Fotokünstler Lukáš Houdek:"Meine Landsleute nennen mich Verräter"

In seinem Projekt "The Art of Killing" hat der tschechische Fotograf Lukáš Houdek die grausame Vertreibung deutscher Zivilisten 1945 aus der damaligen Tschechoslowakei nachgestellt. Seine Darsteller: Barbiepuppen.

Von Matthias Kohlmaier

12 Bilder

Lukas Houdek fotografiert Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Barbiepuppen.

Quelle: Lukáš Houdek

1 / 12

In seinem Projekt "The Art of Killing" hat der tschechische Fotograf Lukáš Houdek die grausame Vertreibung deutscher Zivilisten 1945 aus der damaligen Tschechoslowakei nachgestellt. Seine Darsteller: Barbiepuppen.

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa, etwa 60 Millionen Menschen waren tot - und es sollten noch viele weitere folgen. Besonders die deutsche Bevölkerung in ehemals von der Wehrmacht besetzten Ländern und in den deutschen Ostgebieten sahen sich grausamen Racheakten der über Jahre hinweg ebenso grausam unterdrückten Bevölkerung ausgesetzt. Darüber, was nach diesem 8. Mai deutschen Zivilisten in der Tschechoslowakei widerfuhr, wird bis heute kaum gesprochen, sagt der Fotokünstler Lukáš Houdek. Deshalb hat der 27-Jährige versucht, das Thema in seinen Bildern einzufangen - mit Barbiepuppen als Darsteller der abscheulichsten Verbrechen.

Bildbeschreibung: Orlické hory (Adlergebirge), 26. Mai 1945. Anna Pautsch, eine 21-jährige Kindergärtnerin, wurde verprügelt und erhängt.

Lukas Houdek fotografiert Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Barbiepuppen.

Quelle: Lukáš Houdek

2 / 12

"The Art of Killing" heißt die Bilderserie von Houdek. Auf den Bildern zu sehen: Barbiepuppen, die von ihrem männlichen Pendant Ken vergewaltigt und erschossen werden, andere werden grausam gefoltert oder töten sich selbst. Dass es sich bei Houdeks Bildern um wahre Begebenheiten handelt, lässt die Schwarz-Weiß-Aufnahmen noch beklemmender wirken. Die Idee für das Projekt kam Houdek, als er einen deutschen Friedhof im ehemaligen Sudentenland besuchte. "Alles war zerstört, ich konnte so einen unglaublich großen Hass spüren", sagt der Künstler im Gespräch mit SZ.de.

Bildbeschreibung: Králicko (Glatzer Schneegebirge), Mai 1945. Revolutionäre Garden plündern das Haus eines unbekannten getöteten Mannes.

Lukas Houdek fotografiert Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Barbiepuppen.

Quelle: Lukáš Houdek

3 / 12

Also begann er zu recherchieren - im Internet, in geschichtswissenschaftlichen Publikationen von Adrian von Arburg und Tomáš Staněk und in Tagebüchern von Betroffenen. Zuvor hatte er fast nichts von den Vorkommnissen nach Kriegsende gewusst: "In meiner Heimat sprechen die Menschen bis heute nicht darüber." Und das, obwohl die deutsch-tschechische Historikerkommission davon ausgeht, dass bei der Vertreibung von Deutschen aus der damaligen Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen 24.000 und 40.000 Menschen ums Leben kamen.

Bildbeschreibung: Domažlice (Taus), Juni 1945. Hinrichtung von etwa 120 Menschen in der Nähe des Bahnhofs von Domažlice, die Leichen wurden anschließend verbrannt.

Lukas Houdek fotografiert Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Barbiepuppen.

Quelle: Lukáš Houdek

4 / 12

Doch die Morde an deutschen Zivilsiten nach Kriegsende werden im Tschechien der Gegenwart nicht nur verschwiegen, wie Houdek weiter erklärt. "Viele meiner Landsleute trivialisieren und verleugnen die Taten von damals." Das sei es, was er kritisieren wolle.

Bildbeschreibung: Buková hora, 1. Juli 1945. Etwa 21 zumeist ältere Menschen sowie fünf Kinder wurden entweder erschossen oder zu Tode geprügelt.

Lukas Houdek fotografiert Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Barbiepuppen.

Quelle: Lukáš Houdek

5 / 12

Seine offensichtliche Kritik an der Haltung vieler Tschechen hat Houdek schwere Vorwürfe eingebracht. "Manche nennen mich Verräter, Neonazi oder behaupten, ich würde mit irgendwelchen politischen Parteien kooperieren", sagt der Fotograf. Er werde außerdem beschuldigt, mit seinen Bildern die schrecklichen Taten der Nazis zu trivialisieren.

Bildbeschreibung: Bukov, 11, Juni 1945. Das Ehepaar Karel und Markéta Kutscher, beide etwa 80 Jahre alt, tötet sich in seiner Wohnung selbst.

Lukas Houdek fotografiert Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Barbiepuppen.

Quelle: Lukáš Houdek

6 / 12

Aber, sagt Houdek, er erhalte auch aufbauendes Feedback von Landsleuten: "Darüber freue ich mich sehr. Die positiven Zuschriften und Emails stammen zumeist von jungen Leuten oder Intellektuellen." Das zeige ihm, dass sich gerade die jüngere - seine eigene - Generation immer mehr für eine Diskussion des Themas öffne.

Bildbeschreibung: Bukov 1949. Eine neu angesiedelte junge Familie in der Wohnung der Kutschers.

Lukas Houdek fotografiert Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Barbiepuppen.

Quelle: Lukáš Houdek

7 / 12

Trotzdem bleibt die Frage: Warum benutzt Houdek für seine Bilder Barbiepuppen? Die Antwort ist, wenigstens teilweise, schockierend einfach: "Sie sehen aus wie wir." Der Betrachter soll denken, er sehe echte Menschen auf den Fotos, "da sie in gewisser Form die fehlende bildliche Dokumentation der Ereignisse sind".

Bildbeschreibung: Internierungslager Hanke - Ostrava (Mährisch Ostrau), Mai - Juni 1945. Gefangene wurden gefoltert, Nägel wurden ihnen unter die Fingernägel geschlagen. Etwa 231 Menschen starben.

Lukas Houdek fotografiert Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Barbiepuppen.

Quelle: Lukáš Houdek

8 / 12

Besonders die Gesichter der Plastikpuppen geben den Bildern etwas Morbides, etwas Grausames. Das unveränderliche Lächeln von Ken, egal, ob er gerade tötet oder getötet wird. Auch dahinter ist eine Kritik vesteckt: "Viele Tschechen tun so, als wäre nichts passiert, als hätten diese Morde nicht stattgefunden. Der freundliche Gesichtsausdruck der Puppen soll die in der tschechischen Gesellschaft weitverbreitete Scheinheiligkeit anprangern", erklärt Houdek.

Bildbeschreibung: Prag - Bořislavka, 9. Mai 1945. Etwa 41 Menschen wurden in der Nähe des Kinos von Bořislavka erschossen.

Lukas Houdek fotografiert Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Barbiepuppen.

Quelle: Lukáš Houdek

9 / 12

Dass Lukáš Houdek sich in "The Art of Killing" mit historischen Ereignissen auseinandersetzt, ist kein Zufall, hat er doch zuvor bereits alte Familienporträts deutscher Siedler in Tschechien abgelichtet. Zu seinem persönlichen Interesse an historischen Themen kommt noch die Geschichte der eigenen Familie. "Beide Zweige meiner Vorfahren lebten in zuvor von Deutschen bewohnten Häusern. Eine Großmutter lebte sogar mit einer deutschen Familie unter einem Dach, ehe diese nach Deutschland deportiert wurde", sagt Houdek.

Bildbeschreibung: Králíky (Grulich), 10. Mai 1945. Emma Pope tötet ihre beiden Kinder und sich selbst.

Lukas Houdek fotografiert Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Barbiepuppen.

Quelle: Lukáš Houdek

10 / 12

Auf die Frage nach seiner persönlichen Meinung zu den Racheakten seiner Landsleute gegen deutsche Bürger antwortet der 27-Jährige sehr reflektiert: "Es wäre leicht für einen im 21. Jahrhundert lebenden jungen Mann, das Verhalten vieler Menschen nach dem Krieg zu verurteilen." Und genau das will Lukáš Houdek mit seinen Bildern nicht: pauschal verurteilen.

Bildbeschreibung: Žatec (Saaz), Juni 1945. Suche nach verstecktem Schmuck und Massenvergewaltigung von Frauen in den Kasernen von Žatec.

Lukas Houdek fotografiert Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Barbiepuppen.

Quelle: Lukáš Houdek

11 / 12

Vielmehr könne er die Wut und den Hass seiner Landsleute nach Kriegsende verstehen, so "voller Schmerz waren sie, brauchten die Rache". Aus heutiger Perspektive könne man diese Gefühle überhaupt nicht nachempfinden. Houdek will den Schmerz der Menschen aber nicht als Entschuldigung dafür gelten lassen, weitere Unschuldige zu töten.

Bildbeschreibung: Kino von Vesna - Prag, Juni 1945. Dutzende Menschen wurden im dem Kino zu Tode gefoltert. Die Gefangenen wurden gezwungen, sich gegenseitig zu quälen und umzubringen.

Lukas Houdek fotografiert Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Barbiepuppen.

Quelle: Lukáš Houdek

12 / 12

So bleibt dem jungen Künstler am Ende nur ein Wunsch: "Wir müssen über dieses Trauma - das der Deutschen und das der Tschechen - reden. Nur so lässt es sich überwinden." Houdek selbst beschäftigt sich weiterhin intensiv mit dem Thema. Sein nächstes Projekt heißt "The Art of Settling" und soll die Situation von Siedlern im Sudentenland behandeln.

Die Ausstellung mit den insgesamt 25 Bildern aus "The Art of Killing" ist derzeit im Erdgeschoss der Technischen Nationalbibliothek in Prag für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Fotos sind auch als Teil der Freiluft-Installation "Artwall" am Moldau-Ufer zu sehen.

Bildbeschreibung: Lanškroun (Landskron), 17. Mai 1945. Folter und anschließende Hinrichtung von deutschen Bürgern in einem Feuerlöschteich auf dem Hauptplatz der Stadt.

© Süddeutsche.de/mkoh/cag/bavo
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: