Franka Potente: Zehn:So sei es

Franka Potente ist nicht mehr die flippige flinke Lola, sondern längst Hollywood-Star und Buchautorin. Ihr drittes Buch erzählt Kurzgeschichten aus Japan - sehr behutsam.

Cathrin Kahlweit

Das deutsche Publikum kennt Franka Potente vor allem als rothaarige, flippige, schwer zu fassende Lola - als jene Lola, die für Regisseur Tom Tykwer viel und schnell unterwegs war.

Buchpraesentation 'Kick Ass - Das alternative Workout'

Franka Potentes Sprache ist schlicht, schmucklos, sie mag keine Adjektive, sie mag keine Emotionen.

(Foto: ddp)

Dass die heute 36-Jährige nach "Lola rennt" ein Hollywood-Star wurde, dass sie mit Matt Damon, Johnny Depp und Elija Wood und den Regisseuren Oskar Roehler und Steven Soderbergh drehte, dass sie Drehbücher schreibt und selbst Regie führt, Preise über Preise anhäuft, das wissen Cineasten.

Nun legt sie - nach dem Briefwechsel "Los Angeles - Berlin" und "Kick Ass", in dem sie Fitnesstipps für Faule gibt - auch noch ein drittes Buch vor. Und zeigt: Sie kann, sie will erzählen.

Ihre zehn kurzen Geschichten spielen in Japan. Es ist nicht das Japan von Sofia Coppola, in dem Scarlett Johansson sich aus der Tristesse eines modernen Hotelturms heraus in das schrille, laute, geschichtslose Tokio wirft, in dem Schülerinnen mit gelbgefärbtem Haar und besoffene Studenten, Hippis und Flippis sich gegen die rigide Traditionen und die strenge Hierarchie des japanischen Sozialgefüges auflehnen. Ihr Japan ist still, demütig, ergeben.

Oft traurig, weil das Schicksal Vorgaben macht, die der Mensch zu ertragen hat. Oft einsam, weil jene, die das alte Japan leben, im neuen Japan verloren sind. Franka Potente kennt das Land, seit sie 2005 für den Dokumentarfilm "Underground Art" nach Tokio gereist war, und offensichtlich haben es ihr gerade Rigidität und konservativer Traditionalismus angetan, die in Kalifornien oder Berlin nie existiert haben oder längst untergegangen sind.

Sie nennt viele ihrer Protagonisten nur beim Nachnamen - das ist insofern konsequent, als sie bewusst jene Distanz zu ihnen hält, die ihre Kleinhändler und Hausfrauen, Angestellten und Gattinnen auch selbst erwarten würden; körperliche Nähe, offene Worte, nach außen getragene Gefühle gelten in dieser Welt als unangemessen.

Emotionen auf Filzpantoffeln

Frau Michi zum Beispiel: Sie hat einen kleinen Laden für traditionelle Fächer, ist viel allein, und selbst der Tourist, Herr Schreiber, der zwei Mal bei ihr auftaucht, spürt schnell, wann er die nötige Distanz verletzt. Oder Herr Masamori, der ein Geschäft für Zori, japanische Schlappen, führt - auch er lebt allein, seit seine Frau tot ist. Nun ist er sehr krank, will es aber nicht wahrhaben, und als sich die Wahrheit nicht mehr leugnen lässt, als Herr Masamori eine schwere Entscheidung trifft, da sagt Herr Ogawa, der ihn zum Arzt fährt, nur leise: "So sei es."

Potentes Figuren stolpern durch die Moderne, und sie sind sich nicht sicher, ob sie diese Moderne mögen, sie ertragen, ertragen können. Miyu arbeitet als Bedienung in einem Lokal, in dem sich Männer nach der Arbeit amüsieren. Sie ist keine Prostituierte, aber, um etwas hinzuzuverdienen, jobbt sie manchmal als Tänzerin in einem Club, mehr oder minder nackt. Einmal begegnet sie Seiji, einem Polizisten, und sie "lachte mit ihm. Ohne die Hand vor den Mund zu halten", wie es anständige japanische Mädchen lernen.

Oder Mariko: Sie erwartet ein Baby und tut alles, was ihr Mann und ihre Schwiegereltern erwarten, sie beschallt den Fötus mit Brahms und Joan Baez, mit Haikus, traditionellen Versen, und mit Englisch, sie sitzt dabei, wenn die Familie, lange vor der Geburt des Kindes, debattiert, welcher Kindergarten, welche Schule die richtigen wären, und sie weiß: Sie soll einen Jungen kriegen. Aber sie will ein Mädchen, sie fühlt, dass es ein Mädchen ist. "Aber sie sagte nichts. Sie freute sich einfach."

Als Tadaski und Haruka bei Tadaskis Chef zum Abendessen eingeladen sind, bringen sie ein sonderbares Geschenk mit, aus Versehen, denn es kam zu einer peinlichen Verwechslung zweier Päckchen. Das Geschenk könnte ein Kündigungsgrund sein. Was aber tut die Ehefrau des Chefs? Sie lächelt. Und lügt, aus Höflichkeit: "Ein schönes Geschenk".

Potentes Sprache ist schlicht, schmucklos, sie mag keine Adjektive, sie mag keine Emotionen. Gefühle kommen auf Filzpantoffeln daher, sie werden über Kotatsus, beheizten Tischen, auf kleiner Flamme genährt, und wenn sie dann doch mal einen der Protagonisten zu übermannen drohen, wenn plötzlich eine laute, unkomplizierte Ausländerin einem schüchternen, sehnsüchtigen japanischen Jungen zu nahe kommt, dann zieht der die Reißleine. "Er stand nur da, überrascht und erstarrt. Freiwillig einer fremden Person so nah zu sein, war in Japan undenkbar."

Gut möglich, dass da viele Klischees aus einer Zeit aufscheinen, die lange schon hinter hohen Glasfassaden und überfüllten Shinkansens, hinter gestapelten Schlafcontainern und millionenfachem Handyklingeln untergegangen ist, gut möglich, dass Potente, die regelmäßig nach Japan kommt, aber eben keine Japanerin ist, einem Traum nachhängt, der ebenso oft ein Albtraum ist.

Aber ganz offenbar zielt sie auch auf ihre eigene, auf unsere Welt, wenn sie Tetsuo, den schüchternen japanischen Jungen, denken lässt: "Er hatte sich übernommen."

FRANKA POTENTE: Zehn. Stories. Piper Verlag, München 2010. 176 Seiten, 16,95 Euro.

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