"Frances Ha" in der SZ-Cinemathek:Ehrenrettung für den kleinen Makel

Kinostarts - 'Frances Ha'

Große Momente schenkt Greta Gerwig ihrer Filmfigur - und ihren Zuschauern.

(Foto: dpa)

Pirouetten des Glücks: Greta Gerwig ist bereit, ihrer Figur "Frances Ha" alles zu geben in Noah Baumbachs gleichnamigem Film - auch ihre Marotten. Und das ist ganz schön viel in einer Zeit, in der das Kino wie von Sinnen nach Perfektion strebt.

Von Tobias Kniebe

Viele ihrer Sätze beglaubigt Frances mit einem heftigen Kopfnicken. Wenn sie telefoniert, telefoniert sie mit dem ganzen Körper. Ihr Haar, straßenköterblond mit ein paar hellen Strähnen, trägt sie meist nach hinten gebunden, aber seitlich stehen immer wild ein paar Locken ab, und ihr Pferdeschwanz gleicht eher einem struppigen Grasbüschel. Wenn sie sich freut, beim Wiedersehen mit ihrer besten Freundin Sophie zum Beispiel, überflutet die Freude ihr ganzes Gesicht.

Kann man das machen, einen ganzen Film komplett einer Frau widmen? Noch dazu einer ziemlich unperfekten, größtenteils erfolglosen Singlefrau, die notorisch knapp bei Kasse ist und sich im Lauf der Zeit in alle möglichen Dinge verliebt, nur nicht in Männer? Die keine höhere Berufung hat und keine dominanten Eltern, keine lebensverändernden Erfahrungen durchmacht und keine Uhr ticken hört, die am Ende auch gar nichts groß lernen muss, außer vielleicht, sich ein bisschen mehr zuzutrauen? Man kann - und im Fall von "Frances Ha" ist es das reine Glück.

Als Zuschauer ist man stolz, nach anderthalb gänzlich unanstrengenden Stunden, diese Frances eine Freundin nennen zu dürfen. Weil man viele unvergessliche Kleinigkeiten mir ihr erlebt hat. Und weil man meint, sie schon ewig zu kennen - mit all ihren Besonderheiten.

Etwa wie sie beim Lesen ihr Ohrläppchen knetet. Wie sie sich oft irgendwo blutig schlägt, ohne es zu merken. Wie sie so vieles, was sie sagt oder macht, durch eine kleine ulkige Grimasse gleich wieder relativiert.

Frances ist 27 Jahre alt, und für das, was sie sich im Leben vorgenommen hat, nämlich Tänzerin in einer Modern Dance Compagnie zu sein, ist das alt. Zu alt eigentlich, wenn man immer noch nicht fest zum Ensemble gehört und nur die schlecht bezahlten Anfängerkurse für den Nachwuchs gibt.

Rennen vor Glück

Sie kommt aus Sacramento, Kalifornien, hat sich aber fest vorgenommen, New Yorkerin zu sein. Dem kommt sie, über WG-Zimmer erst in Brooklyn und dann in Chinatown, die sie sich allesamt eigentlich kaum leisten kann, langsam näher.

Dass Frances so echt wirkt, hat vor allem mit der Schauspielerin Greta Gerwig zu tun. Die ist bereit, ihr wirklich alles zu geben. Ihre eigenen kleinen Marotten, ihre Art zu sprechen, ihre Bewegungen - und ihre ganze Lebenserfahrung als wirklich 27-jährige, in Sacramento geborene, im viel zu teuren New York lebende Künstlerin.

Sogar ihre eigenen Eltern schenkt sie ihr, als Frances an Weihnachten nach Hause fährt. Mom und Dad, liebend ergraut und gänzlich unprätentiös, werden gespielt von Christine und Gordon Gerwig.

Und große Momente, doch ja, die schenkt sie Frances auch. Als es zum Beispiel geklappt hat mit dem WG-Zimmer in der Canal Street, endlich im Herzen New Yorks. Frances trägt da ein Blümchenkleid, ihre übliche, etwas zu große Lederjacke, ihren üblichen nicht ganz leichten Rucksack. Aber auf einmal ist da ein treibender Elektrobeat, "Modern Love" von David Bowie, und Frances beginnt vor Glück zu rennen, und man fragt sich: Wird das jetzt "Flashdance" für New-York-Hipster?

