Fotografin Collier Schorr:Ich bist du

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Du bist, was du trägst: Die amerikanische Künstlerin und Modefotografin Collier Schorr erforscht, wie die YouTube-Gesellschaft Identität inszeniert.

Eva Karcher

Herbert mit Pferd auf einem Feld, sehr jung, der Oberkörper nackt, eine weite, leichte Trainingshose mit Gummibund hängt lässig auf der schmalen Hüfte. Herbert in der Sonne unter einem Baum sitzend, er trägt eine US-Army-Hose und auf der bloßen Haut die dazugehörige Weste.

Kleider machen Leute. Fotografin Collier Schorr fasziniert die Wirkung von Verkleidungen. (Foto: Foto: Collier Schorr)

Auf einer dritten Fotografie steht er steif in einer engen Garage, doppelt gefangen in einer Montur der deutschen Wehrmacht, Arme auf dem Rücken verschränkt, Blick unter dem schwarzen Helm ins Leere gerichtet.

Immer wieder porträtierte Collier Schorr Herbert und seine Freunde 2003 und 2004 in verschiedenen militärischen Uniformen aus Kostümverleihen und vom Flohmarkt und entdeckte dabei, "dass selbst das winzigste Abzeichen, das man jemandem ansteckt, ihn verändert".

Seitdem hat sich die 1963 in New York geborene Künstlerin und Modefotografin zur wohl brillantesten Expertin popkultureller Performances von Identität entwickelt.

Styling statt Identität

Schorr begreift Identität als geliehene Identität, als eine, die man sich aneignet und wie einen Auftritt in Szene setzt. Zusammen mit dem passenden Kleid, der Frisur, der Handtasche oder der Uhr wird sie angelegt und wieder abgestreift. Zugespitzt könnte man sagen: Styling und Image ersetzen Identität.

Der Umschlag des Katalogs zu ihrer jüngsten Ausstellung "Freeway Balconies" zeigt Schorr selbst 1991 in der Pose des jungen Biker-Rebellen Marlon Brando, und die genau einkalkulierte Differenz zwischen dem Original, das ja seinerseits selbst ein inszeniertes Bild war und seiner beinahe parodistischen Imitation macht vor allem eines klar: Alles ist Repräsentation.

Es gibt keine Alternative, wie schon der Titel der von Collier kuratierten Schau andeutet, die eigene Arbeiten und die begabter junger Künstler zu einem simultanen Konzentrat "performativer Impulse" (Schorr) montierte.

Die Balkone an amerikanischen Schnellstraßen, die der Beatdichter Allen Ginsberg Mitte der sechziger Jahre poetisierte, bieten wie Logenplätze Aneignung und Distanz zugleich, die Teilnahme am Identitätsspektakel der Nation, die damals zwischen Vietnamkrieg und Dragqueen-Paraden hin- und hergerissen war, und gleichzeitig deren Abwehr aus der Sicht von oben (oder wahlweise: vor der Glotze).

Weil "jeder Akt der Aneignung zugleich ein Versuch ist, zu verbergen, wer wir eigentlich sind", faszinieren Schorr Uniformen und mit ihnen die überwiegend jungen Männer, die sie tragen. "Jungen mögen Uniformen, weil sie sich eher als Team verstehen, im Gegensatz zu Mädchen, die sich mehr als Einzelfiguren definieren."

Herbert und die Armee

Männer, so hat die Künstlerin beobachtet, die jeden Sommer in Schwäbisch-Gmünd arbeitet - seit 1989 für sie und ihre deutsche Lebensgefährtin Moni die zweite Heimat neben New York - tauchen lieber als Frauen in die Anonymität von Uniformen ab.

Um so wenigstens für kurze Zeit der eigenen Identität zu entfliehen wie Dominik, den Schorr 2004 als farbigen US-Soldaten mit dunkel geschminktem Gesicht porträtierte. "Eigentlich möchte er wie seine Idole ein Rap-Kid aus Südatlanta, aus dem dirty south sein, aber es hilft nichts, er bleibt ein weißer Deutscher, gefangen in seiner Geschichte."

Bei Herbert und seinen Freunden war es dagegen eher das exotische Flair der Armeetrachten, das sie reizte wie eine gerade angesagte Marke. "Mühelos wechselten sie von den Armeetrachten zu anderen Uniformen, Skateboard-Klamotten oder Marken wie Chrome Heart und Diesel. Es ging ihnen um die Labels, vielleicht auch um dieses besondere Gefühl von Macht, das sich erst im Rudel einstellt."

Und um den eigenartigen Sexappeal von Uniformen mit ihrer egalisierenden Allüre, mit dem auch Mode regelmäßig und, je nach gesellschaftlicher Stimmungslage, mal aggressiver, mal sanfter kokettiert.

Lesen Sie auf Seite 2, was Prince mit Brooke Shields zu tun hat.

Fotografie
:Inszenierte Identität

Fotos aus der Ausstellung "Freeway Balconies", die bis zum 21. September im Museum Deutsche Guggenheim in Berlin gezeigt wird.

