmtesten Motiv wurden, egal ob als Herde wie in der Rötelzeichnung "Pferde auf Bergeshöh gegen die Luft stehend" (1906), als Arbeitsgäule oder in den diversen zweier- und Dreierformationen. In einer Guache erprobt er sogar die Anordnung der weidenden Pferde, bevor er sich an das große Gemälde wagt. Einen Tag, bevor ihn am 3. Februar 1911 Alexej Jawlensky, Marianne von Werefkin und Adolf Erbslöh erstmals in Sindelsdorf besuchen, um seine Bilder anzusehen, schreibt Marc an seine Lebensgefährtin Maria: "Ich habe noch ein großes Bild mit 3 Pferden in der Landschaft, ganz farbig von einer Ecke zur anderen, angefangen, die Pferde im Dreieck aufgestellt. Die Farben sind schwer zu beschreiben. Im Terrain reiner Zinnober neben reinem Kadmium und Kobaltblau, tiefem Grün und Karminrot, die Pferde gelbbraun bis violett."

Der Besuch jedenfalls war begeistert von den Gemälden, zwei Tage später war Marc dritter Vorsitzender der Neuen Künstlervereinigung München, der erste war Erbslöh. Kandinsky, der den Vorsitz eigentlich innegehabt hatte, war zurückgetreten, weil sich gegen seine Hinwendung zu abstrakten Kompositionen Widerstand formiert hatte. Zwei großformatige Werke des Russen aus dem Jahr 1911 erinnern an jenen Februar, als sich Marc binnen weniger Tage vom Erbslöh- zum Kandinsky-Sympathisanten wandelte, der er dann auch lebenslang blieb.

Dass Franz Marc auch die Romantik rezipierte, ist ebenfalls ein Moment, das die Kocheler Schau deutlich herausarbeitet: Immer wieder lässt er seine Pferde mit dem Rücken zum Betrachter in die Ferne blicken, ein seit Caspar David Friedrichs Zeiten bekanntes Motiv, schön auch zu sehen bei der zweiten großen Leihgabe, der "Großen Landschaft" aus dem Jahr 1909, in der ebenfalls eine Pferdegruppe steht, noch in viel helleren Farben, noch nicht im Dreieck geordnet in einer noch ziemlich vagen Frühlingslandschaft.

Auf der Idee, Franz Marcs Kunst einmal anders zu betrachten, basiert im Übrigen das Symposion, das das Kocheler Museum und das Münchner Lenbachhaus Anfang Juli veranstalten. Zwei Tage - einen in München, den anderen in Kochel - beschäftigen sich Kunsthistoriker, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller mit Marc und seiner Rezeption, fragen sich, ob Marc populär oder Pop, ein Wanderprediger oder "typically german" war und ist.

Dass das Kocheler Museum auf gutem Weg ist, sich einen internationalen Ruf zu erarbeiten, zeigt auch der Kooperationsvertrag mit der Stiftung Ahlers Pro Arte. Deren Sammlung zum deutschen Expressionismus, bislang in Hannover untergebracht, wird von 2017 an dauerhaft als Leihgabe nach Kochel gehen. Eine stimmige Ergänzung, findet Cathrin Klingsöhr-Leroy. Und ganz eindeutig ein Beleg für ihre hervorragende Arbeit.

Franz Marc, Zwischen Utopie und Apokalypse: Weidende Pferde IV, bis 11. September, Franz Marc-Museum Kochel am See Symposion, 1./2. Juli, Lenbachhaus München und Franz Marc-Museum Kochel, Anmeldung bis 28. Juni per E-Mail: info@franz-marc-museum.de oder rsvp-lenbachhaus@muenchen.de

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