Fotos von Einwanderern auf Ellis Island:Wir sind alle Amerikaner

Ellis Island war einst erste Station für Einwanderer in die USA. Nun sind die Fotografien eines Beamten aufgetaucht - sie zeigen wahrscheinlich diejenigen, die festgenommen wurden.

Von Sonja Zekri

Die Dimension der Zuwanderung war präzedenzlos: 11 474 Menschen kamen allein im April an. Und dann die Registrierung dieser Massen! Medizinische Untersuchung, Fragen zu Beruf, Geld, verdächtigen Ideologien. Zwei Prozent der Neuankömmlinge wurden sofort zurückgeschickt, weil sie krank, verrückt oder kriminell waren, nein, die Willkommenskultur auf Ellis Island vor New York City im Jahr 1907 hielt sich doch in sehr engen Grenzen.

Wenn man heute durch die gekachelten Hallen und engen Verhörräume streift - Ellis Island ist längst ein Museum -, dann ist unübersehbar, wie hart, ja, brutal die Einwanderungsgesellschaft Amerika mit den Müden und den Armen umsprang, die Lady Liberty empfing. Sie trafen auf Prüfungen, Quoten und manchmal auf blanken Rassismus. Aber natürlich sie konnte nichts davon aufhalten.

Der Amateurfotograf Augustus Sherman arbeitete von 1892 bis 1925 auf Ellis Island als Oberster Registrierungsbeamter und machte dabei diese Bilder. Sie zeigen wahrscheinlich alle Menschen, die festgenommen wurden, weil sie kein Geld oder keine Fahrkarten für die weitere Reise hatten oder niemanden, der sie erwartete.

Folkloristische Leistungsschau

Ein wenig wirken sie wie eine folkloristische Leistungsschau, denn der griechische Soldat und das Trio niederländischer Frauen, die Kinder aus Lappland und der rumänische Schäfer reisten nach Amerika im Gewand ihrer Heimat mit geblähten Hauben, Männerröcken, Kindermützen, Pelzbesatz und was die Tradition sonst noch vorschrieb.

Es ist ein besonderer Moment, jener Augenblick, wo noch nichts da ist, außer dem Bekannten und Vertrauten, ehe die Integrationserwartung auch nur klar formuliert ist, wo der Abstand zwischen Alt und Neu noch nicht in seiner ganzen ungeheuerlichen Distanz ermessen werden kann, jedenfalls nicht von jenen, die kommen, höchstens von jenen, die sie hineinlassen - oder eben nicht. Und doch - dies ist das Geheimnis Amerikas - liegt auch ein großes Vertrauen in diesen Bildern: dass sie sich nicht ganz würden aufgeben müssen, dass sie alle in ihren manchmal pittoresken Trachten Amerikaner werden können, aber zugleich Griechen, Italiener, Russen, Deutsche bleiben können.

In den vergangenen 100 Jahren sind Segelhauben und Kummerbund weltweit etwas aus der Mode gekommen. Heutige Zuwanderer oder Flüchtlinge tragen oft Jeans. Aber das ist nur die Kleidung.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: