Fotoserie "Die Gläubigen":Streben nach dem ultimativen Glück

Martin Schoeller fotografiert religiöse Menschen in New York - im Januar waren das eine Jainistin, ein Santerìa und eine Anhängerin der Neugeist-Bewegung.

3 Bilder

-

Quelle: Martin Schoeller

1 / 3

New York ist der Ort mit der größten Zahl unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften. Der Fotograf Martin Schoeller porträtiert in seiner Feuilleton-Kolumne jeden Freitag einen gläubigen Menschen aus dieser Stadt. Hier findet man seine Werke monatlich gesammelt.

Kalpana Gandhi Sanghavi. Jainismus.

Unser Glaube ist sehr alt. Er kommt aus dem antiken Indien. Viele glauben, er ähnelt dem Hinduismus, doch der kam erst später. Unser Gott lebte vor zweieinhalbtausend Jahren als Mensch. Er war der erste Tirthankara. Er war einer von uns und erreichte seine göttliche Macht, indem er alles Negative ablegte. Er löste sich von Zorn, von Gier, von Eifersucht, er gab allen Besitz auf. So taten es auch all jene, die ihm folgten. Nur so erreichen wir, dass wir unser Karma überwinden und Nirvana erreichen, denn man muss für alles, was man im vergangenen Leben tat, bezahlen. Deswegen glauben wir an absolute Gewaltlosigkeit.

Und deswegen ernähre ich mich rein vegetarisch. Ich werde bald wahrscheinlich sogar zur Veganerin. Eigentlich dürfen wir ja Milch trinken, denn um Milch zu bekommen, muss man das Tier nicht töten. Aber heutzutage bekommen die Tiere Hormone, um mehr Milch zu geben. Das reduziert ihre Lebenserwartung. Also ist das ebenfalls Gewalt. Wir essen zum Beispiel auch keine Wurzelgemüse, weil man dafür die ganze Pflanze heraus reißen muss und die Pflanze nicht weiter wachsen kann. Deswegen beschränken wir uns auf Obst und Gemüse, das über der Erde wächst. Und wir versuchen, möglichst wenige Papierprodukte zu benutzen, denn dafür muss man Pflanzen töten.

Vieles in unserem uralten Wissen wird heute von den Wissenschaften bewiesen. Selbst die Erderwärmung wurde uns vorausgesagt. Unsere Welt wird nicht zugrunde gehen. Aber es kommen furchtbare Dinge auf uns zu. Das Wetter wird extrem werden, es wird vielleicht so heiß, dass wir nur noch unter der Erde leben können. Unser Glaube wird das überstehen. Aber ob und wie wir überleben, wird von uns Menschen abhängen, und wie wir unser Leben leben.

-

Quelle: Martin Schoeller

2 / 3

Joyce Anderson. Neugeist-Bewegung.

Wir folgen den Prinzipien, die Jesus uns geschenkt hat. Wir lesen die Bibel. Wir halten jeden Sonntag Gottesdienste. Aber wir arbeiten eben nicht nur mit der Bibel. Da sind zum einen die Bücher von Charles Fillmore, der 1889 in Missouri gemeinsam mit seiner Frau Myrtle unsere "Unity Church" gegründet hat. Ich verwende in meinen Gottesdiensten, die ich leite, aber auch die Werke von Deepak Chopra und seine Lehren, wie man nach dem ultimativen Glück strebt. Neben den Gottesdiensten halten wir auch Klassen ab, in denen wir die Menschen anleiten, ein besseres Leben führen zu können. Denn wir glauben, dass es Gottes Wille ist, dass jeder einzelne auf dieser Erde ein Leben in Glück, Gesundheit und Wohlstand führen sollte. Das ist auch das Leitmotiv unserer Gottesdienste am Sonntag. Wobei die in unserer Kirche in Brooklyn wie so viele andere auch daraus bestehen, dass wir singen und meditieren. Als ich zu unserer Kirche fand, habe ich mich so wohl gefühlt wie nie. Es gibt ja kein zwingendes Glaubensbekenntnis. Aber dieser Prozess der Erleuchtung, die Leitlinien, die ganze Stimmung, das war alles so gut und positiv, dass mich das sehr, sehr, sehr glücklich macht. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich Joyce heiße und der Kern meines Namens "Joy" Freude bedeutet.

-

Quelle: Martin Schoeller

3 / 3

Rudy Guard Iola. Santería.

Wir beten gemeinsam zu unserem Gott, manche nennen ihn Allah oder wie auch immer. Hauptsache ist, dass es nur einen gibt, aber viele Geister, die in der Luft schwirren. Während unserer religiösen Feier ergreifen die Geister Besitz von den Tänzern, das ist wundervoll. Wir bringen auch regelmäßig Tieropfer. Als Priester kröne ich Menschen, das ist wie eine Taufe. Erst haben sie weder Job noch Geld, dann schon. Ich halte viele Predigten, rede mit den Leuten, sage ihnen ihre Zukunft voraus. Ich will das Leben der Menschen besser machen, doch das ist schwer, weil du die Regeln der Welt nicht ändern kannst. Das Böse wird immer an erster Stelle stehen. Wir können nur versuchen mit unserem Glauben zu überleben. Nächstes Wochenende kröne ich zum Beispiel mein Patenkind. Die Krönung dauert sieben Tage und jeden Tag passiert etwas anderes. Es erscheinen unterschiedliche Tiere. Mein Patenkind muss die ganze Zeit mit mir in unserem Gebetsraum verbringen. Jeden Tag kommen Menschen und bringen ihr das zu essen, was sie sich gewünscht hat. Dunkin' Donuts zum Beispiel - sie bekommt wirklich alles was sie haben möchte. Nach der Zeremonie muss das Kind ein Jahr und sieben Tage komplett in weiß gekleidet sein. Bisher habe ich etwa 600 Leute gekrönt.

Ich fand meinen Glauben mit sieben Jahren. Eines Tages stand ich mit meiner Mutter an einer Bushaltestelle und sagte zu ihr: "Ich habe hier ein ungutes Gefühl." Wir sind ein Stück weiter gegangen und dann fuhr ein Bus in die Haltestelle, drei Menschen starben. Ich träumte dann von Kuba und spürte den Glauben. Es gibt eine heilige Schrift, einige lesen die auch, aber ich nicht. Die Bücher werden nur gemacht, um Geld zu verdienen. Unser Glaube ist ein Geheimnis, das sich so nicht erfassen lässt. Ich lerne lieber von den Menschen, ich beobachte sie. Und ich schaue gerne dabei zu, wie jemand eine Ziege tötet. Oder ein Lamm. Wie das durchgeführt wird und was dabei gesungen wird, interessiert mich. Ich denke der Körper stirbt, doch der Geist ist unsterblich.

© SZ.de/cag
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: