Fotoserie "Die Gläubigen":Hat Mutter Tod geholfen, gibt's ein Tattoo

Martin Schoeller fotografiert religiöse Menschen in New York - im Juni waren das eine Anhängerin von Santa Muerte, ein Sikh und ein Mitglied des Zoroastrismus.

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Freitagsgebet

Quelle: Martin Schoeller

New York ist der Ort mit der größten Zahl unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften. Der Fotograf Martin Schoeller porträtiert in seiner Feuilleton-Kolumne jeden Freitag einen gläubigen Menschen aus dieser Stadt. Hier finden Sie seine Werke monatlich gesammelt.​

Guadalupe Lopez. La Santa Muerte

Ich habe Santa Muerte, die "Heilige Frau Tod", das erste Mal auf dem Altar meines Bruders in New Jersey gesehen. Ich hatte Respekt vor diesem Bild des heiligen Todes. Dann erwählte sie mich in einem Traum aus. Sie wird seit dreitausend Jahren in Mexiko verehrt, sie war die Göttin des Todes bei den Azteken. Die katholische Kirche erkennt sie nicht als Heilige an. Dagegen hat es in Mexiko schon Proteste gegeben. Halb Mexiko glaubt an sie. Ich bin zwar Katholikin - meine Eltern nahmen mich sonntags immer mit zur Messe -, aber ich glaube gleichzeitig an Santa Muerte. Wir verehren sie wie andere Heilige und die Gottesmutter Maria durch Gebete und Rosenkränze. Es gibt Bücher über sie. Sie sagt, dass wir geboren wurden, um zu sterben. Bevor sie der heilige Tod wurde, war sie der Engel des Todes, den Gott schuf. Ich glaube nur an einen Gott, verehre aber Santa Muerte und auch die anderen Heiligen. Sie lässt mich die schlechten Momente überwinden und macht mich stärker. Als ich arbeitslos war, betete ich - und sie half mir. Sie hilft aber nur Menschen, die aus der Tiefe ihres Herzens um Hilfe bitten. Viele Menschen lassen sich ein Bild von ihr tätowieren, wenn ihnen geholfen wurde. Es ist ein Zeichen des Zurückgebens. Ich habe drei Tattoos von Santa Muerte. Meine Kinder sind Christen, aber ich werde sie nicht zwingen, an Santa Muerte zu glauben. Das wird ihre eigene Wahl sein.

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Shirin Khosravi. Zoroastrismus

Freitagsgebet

Quelle: Martin Schoeller

Der Zoroastrismus ist die erste monistische Religion und kommt aus Persien. Unser Glauben beruht auf drei Fundamenten: gute Gedanken, gute Wörter, gute Taten. Unser Prophet, Zoroaster, weist einem den Weg, das Richtige zu tun. Vor 4000 Jahren gab es noch keine richtigen Nationen, nur viele verschiedene Stämme. Und es gab keine Regeln, die die Menschen auf den richtigen Weg brachten. Also hat Zoroaster diese universelle Religion erschaffen, die über Stämme, Regionen und Ethnien hinausgeht. Er war kein König, sondern ein ganz normaler Mann. Seine Botschaften hat er durch Lieder verbreitet, sie heißen Gatha. Durch unseren einzigen Gott Ahura Mazda ("weiser Gott") hat er die Stämme zusammengebracht. Zoroaster zeigt dir den Weg auf richtig zu leben, man ist aber gleichzeitig sehr offen und frei. Es ist nicht vorgeschrieben, was man essen oder wie man sich verhalten soll. Zoroaster gibt dir, was man wissen muss, um sein Leben auf gute Art und Weise zu leben, aber man trägt selbst die Verantwortung, dann auch das Gute zu tun. Wir zelebrieren das Leben, in unserer Religion gibt es keine Traurigkeit oder Trauer bei Tod. Und im Zoroastrismus herrscht absolute Gleichheit zwischen Männern, Frauen, allen Ethnien. Bevor der Islam nach Persien kam, waren Frauen dort Königinnen, Admirale, Teil der Armee. Sie haben auch ihre Finanzen selbst verwaltet - alles zu einer Zeit, als solche Rechte in Europa noch undenkbar gewesen wären.