Nur Frances kann so durch Chinatown rennen

Aber wenn jemand einfach so vor Glück durch Chinatown rennen kann, mal auf dem Trottoir, mal auf der Straße, und dabei sogar Sprünge macht und Pirouetten dreht, Rucksack hin oder her, wild mit den Händen rudert, lacht und sogar kleine Freudenschreie ausstößt - dann kann das eben Frances und niemand sonst.

Und dann kommt der Moment, in dem sie in der neuen Wohnung steht, aufgeschlossen mit dem eigenen Schlüssel. Die Tür fällt ins Schloss und schneidet schlagartig die Musik ab, und Frances strahlt atemlos in den Raum hinein . . . nur um zu merken, dass niemand da ist.

Freude und zugleich Enttäuschung, dass sie diesen Moment mit niemandem teilen kann. Angekommen sein, sich fallen lassen, zugleich aber auch die resignierte Erkenntnis, wie mitleidlos schnell das Verblassen beginnt, selbst der tollsten Momente - all diese Gefühle huschen in dieser genialen Sekunde über Frances' Gesicht.

Man könnte jetzt noch einiges erzählen über Greta Gerwig, die schon länger solche Frauen spielt, charmant ein bisschen neben dem Mainstream getaktet, durchaus auch schon für Woody Allen, und in dieser ihrer Nische sehr erfolgreich ist - wesentlich erfolgreicher und disziplinierter jedenfalls als Frances.

Man könnte die Kunst des Regisseurs Noah Baumbach hervorheben, seit "Der Tintenfisch und der Wal" einer der präzisesten Chronisten New Yorks, der hier in Schwarz-Weiß gedreht hat, um Allens "Manhattan" explizit seine Reverenz zu erweisen, und der natürlich auch die Stadtneurotikerin Annie Hall im Hinterkopf hat.

Der oft ultrapessimistische Baumbach hat hier nicht mehr allein geschrieben, sondern von Anfang an mit Greta Gerwig zusammen, die dann unter der Hand auch seine Lebenspartnerin wurde - anders hätte Frances nie diese Lebendigkeit bekommen.

Gegen das Streben nach Perfektion

Und diese neue Generation von Schauspielerinnen, die schreibend in das Schicksal ihrer Figuren eingreifen, immer zum Besseren, auch wenn Männer am Ende noch Regie führen, ist das nicht überhaupt ein bemerkenswerter Kinotrend? Zoe Kazan und "Ruby Sparks", Rashida Jones und "Celeste & Jesse Forever", Kristen Wiig und "Bridesmaids", Brit Marling nun schon dreimal, ganz aktuell wieder bei "The East".

Klingt aber fast schon wieder angestrengt. Und angestrengt möchte man nun wirklich nicht klingen, wenn man von Frances erzählt. Es geht hier um die Verteidigung des Unvollständigen und nicht Perfekten, und das in einer Zeit, in der das Kino wie von Sinnen nach Wichtigkeit, Vollständigkeit und Perfektion strebt, ausgepixelt bis ins letzte Eck seines digitalen Hyperrealismus.

Frances heißt eigentlich Frances Halladay. Das passt aber nicht in das Namensfenster des kleinen rostigen Briefkastens von Apartment 11, das sie ganz am Ende des Films bezieht. Zumindest nicht in ihrer Schrift. Also knickt sie das Schild, das sie geschrieben hat, einfach um. Und beschließt, vorerst Frances Ha zu bleiben.

Frances Ha, USA 2012 - Regie: Noah Baumbach. Buch: Greta Gerwig, N. Baumbach. Kamera: Sam Levy. Schnitt: Jennifer Lame. Musik: George Drakoulias. Mit Greta Gerwig, Mickey Sumner, Michael Esper, Adam Driver. Verleih: MFA, 86 Minuten.

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