Fotografie: Tobias Zielony:Treffpunkt Tankstelle

Spärlich beleuchtete Betonbauten, Putz blättert ab, alles ist kühl, in metallisch surrealem Licht: Tobias Zielony hat die Sozialbauten vor Neapel fotografiert - die Manifestationen des Versuchs, sich dem Leben zu stellen.

Nadine Barth

5 Bilder

Tobias Zielony "Vele"

Quelle: Koch Oberhuber Wolff, Berlin and Galleria Lia Rumma

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Spärlich beleuchtete Betonbauten, Putz blättert ab, alles ist kühl, in metallisch surrealem Licht: Tobias Zielony hat die Sozialbauten vor Neapel fotografiert - die Manifestationen des Versuchs, sich dem Leben zu stellen.

Na-Na-Na-Na Napoli / Città dimenticata sfruttata abbandonata" rappt die italienische Hip-Hop-Gruppe 99 Posse und beschwört damit das Gefühl einer vergessenen, ausgebeuteten, verlassenen Stadt. Die Betonbauten sind nur spärlich beleuchtet, Putz blättert ab, kühl, metallisch wirkt alles, in surrealem Licht, und dann, auf dem nächsten Bild, steht da ein Junge, sein Blick gerichtet ins Nirgendwo, wobei das Nirgendwo in seinem Fall seine "Hood" ist, sein Viertel, in dem die Mafia und die Drogen eine gewisse Rolle spielen, vielleicht auch seine Zukunft bestimmen.

Tobias Zielony hat diese Fotos gemacht, ein junger deutscher Fotograf, Jahrgang 1973, dem es darum geht, "die beiläufige Form des Sozialen" einzufangen. Seit zehn Jahren fährt er dazu in die Vorstädte dieser von der Öffentlichkeit eher wenig beachteten Orte: Die Banlieue von Marseille, das polnische Zgora oder die Plattenbausiedlungen von Halle-Neustadt. Er mischt sich unter die Jugendlichen, die dort einfach nur "rumhängen", beobachtet ihre Gesten, ihr Miteinander, ihre Aktionen. Manchmal löst er Einzelne aus dem Gruppengeflecht und macht Porträts von ihnen - eine für die Jungen und Mädchen ungewohnte Individualisierung.

Text: SZ vom 20.9.2010/ Nadine Barth/sueddeutsche.de/ls

The Group, 2010 C-Print 64,4 x 80 cm

Quelle: Koch Oberhuber Wolff, Berlin and Galleria Lia Rumma

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"Vielleicht fragt sich manch einer: Was passiert jetzt mit mir? Was macht mich anders?" sinniert der Fotograf. Ihn fasziniert die auratische Aufladung eines Ortes, seine Belebung durch Menschen, die Verschmelzung von Ort und Charakter.

Angefangen hatte alles mit einer Serie über Jogginganzüge. Zielony studierte Dokumentarfotografie in Newport, Großbritannien, und für das Fach Street Photography suchte er ein Thema. Er fand seine Protagonisten in einem Parkhaus, fotografierte erst mit Blitz, und als der einmal ausfiel, entdeckte er die Mystik und die Kraft des künstlichen Lichtes. "Car Park" heißt die Sequenz, in der mit klaren Titeln wie "Arrow" ein Richtungspfeil auf dem Stein gemeint ist und sich hinter "Cigarette" ein rauchendes Pärchen in einem Auto verbirgt, getaucht in rot-gelbes Schummerlicht.

Vela Azzurra, 2010 C-Print 150 x 120 cm

Quelle: Koch Oberhuber Wolff, Berlin and Galleria Lia Rumma

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Sie bildet den Ausgangspunkt auch für das großartige Fotobuch "Story / No Story", das sämtliche bisherigen Ausflüge von Zielony bündelt, nach Orten und Jahren geordnet. In der Mitte wagt Zielony einen Flirt mit der Schwarz-Weiß-Fotografie, gedruckt auf schwarzem Papier: "Big Sexyland" zeigt die Szenerie eines Berliner Pornokinos und angrenzenden Parks, Jungs, die als Stricher arbeiten, ohne dass man das sieht - man weiß es einfach. Das fahle Licht der Leinwand bescheint zerschlissene Sessel, einer hat sich zwei zusammengeschoben, um zu schlafen, während "Rico & Maik, 2006" unter den dunklen Blättern eines Baumes auf Kundschaft warten. In dem angrenzenden Interview zwischen Zielony und dem Filmemacher Christian Petzold deklinieren die beiden sämtliche Filme durch, die quasi als Paten dieser visuellen Arbeiten stehen könnten: "The Warriors" von Walter Hill, das einer Gang durch eine Nacht folgt, Coppolas "Rumble Fish" oder die frühen Streifen von Pier Paolo Pasolini, in dem "es gerade die Leute sind, die nichts in der Hand haben, kein Geld und keinen Status, für die die Selbststilisierung die größte Bedeutung hat. Es geht um den Entwurf einer eigenen Identität und darum, überhaupt durchzukommen", wie Zielony sagt.

Pearl, 2010 C-Print 80 x 64,4 cm

Quelle: Koch Oberhuber Wolff, Berlin and Galleria Lia Rumma

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Im Hamburger Kunstverein wurde neben den Fotografien des Künstlers (der nach Newport Meisterschüler von Timm Rautert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig war) auch eine filmische Arbeit gezeigt: "Le Vele di Scampa" (2009). Hier sind die Standbilder aus Neapel zusammengeschnitten, die Kamera scheint um seine Akteure zu tanzen, Architekturaufnahmen wechseln mit den Close-ups der Nachwuchsdarsteller.

In Dortmund nun sind gleich zwei Ausstellungen mit Zielony zu sehen. Der Dortmunder Kunstverein zeigt acht Motive aus der Neapel-Serie "Vele", bei der Zielony auch zum ersten Mal verschiedene Bildgrößen ausprobiert, und damit genau die Hälfte der auf 16 Bilder angelegten Arbeit. Mehr braucht es nicht, um das Grundgefühl zu verstehen, das sich genauso in Berlin-Marzahn, München-Neuperlach oder Köln-Chorweiler einstellen könnte. Die Hochhäuser, die Styles, die Melancholie ähneln sich. Eine Verortung im Dazwischen, in einer blauen Stunde des Lebens, zwischen Tag und Nacht, Stadt und Land, Jugendlicher und Erwachsener.

Gaze, 2010 C-Print 64,4 x 80 cm

Quelle: Koch Oberhuber Wolff, Berlin and Galleria Lia Rumma

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Auch die zweite Ausstellung in Dortmund folgt diesem Thema: "Inter-cool 3.0" im Dortmunder U, organisiert von dem Hartware MedienKunstVerein. Hier ist Zielony nur einer von mehr als 70 Medienkünstlern und debütierenden Jugendlichen einer hochkomplexen, interaktiven Ausstellung. Doch seine Fotografien über die Kids, die keinen anderen Treffpunkt als die Tankstelle haben, und aus "Trona", diesem Vorort von Los Angeles an der Grenze zur Wüste, in dem es nach Schwefel stinkt und das Licht alles auszubleichen scheint, wirken nach. Sie sind Manifestation des Versuches, sich dem Leben zu stellen. Wo immer und wie immer es sein mag.

"Tobias Zielony - Vele", Dortmunder Kunstverein, bis 7. November, www.dortmunder-kunsterverein.de; "inter-cool 3.0", HMKV im Dortmunder U, bis 28. November, www.inter-cool.de. Buch (Hatje Cantz): 39,80 Euro

© SZ vom 20.09.2010/ls
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