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Harpreet Singh Toor. Sikhismus

Gläubiger

Quelle: SZ

In meinem Heimatdorf waren wir als Sikhs bekannt, die Generationen meiner Familie dort reichen fast 400 Jahre zurück. Als ich nach New York kam, haben viele Fragen zu meiner Religion gestellt. Der Gründer des Sikhismus war Guru Nanak, er ist 1469 in Punjab geboren. Das gehört heute zu Indien. Er hat alles hinterfragt: etwa die Früchte eines Baumes, die für Seife verarbeitet wurden - Guru Nanak hatte aber Hunger und biss in eine Frucht, sie war süß. Heute noch, mehr als 500 Jahre später, sind die Früchte auf der Seite des Baumes, an der er gesessen hat, süß, auf der anderen Seite bitter. Ich habe Früchte davon zu Hause. Insgesamt hatte die Sikh-Religion zehn Gurus, der letzte, Guru Gobind Singh, ist 1708 gestorben. Guru besteht aus "gu", Dunkelheit, und "ru", Licht - er bringt einen von der Dunkelheit ins Licht. Unser heiliges Buch heißt Guru Granth Sahib. Es enthält Schriften von hinduistischen, muslimischen und anderen Heiligen. Unser Gotteshaus nennt sich Gurdwara, "Gurus Tür". Beten im Sikhismus ist offen, man kann es praktisch immer und überall tun, auch während man sich morgens fertig macht. Man kann auch immer in die Gurdwara gehen, selbst wenn man kein Sikh ist. Wir sehen jeden als gleichwertig an, unabhängig von seiner Kaste, Hautfarbe, seinem Glauben, der sexuellen Orientierung. Wenn wir uns alle respektieren, wie kann dann Hass entstehen? Man kann jemanden nur hassen, wenn man ihn bloß über die eigenen Vorstellungen definiert.

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Reverend Calvin O. Butts III.. Baptist

Der Gläubige

Quelle: SZ

Mein Glaube gibt mir die Richtung für mein Leben. Er hilft mir das Richtige vom Falschen zu unterscheiden. Er hilft mir aber auch, die unsicheren Wasser des Lebens zu navigieren und die Stürme zu überstehen. 9/11 zum Beispiel, Hurrikan Irma, Hurrikan Sandy, Hass. Mein Glaube stärkt mich, damit ich mit solchen Ereignissen umgehen kann. Oder mit solchen Einstellungen. Mein Glaube hilft mir aber auch, bei Verstand zu bleiben, meine Balance zu finden, so dass ich nicht vom Weg abschweife, sondern ein bodenständiges Leben führen kann.

Im Zentrum meines Glaubens steht, nichts als Gott zu verehren. Ihn mit ganzem Herzen, Geist und Seele zu lieben. So wie ich meinen Nachbarn liebe. Wobei mein Nachbar nicht durch Geografie definiert wird, nicht durch seinen ethnischen Hintergrund, nicht einmal durch seine Religion. Meine Nachbarn sind die Menschen, die meine Hilfe brauchen und die ich unterstützen kann. Denn alle Schöpfungen Gottes sind mir heilig und sind Kreaturen Gottes. So sind mit die Erde und das Meer, die Tiere aber vor allem Gottes Kreaturen, in die er seinen Atem des Lebens gegeben hat heilig. All das steht in der Bibel und all das predigen wir bei unseren Gottesdiensten in der Abyssinian Church in Harlem. Um Ihnen hier nur die kurze Antwort auf die Frage nach meinem Glauben zu geben.

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Dr. Marta Moreno Vega. Orisha Lucumi

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Quelle: SZ

Meinen Glauben habe ich von meiner Familie, die ursprünglich aus Westafrika stammt. Sie war spiritistisch geprägt und hatte afrikanische Gottheiten. Meine Eltern, die aus Puerto Rico kamen, haben die Traditionen ihrer Ahnen übernommen. Wir feiern unsere Gottesdienste als spirituelle Familie. Diese Familie ist mein Tempel, genauso wie meine Wohnung mein Tempel ist. Im Zentrum unseres Glaubens steht, dass wir das Leben und die Menschlichkeit und jeden anderen als etwas Geweihtes verehren. Wir bauen auf die Prophezeiung, die in der Ifa niedergeschrieben steht. Und auf das, was in der Odu vorgegeben ist - hier ist die Philosophie unseres Glaubens festgelegt, auch die ethischen und moralischen Prinzipien. Die Botschaft des wichtigsten Textes ist, wir sind alle geheiligt, und wir alle sollen einander ehren. Der Mensch ist kein Einzelwesen, vielmehr besteht eine Person aus vielen, weil wir uns alle respektieren. Unser Geist lebt, solange die Erinnerung existiert. Sobald wir auf die Welt gekommen sind, bereiten wir uns auf den physischen Tod vor. Aber der Geist ist immer gegenwärtig. In seinem Leben ehrt man die Geister, die zuvor da waren, und man ehrt die Geister der Menschen, die einem auf der Reise durchs Leben begegnen, und so ist der Geist immer erleuchtet von den eigenen Errungenschaften und Begegnungen des Menschen. Ohne diesen Glauben an die Natur, die mir Atem gibt und mich am Leben erhält, könnte ich nicht sein. Meine tägliche Glaubenspraxis besteht aus Meditation und aus dem Prozess, für mich selbst einen Mittelpunkt zu finden und die zu ehren, die schon gegangen sind.

© SZ/cag
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