Fotokunst:Wenn es bäng macht

Der Fotograf Juergen Teller wird mit seinen Arbeiten in einer Berliner Ausstellung präsentiert, die sozusagen rund um einen berühmten Erdhügel arrangiert wurde.

Von Jan Kedves

Was könnte man nicht alles in diesen Ausstellungstitel hineinlesen: "Enjoy Your Life!", genieß dein Leben! Das ist ja im Grunde der dünnste aller nettgemeinten Selbsthilfesprüche, der via Ausrufezeichen schnell zum Imperativ wird, zum Zwang, Stress. Der Fotograf Juergen Teller, der mit einigen seiner hart angeblitzten Fashion- und Promi-Fotos längst zum Kanon der zeitgenössischen Kunst gehört, hat schon viel genossen in seinem Leben, genießen müssen.

Darauf lassen seine Fotos schließen. Das von Charlotte Rampling - nachts, nackt im Louvre, oder das von Victoria Beckham, wie sie in einer riesigen Marc-Jacobs-Tüte steckt und die Beine herausbaumeln lässt. Diese Fotos sehen so aus, als vertrauten die Stars ihm quasi blind und als seien die kurzen, maximal intensivierten Situationen, in denen die Kamera dieses Bäng einfängt, ziemlich anstrengend. Vielleicht nicht im Moment selbst, aber weil das Energielevel durch sie so hochgepusht wird, dass es danach nicht sofort ein Runterkommen gibt.

Teller jedenfalls begab sich, wie man in seiner Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau sehen kann, vor zwei Jahren zum kontrollierten Herunterfahren ins österreichische Maria Wörth zur Kur. Dort ging er im Bademantel mit Walking-Stöcken spazieren, knipste und nahm zwölf Kilo ab. Zum Glück verlor er dabei nicht sein Bäng, das visuelle und affektive Surplus, das bei ihm immer noch obendrauf kommt, auch wenn man denkt, gute Teller-Fotos ließen sich immer schon in einem Satz, als Einzeiler, erfassen. Etwa so: Kombination von Subjekt (möglichst bekannt) mit irgendwie schräger Situation. Wie das erwähnte Louvre-Foto von Rampling, das in Berlin zu sehen ist. Oder: Kim Kardashian rutscht mit Pelzjacke und fast keinem Höschen auf einem großen Erdhaufen herum.

Das Kardashian-Foto, ebenfalls mit dem Teller-Bäng, entstand nach seiner Kur in der österreichischen Klinik eine Stunde außerhalb von Paris in der Nähe des Château d'Ambleville. Es ist eine frühe Ikone des 21. Jahrhunderts, es steckt so viel mit drin: die medizinisch-plastische Überformung von Körperteilen und die Bereitschaft von Social-Media-Stars, für ihre Follower fast alles zu tun. Gerne auch Demütigendes - Kardashians Ehemann, der Rapper Kanye West, stand ja die ganze Zeit daneben. Vielleicht könnte man sogar sagen, dass die gesamte Ausstellung um Kim Kardashians Hintern herum arrangiert ist. Der Abzug ist zwar, anders als der Gegenstand selbst, eher klein. Trotzdem bleibt jeder an ihm hängen.

Er kann der Größte sein. Auch ohne Hula-Hoop-Mädchen

Das Foto beruhigt, weil es beweist, dass Teller, 53, der aus einer Geigenbauerfamilie im mittelfränkischen Bubenreuth stammt und seit 1986 in London lebt, das Bäng noch hat. Während er ansonsten seit seiner Kur der genialen Plattheit seiner Fotos manchmal nicht mehr ganz zu trauen scheint. Er versucht dann, eine zweite Ebene in die Fotos zu bringen. Wie schon in seiner gleichnamigen Ausstellung im vergangenen Jahr in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen war (zu der sich die Berliner Schau wie eine leicht abgespeckte Variante verhält), nimmt er dann Teller, also tatsächliche Teller, Geschirr. Das bedruckt er dann mit bestimmten Motiven. Da gerät das Auge ins Schlingern, und das ist bei Teller eine ganz neue Erfahrung. Aber wohin er damit will, weiß man nicht so genau.

Ähnlich geht es einem nun in Berlin im letzten Raum. Die Bildstrecke war im vergangenen Jahr in Bonn noch nicht dabei und basiert wieder auf einem Einzeiler: Die als große Kifferin bekannte Popsängerin Rihanna posiert in einer hochtechnisierten Marihuana-Plantage in Kanada. Klingt super, auch vor dem Hintergrund, dass zuletzt die Falschmeldung sehr einleuchtend schien, Rihanna plane, ihr Merchandise-Imperium um eine eigene Marihuana-Marke zu erweitern: "Marihanna". Die Sängerin machte dann allerdings "no show", sprich: Sie tauchte nicht auf. Und Teller? Saß schon in Vancouver und versuchte das, was er eigentlich sonst nie versucht: seinen Bäng durch Umplanung irgendwie zu retten.

Er nahm zwei Ersatzmodels, hübsche kanadische Mädchen, die mit Hula-Hoop-Reifen herumspringen. Dazu kaufte er eine Ausgabe von Harper's Bazaar, mit Rihanna auf dem Cover, nicht von ihm fotografiert, sondern von Mariano Vivanco und zu Tode gephotoshopt. Mit diesem Heft posieren die Hula-Hoop-Mädchen, und Teller macht Fotos. Das ist kein Einzeiler, sondern eine komplizierte Herleitung. Mit dem Ergebnis, dass es aber doch vor allem zu Bildern ohne Rihanna führt.

Teller thematisiert hier seine Arbeitsbedingungen, die Kränkung des sitzengelassenen Starfotografen. Er lässt sich in Krakelschrift auf abfotografierten Blättern darüber aus, dass vor einem Shoot heute erst mal die Anwälte reden müssen und sich Promis immer häufiger das Recht auf Nachbearbeitung und Freigabe der Fotos einräumen lassen. Das hasst er natürlich, und er hat sich nur ein einziges Mal darauf eingelassen, bei dem Kardashian-Shoot. Tatsächlich fällt auf, dass Kim Kardashians Gesicht und Po im Vergleich zur Krisseligkeit des Hintergrunds einen Ticken zu poliert sind.

Das Bäng geht dadurch interessanterweise nicht verloren. Während die Ersatz-Rihanna-Fotos es nicht haben. Sie bekommen es auch nicht mehr durch die Hängung, die an Arbeiten von Wolfgang Tillmans erinnert. Nanu, wollte Teller hier aus dem Scheitern seiner Strecke noch ein kleines Witzchen darüber machen, wer der größte deutsche Fotograf ist? Er kann der größte sein. Wenn es bäng macht.

Juergen Teller - Enjoy Your Life! Bis 3. Juli 2017 im Martin-Gropius-Bau in Berlin. Informationen unter www.berlinerfestspiele.de / Martin-Gropius-Bau.

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