Heute, so Schorr, "tragen zwölfjährige Kids deutsche Armeeanzüge im Hip-Hop-Stil mit überweiten Hosen und Hemden". Auch Camouflage-Ornamente auf Hosen, Taschen und Schals gelten nach wie vor als must-have, Fallschirmspringerstiefel und Khakihemden bleiben, kombiniert mit Streetwear, Klassiker.

Ehemaliger Kinderstar: Brooke Shields. (Foto: Foto: Collier Schorr)

Schorrs Parallelkarriere als gefragte Modefotografin für Labels wie Comme des Garçons, das britische Männermode-Unternehmen Topman oder Uniqlo, die japanische Version des US-Konzerns Gap, hat ihre Sensibilität für die immer feineren Abstufungen zwischen Fashion-Identitäten, die professionell für Werbung und Magazine konstruiert werden, und den Selbststilisierungen semiprofessioneller Laien weiter geschärft.

"Wenn ich Modefotos mache, muss ich die Models als Projektionsflächen, als Stereotypen eines weiblichen oder männlichen Ideals zeigen. Das ist die Vorgabe. Ich kann nur versuchen, mit diesen Schablonen zu spielen, das Image ein bisschen zu verschieben, das wir verkaufen wollen. Etwas mehr Humor und Menschlichkeit einzuschleusen. Wenn ich dagegen Kunst mache, vermittle ich mit der Kamera zwischen meinem Eindruck von einer Person und dem Selbstbild, das sie mir anbietet."

Identität im Netz

Darin, das ständig komplizierter werdende Verhältnis zwischen Image und Identität immer wieder zu übersetzen, besteht wohl Schorrs analytisches Genie. Denn in der Ära von YouTube und virtuellen Netzwerken ist Identität keine Konstante mehr, erst recht nicht Wesenskern einer Persönlichkeit.

Die Individuen eignen sie sich statt dessen von performance zu performance immer wieder neu an. Und längst experimentieren nicht mehr nur diskriminierte Randgruppen oder die kreative Bohème mit den verlockenden Freiräumen temporär identitätsstiftender Moden und Maskeraden, sondern auch weite Teile der Gesellschaft, und zwar unabhängig vom jeweiligen Alter.

Spätestens, seitdem die feministische Philosophin Judith Butler 1990 in ihrem Buch "Das Unbehagen der Geschlechter" feststellte, dass sich "Identität immer wieder neu in jenen Gebärden formt, von denen man behauptet, sie seien deren Ergebnis", ist Identität kein statisches Modell der Selbstvergewisserung mehr.

Permanente Performance

Mehr und mehr verwandelt es sich in ein dynamisches Konzept der Aneignung potentiell unendlicher Repräsentationen oder "Looks" von Identität. Nicht zuletzt scheint eine ganz und gar bildgewordene Welt so etwas wie die Wahl der von Fall zu Fall effektivsten Identitäts-Silhouetten geradezu zu erzwingen.

So entsteht aus der permanenten Performance des Ich in wechselnden Rollenmustern und Strategien der Selbstdarstellung so etwas wie ein neuer "Identity-Chic" aus verschiedenen Stilcodes, zwischen denen je nach Bedarf und Bedürfnis hin- und herjongliert wird.

Doch beliebig fortgesetzte Identitätsspiele laufen irgendwann Gefahr, als abgewrackte Klischees in flauer Monotonie zu enden und, in letzter Konsequenz, ihre Akteure zu zerstören. Keiner kennt diese Gefahr besser als ein ehemaliger Kinderstar wie Brooke Shields.

Collier Schorr, die in den achtziger Jahren studierte, "als Künstlerinnen wie Cindy Sherman und Barbara Kruger begannen, ihre obsessiven Dialoge mit dem männlichen Blick zu führen", mietete damals das alte Atelier von Richard Prince, dem heutigen Superstar, der 1977 die "Appropriation Art" erfand - als er erkannte, dass es in der medialen Wirklichkeit keinen Unterschied zwischen Original und Kopie mehr gibt.

Der Kern des Ich

Im Studio von Prince also fand Schorr neben anderen Utensilien auch ein von diesem refotografiertes Porträt von Brooke Shields als Kinderstar im Alter von zehn Jahren. Allerdings war sie so sehr geschminkt, dass ihr Gesicht deutlich älter aussah als ihr Körper.

Damals fasste die Künstlerin den Entschluss, mit der Schauspielerin ein Projekt zu realisieren. "Sie wurde ja beinahe zu Tode fotografiert, seitdem sie ein Jahr alt ist. Als wir uns trafen, hat sie mir erzählt, dass sie nie eine echte Verbindung zu ihrem Körper gespürt hat. Erst als ihr Gesicht älter wurde, ist mehr Raum für ihren Körper frei geworden."

So hat Schorr sie porträtiert und dabei vielleicht den Moment jenseits aller Posen und Rollen getroffen, an dem sich offenbart, was Identität eigentlich ausmacht: Der Kern meines Ich bist du.

"Freeway Balconies" im Deutsche Guggenheim Berlin, bis 21. September. Parallel läuft Schorrs Ausstellung "Blumen" bis 31. Augustin in der Villa Romana, Florenz.

© SZaW vom 12./13.07.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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