Framing-Check: "Flächenfraß":Wenn die Gier sich wie eine Krankheit in die Natur frisst

Framing-Check: "Flächenfraß": Ist etwas gefressen, ist es für immer verschwunden - ob für ein sinnvolles Projekt, ist die wichtige Frage: Baustelle am Skilift in Sudelfeld.

Ist etwas gefressen, ist es für immer verschwunden - ob für ein sinnvolles Projekt, ist die wichtige Frage: Baustelle am Skilift in Sudelfeld.

(Foto: Sebastian Beck)

Der Begriff "Flächenfraß" weist auf reale Umweltzerstörung hin. Er setzt aber womöglich sinnvolle Baumaßnahmen auch mit Krebsgeschwüren gleich.

Von Jakob Biazza

Wo Sprache ist, da ist auch Subtext. Vor allem dort, wo Sprache politisch wird. Zur Analyse dieser Subtexte hat sich in der Forschung in den vergangenen Jahren das Konzept des Framings etabliert. Framing meint einen Assoziations- und damit Deutungsrahmen für Begriffe: Wer zum Beispiel "Zitrone" hört, denkt vermutlich an "sauer" oder "gelb". Das lässt sich politisch instrumentalisieren. Frames definieren nämlich oft ein Problem - und liefern, wenigstens implizit, auch gleich die passende Lösung. Bei einem Begriff wie "Flüchtlingsstrom" sieht man vor dem geistigen Auge vermutlich große Menschenmassen heranrauschen. Eine Naturgewalt und darin ein Bedrohungsszenario. Was die vermeintliche Lösung "Abschottung" nahelegt.

In einer losen Serie analysiert die SZ das Framing politisch oder gesellschaftlich relevanter Begriffe. Diesmal: Flächenfraß.

Wer den Begriff benutzt:

"Flächenfraß" kommt aus der Umweltbewegung. Er ist eine Verschärfung des etwas weniger framenden Begriffs "Flächenverbrauch", der die Umwandlung von landwirtschaftlichen oder naturbelassenen Flächen in "Siedlungs- und Verkehrsflächen" meint - in Bayern passiert das etwa zur Hälfte für Wohnraum und je zu einem Viertel für Straßen und Verkehrswege und Gewerbe- und Industrieflächen. Entsprechend findet sich der Begriff unter anderem beim nun für unzulässig erklärten Bürgerbegehren "Betonflut eindämmen" (auch in Zitaten von prominenten Unterstützern wie Luise Kinseher) oder beim Bund Naturschutz.

Auch die Grünen benutzen den Ausdruck. Landeschef Eike Hallitzky betonte, Bayern drohe "sein Gesicht zu verlieren, wenn immer mehr Gewerbegebiete, Discountmärke, Parkplätze und Lagerhallen auf der grünen Wiese entstehen". Mit dem Volksbegehren wollten die Grünen deshalb "den ausufernden Flächenfraß eindämmen und zugleich genug Raum für bauliche Entwicklung geben". Der Begriff findet sich inzwischen jedoch auch in anderen Parteien und Lagern: Der CSU-Umweltpolitiker Josef Göppel warnte jüngst: "Dabei ist inzwischen allen klar, dass man ohne verbindliche Vorgaben den Flächenfraß nicht eindämmen können wird." Viele Medien - auch die SZ - benutzen den Begriff, ohne ihn beispielsweise in Anführungszeichen zu setzen.

Was der Begriff suggeriert:

Zunächst vor allem Gier und Maßlosigkeit. Und auf der zweiten Ebene Endgültigkeit. Besonnene, kultivierte Wesen "essen" schließlich einfach - und zwar häppchenweise, was ihnen die Zeit gibt, zu merken, ab wann sie satt sind. Menschen ohne Maß (und Tiere) "fressen", was, etwas weiter zugespitzt, eigentlich sagen soll, dass sie blindwütig verschlingen, was immer sich vor ihnen ausbreitet. Und damit dessen Existenz endgültig beenden. Ist etwas gefressen, ist es schließlich für immer verschwunden, verdaut und höchstens in Fäkalform ausgeschieden.

Da es beim "Flächen-" oder "Landfraß" zudem laut der gleichnamigen Umweltinitiative "Betonfluten" (ebenfalls ein stark framender Begriff) sind, die die grüne Landschaft verschlingen, bekommt der Begriff auch noch eine latent entmenschlichte Komponente: Betonlandschaften wirken wie eine Naturgewalt. Oder, noch etwas freier assoziiert, wie ein sich unkontrolliert ausbreitendes Krebsgeschwür.

Wie das die Wahrnehmung steuert:

Naturgewalten müssen, wenn irgendwie möglich, gestoppt, Krebsgeschwüre behandelt oder gar herausoperiert werden, um weitere, nachhaltigere Schäden zu vermeiden. Man denke nur an Flutkatastrophen und Schutzwälle. "Flächenfraß" ist damit deutlich alarmistisch. Der suggerierte Handlungsbedarf ist hoch und drängend.

Der Begriff führt zudem zumindest in Teilen etwas in die Irre: Die für Wohnungen, Gewerbe und Straßen bebaute Fläche ist schließlich nicht weg oder "verbraucht". Menschen nutzen sie nur für etwas anderes (im Einzelfall durchaus Sinnvolles). Zudem wird suggeriert, die landwirtschaftliche Nutzung sei natürlicher und damit quasi zwangsläufig besser. Dabei kann auch sie Böden auslaugen und, je nach Betrieb, zu schweren Umweltproblemen führen. Ob, wie es vor allem die "Betonflut" nahelegt, das Landschaftsbild zerstört wird, ist in Teilen Geschmackssache. Wie viele Menschen ein Gewerbegebiet einem Wald oder weiten Feldern und Wiesenflächen tatsächlich ästhetisch vorziehen, müssten Umfragen zeigen.

Richtig ist hingegen, dass der "natürliche" Lebensraum durch die Bebauung verschwindet - und zwar in aller Regel unwiederbringlich. Einmal bebaute Flächen werden nur sehr selten renaturiert. Unstrittig ist auch, dass damit Lebensraum für viele Tiere für immer zerstört wird, nicht nur unmittelbar, sondern auch mittelbar: Straßen teilen etwa zusammenhängende Biotope, womit mögliche Probleme sich weit über die reine Nutzungsfläche erstrecken. Auch der erhöhte Verkehr ist für Menschen und Umwelt unbestritten belastend.

Was ein weniger framender Begriff wäre:

"Landverbrauch" ist zumindest emotional weniger besetzt - und lenkt die Debatte damit nicht ganz so eindeutig. Der Zusatz "Verbrauch" unterstellt allerdings immer noch pauschal, dass die Ressource anschließend erschöpft ist, dabei könnte beispielsweise Wohnraum ja wenigstens theoretisch eine sinnvolle Nutzung sein. Relativ neutral wäre wohl "Flächenbebauung" oder der sehr technische Terminus "Flächeninanspruchnahme". Der ebenfalls manchmal zu lesende Begriff "Flächenumnutzung" verschleiert bereits die damit verbundene Naturzerstörung.

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