Fotoserie "Die Gläubigen":"Man bittet die Geister"

Martin Schoeller fotografiert religiöse Menschen in New York - im Februar sind das unter anderem eine Rabbinerin und eine Anhängerin der Mankon-Tradition.

4 Bilder

-

Quelle: SZ

1 / 4

New York ist der Ort mit der größten Zahl unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften. Der Fotograf Martin Schoeller porträtiert in seiner Feuilleton-Kolumne jeden Freitag einen gläubigen Menschen aus dieser Stadt. Hier findet man seine Werke monatlich gesammelt.

Rabbi Angela Buchdahl. Reformjudentum

Ich leite zwar die Gottesdienste in der zentralen Synagoge an der Lexington Avenue, ich lese die Torah und achte die Feiertage, aber am wichtigsten ist mir das persönliche Gebet. Das fühlt sich für mich wie eine Konversation zwischen mir und etwas an, das größer ist als ich selbst. Ich nenne es Gott, auch wenn ich das nicht als den überirdischen Gott im biblischen Sinne verstehe, der meine Gebete erhört. Eher wie die Verbindung zu einer großen Kraft. Prinzipiell fordert mein Glaube von mir, Friede, Gerechtigkeit und Liebe in die Welt zu bringen. Das tue ich allerdings nicht für eine Welt nach uns, sondern für diese unsere Welt. Judaismus kehrt sich nicht besonders um das Leben nach dem Tod. Hier und jetzt ist unsere Gelegenheit, die Welt zu einem besseren Ort zu machen und damit auch die Menschen zu bereichern.

-

Quelle: Martin Schoeller

2 / 4

Mafor Mambo Tse. Mankon-Tradition

Als meine Großmutter starb, rief mich meine Mutter an und meinte, ich müsse nach Hause. Also bin ich nach Kamerun geflogen und bevor ich mich versah, wurde ich dort gekrönt. Mein Onkel ist derzeit der König der Mankon, aber in unserer Tradition hat nicht der König das letzte Wort, sondern seine Mutter. Und wenn die stirbt, übernimmt diese Rolle ihre erste Tochter, die war aber auch tot, also war ich als älteste Tochter des letzten Kindes dran. Sehr kompliziert. Aber nun pflege ich diese Tradition eben in New York, auch wenn meine Familie sehr fromme Christen sind. Die sagten auch gleich, dass sie diese ganze Opfer-Nummer nicht mitspielen. Im traditionellen Glauben der Mankon gibt es keinen richtigen Gottesdienst, aber man bittet die Geister um etwas. Und dafür bringt man Opfer. Das kann man auch als Christ oder Moslem tun. In Afrika ist das sogar üblich. Da gibt es im Islam immer einen Marabout, der in Wahrheit den alten Glauben betreibt, den er ein bisschen in Islam verpackt. Oder bei den Christen in die Heiligen der Kirche. Hier in New York ist das alles nicht so leicht. Kameruner oder auch Nigerianer reden hier nicht über ihren alten Glauben. Nur wenige trauen sich, auf ihre Herkunft stolz zu sein.

Freitagsgebet

Quelle: Martin Schoeller

3 / 4

Mario Kawakami. Seichō-no-le

Wir haben keinen englischen Namen, aber unsere Religion wurde 1930 in Japan von Masaharu Taniguchi gegründet. Im Kern unseres Glaubens gehen wir davon aus: Wir sind keine Sünder. Wir sind Kinder Gottes. Deswegen glauben wir auch, dass alle Religionen ihren Ursprung in einem einzigen, universalen Leben nahmen. In der täglichen Praxis meditieren wir, wir lesen die Schriften unseres Glaubens, besuchen Gottesdienste. Aber noch viel wichtiger ist, dass wir uns in jedem Augenblick des Alltags als Kinder Gottes verstehen und versuchen, bessere Menschen zu werden. Wenn ich Müll auf der Straße sehe, dann ist es meine Aufgabe, ihn aufzuräumen, nicht die eines anderen. So finden wir zu einer positiven Haltung, die es uns dann auch leichter macht, mit den Problemen des Lebens umzugehen. Ich habe im Moment zum Beispiel einigen Ärger. Meine Tochter hatte einen Verkehrsunfall und musste ins Krankenhaus. Das Finanzamt meldete sich. Ich habe Ärger in Japan. Ich bin fast in Panik geraten. Aber dann habe ich mich besonnen und beschlossen, zu lachen. Nicht sofort. Aber nach ein, zwei Stunden. Das hat meine Wahrnehmung verändert. Es geht um die Praxis des Glaubens. Und alles ist Praxis. Wer das erkennt, der wird sein Leben auch entsprechend gestalten und es gut haben.

Freitagsgebet

Quelle: Martin Schoeller

4 / 4

Alyssa Ratkewitch Haughwout. Sunni Islam der Lipka-Tataren

Jeder Mensch wird und sollte durch gesunde Phasen des Zweifelns gehen. Als ich jung war, ging mir irgendwann auf, dass ich über meinen eigenen Glauben nur wenig weiß. Weil wir zum einen nicht so etwas wie eine Sonntagsschule hatten. Und es hilft ja auch nicht, dass unser zentraler Text, der Koran, auf Arabisch geschrieben ist und ich kein Arabisch sprechen oder lesen kann. Deswegen habe ich als Teenager viele Fragen gewälzt - was bedeutet das alles überhaupt? Warum tun wir dieses und jenes? Das hat mich auf eine lange Suche geführt. Wir sind eine sehr isolierte Gruppe Gläubiger. Aber als ich dann andere Muslime traf, fühlte ich mich sehr gut aufgehoben, auch wenn sie vielleicht aus Afrika oder dem Nahen Osten stammten. Sie taten und glaubten dieselben Dinge wie wir. Und das ist vor allem, dafür zu sorgen, dass man die Welt als einen besseren Ort verlässt, als man sie selbst vorgefunden hat, andere gut behandelt und die Vorfahren in Ehren hält.

© SZ/cag
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: