Fotographie: Herlinde Koelbl:Kein Glamour, keine Kunst

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Ein Thema begleiten, das kann sie - den Augenblick einfangen nicht. Herlinde Koelbls Fotografien fehlt das Spezifische, der Schmerz, die eigene Wahrheit.

Georg Diez

Menschen kann sie, könnte man sagen, wenn das nicht etwas zu gönnerhaft wäre und gleichzeitig zu simpel und genau das, was man eben über so eine Ausstellung von Herlinde Koelbl sagt. Also, anders formuliert: Was hat es zu bedeuten, wenn der Katalog dieser Ausstellung den Titel "Mein Blick" trägt, sich am Ende aber der Blick verliert und sich die Fotografin Koelbl verflüchtigt hat und der Mensch Koelbl dafür umso deutlicher hervortritt? Nochmal anders gefragt: Kann ein Künstler zu neugierig sein?

Berühmt wurde sie mit ihren Porträts der Serie "Spuren der Macht". Jetzt will Herlinde Koelbl zeigen, dass ihr Blick über Gesichter hinausgeht. (Foto: Foto: dpa)

Die widersinnige Antwort, die diese Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau gibt, lautet: Ja, die rastlose, suchende, reisende, fragende, nachfragende Herlinde Koelbl ist geduldig genug, über Jahre ein Thema zu verfolgen, Menschen zu begleiten, ein Projekt zu realisieren - Dauer ist ihr Ding, aber weniger der Augenblick. Berühmt wurde sie mit ihrer Serie von jüdischen Porträts 1989 und mit ihrer Langzeitrecherche "Spuren der Macht" 1999. Die große, werkschauartige Ausstellung nun soll zeigen, was jenseits dieser Gesichterstudien alles vom Koelbl'schen Blick eingefangen wurde. Das Ergebnis aber ist, dass das Werk zerfleddert und ausfranst.

Koelbl, die in diesem Jahr 70 wird, kam relativ spät zur Fotografie, mit 27 erst, sie ist gelernte Modemacherin - aber es ist nicht so, als ob das schon etwas erklären würde. Eher könnte man sagen, dass die Stärke der Künstlerin Koelbl zugleich ihre Schwäche ist. Sie hat ein gutes Gespür für Themen, sie arbeitet fast journalistisch in ihrem Interesse zum Beispiel an Macht, an Erinnerung, in der Art, wie sie Interviews benutzt, die mal als kurze Textteile neben den Bildern erscheinen oder gleich als Fernsehprojekte den eigentlichen Kern der Recherche bilden. Freundlich ist dabei immer ihr Blick, versöhnlich und optimistisch. Der Blick hilft dabei, dass sich die Wohnzimmer und auch etwas die Seelen der Menschen öffnen, die sie fotografiert. Was aber zur Folge hat, dass ihrer Arbeit etwas fehlt, das man als literarische Qualität bezeichnen könnte, also etwas, das über das Offensichtliche hinausgeht und einen eigenen Raum, eine eigene Wahrheit bekommt.

An verschiedenen Stellen dieser Ausstellung wird das deutlich. Ihre Kinderporträts verharren in der Pose und sogar im Possierlichen, sie sind weit entfernt von der existentiellen Ausgeliefertheit etwa der Menschen in den Bildern von Rineke Dijkstra oder der epischen Beschwingtheit der Familienszenen, wie sie Tina Barney komponiert. Ihre Kleinserien reichen manchmal bis an den gespielten Witz heran, etwa die Füße der Museumsdirektoren unter einem Tisch. Und ihrem Spiel mit Nacktheit fehlt alles Spezifische, fehlt ein Gefühl von Schmerz, was besonders einprägsam wird in dem Bild von dunkler Haut und einem blitzenden Messer, das dekorativ bleibt und steril. Die Schlange vor der Scham, die lachende, nackte Margit am Wallberg mit groben Wollsocken, André mit Ständer, Silke mit Spiegel, all das ist weitgehend ohne Dramaturgie und manchmal vorhersehbar bis an den Rand des Klischees.

Sie kann keinen Glamour und sie kann auch keine Kunst, das Beiläufige gerät ihr leicht zu absichtsvoll, und wenn sie dann etwas Schweres anpackt wie den Tod, dann schaut die Schlachtung eines Schafes so artifiziell aus, dass es auch nicht hilft, wenn da ein recht überinszeniertes Totentriptychon harmlos in der Ecke hängt. "Opfer Glaube Tod" und "Sein und Schein" heißen Serien dieser Ausstellung, und diese Titel sind doch deutlich schlichter als die nicht ganz so volkshochschulhaften Bilder, die sich dennoch in einem Sammelsurium der Stile und Blicke verlieren - eben nicht "mein Blick", wie es diese Ausstellung will, sondern jeweils ein anderer Blick.

Auch in der Reportagefotografie, der etwas wenig Raum gewidmet wird, wofür man lieber redundant Abstraktes zeigt, wird dieses Dilemma deutlich - ein Dilemma, das vielleicht auch mit dem überlaufenden Bilderreservoir unserer Tage zu tun hat. Jedenfalls haftet gerade dem besonderen Blick, dem entlarvenden Augenblick etwas so Altmodisches und Statisches an, dass sich Gegenwart und Witz verlieren. Wie ihr ganzes Werk sind auch diese Bilder getragen von einer romantischen Vorstellung vom Sozialen, vom Glauben an eine sinnvolle Verbindung zwischen den Menschen, an ein Vorher und Nachher und also einen Prozess, den es zu beschreiben und festzuhalten gilt: Und eben hier eröffnet die Methode Koelbl ihren Reiz.

Man muss diesen Glauben nicht teilen, und in solchen Fällen gerät man in der ästhetischen Betrachtung auch leicht in Kollision mit der jeweils persönlichen Art und Weise, wie man dem Leben gegenübertritt - aber wenn man Koelbl darin folgt, wird man, wenn schon nicht in die Schockwelten eines Larry Clark oder in die erstaunlichen Weiten eines Robert Frank, dann doch wenigstens zu ein paar Leben geführt, die aus den Bildern heraus einen narrativen, konkreten Sog entwickeln. "Vor einem Jahr starb meine Frau", steht neben dem Porträt eines alten New Yorkers im bunten Bademantel. "Ich war in der Fremdenlegion, in vielen Kriegen und habe viele Menschen umgebracht", steht neben dem Foto eines muskulösen 30-Jährigen, der in einer Papphütte in Rom haust. Nicht zufällig sind die Bilder der Serie "Behausungen" entstanden, als Koelbl diese Menschen traf und filmte und begleitete. Erst die Dauer schafft für sie die Kraft, die fesseln kann.

Am berühmtesten natürlich in ihren "Spuren der Macht". Gerhard Schröder, Angela Merkel, Joschka Fischer hängen in einem zentralen Raum der Ausstellung - wobei auch hier die Fotos weniger hergeben als die Interviews, die Koelbl führte. Denn ob nun Macht, Alter oder das Unglück, das manche Leben nennen, diese Gesichter zeichnet, lässt sich schwer sagen. Und trotzdem finden in diesen Bildern das Unstete, Gefühlige, die Neugier von Herlinde Koelbl ein Gefäß, eine Form, fast eine Strenge, die ihr sonst oft fehlt. Die Gesichter wirken stärker, freier, direkter und weniger dem unterworfen, was Koelbl ihren "Blick" nennt.

"Herlinde Koelbl. Fotografien 1976-2009", Martin-Gropius-Bau Berlin, bis zum 1. November. Katalog bei Steidl, 20 Euro. Info: www.berlinerfestspiele.de

© SZ vom 17.7.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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