Fotografie:Traum- oder Trumpland

Fotografie: Von der Gesellschaft verstoßen. Sofia Valiente porträtiert in ihrer Serie "Miracle Village" Sexualstraftäter, die in Florida in einem eigenen Dorf leben.

Von der Gesellschaft verstoßen. Sofia Valiente porträtiert in ihrer Serie "Miracle Village" Sexualstraftäter, die in Florida in einem eigenen Dorf leben.

(Foto: Sofia Valiente)

In der Lothringer 13 zeigen Künstler die amerikanische Wirklichkeit

Von Jürgen Moises

Wo verläuft die Grenze zwischen Ich und Wir? Und wann beginnt das jeweilige Identitätsgefühl das andere zu überwiegen? Das sind Fragen, die nicht nur für Psychologen oder Ethnologen interessant sind, sondern die mitten hinein in die Gesellschaft und - siehe die fortdauernde Integrationsdebatte - auch in die aktuelle Politik führen. Die diesjährige Ausgabe von Fotodoks, dem Münchner Festival für Dokumentarfotografie, befasst sich unter dem Titel "ME:WE" ebenfalls mit diesem Thema. Und das weitgehend mit dem Brückenschlag über Amerika, das in diesem Jahr Gastland ist.

"Amerika, du hast es besser", so hat es Johann Wolfgang von Goethe einmal formuliert. Und bis vor ein paar Jahren betrachteten auch hierzulande viele die USA noch als eine Art Traumland, das spätestens seit Donald Trumps Wahl zum Präsidenten nun plötzlich auf eine seltsame Weise zurück blickt. Dass Vieles in Amerika tatsächlich irritierend ist oder anders als in den alltäglichen Medienbildern, das machen viele der insgesamt 17 Fotoserien von 19 Fotografen in der Lothringer 13 klar. Die Galerie dient in diesem Jahr erstmals als Festivalzentrum. Dort findet neben der zentralen Foto-Ausstellung zum Thema "ME:WE" auch das vom 11. bis zum 15. Oktober dauernde Begleitprogramm statt, zu dem Gespräche, Vorträge, Workshops, Filmvorführungen, Performances und Buchvorstellungen gehören.

Trotz der angenehmen Konzentration auf einen Ort gibt es aber mit dem Amerikahaus noch einen Nebenschauplatz. Dort ist von Donnerstag an der zweite Teil einer Retrospektive des US-Fotografen Mark Steinmetz zu sehen. Der hat ein erkennbares Faible für die "kleinen" Leute, oder wie er vor ein paar Tagen in der Lothringer 13 gesagt hat: Für Leute, die "verletzbar" wirken, die nicht selbstbewusst ihren Erfolg hinaus posaunen und die tendenziell doch eher Außenseiter sind. Von diesen findet man auch in "ME:WE" zahlreiche Beispiele. Als totale gesellschaftliche Außenseiter sind etwa die über 100 Sexualstraftäter gebrandmarkt, die in Süd-Florida in einer eigenen Gemeinde leben. Florida hat eine der härtesten Gesetzgebungen für Sexualdelikte, nach denen jemand, der öffentlich uriniert, schon als Sexualtäter gilt. Sofia Valiente hat den Ort drei Monate lang besucht, sich persönliche Geschichten erzählen lassen und den Alltag dort fotografiert.

Auch Zara Katz und Lisa Riordan Seville machen in ihre Serie "Women On The Outside" zum Thema, wie das Gesetz das Ich als Strafe von der Gesellschaft trennt. Und wie Menschen wie Kristal Bush versuchen, die juristisch gezogenen Grenzen zu überwinden. Dafür hat sie vor sechs Jahren den Van-Service "Bridging The Gap" gegründet, der Menschen für ihre Besuche von Philadelphia zu entlegenen Gefängnissen fährt. Die Journalistinnen Katz und Seville haben Kristal im Bus begleitet, haben die Fahrerinnen und betroffenen Menschen porträtiert und werden das gesamte Projekt am Freitagnachmittag um 16.30 Uhr zusammen mit Kristal in der Lothringer 13 vorstellen. Wie man als Fotograf grenzüberwindend wirken kann, das ist etwa bei Richard Renaldi und Harris Mizahri Thema. Renaldi fotografierte Fremde auf der Straße, die für ihn als Paare vor der Kamera posieren sollten, und Mizahri bildet Zufallsbekanntschaften aus Bars oder von der Straße in gestellten Hotel-Szenerien ab. Bei Tim Davis und Ruddy Roye, die in den USA nach Spuren von politischem Verhalten und Protest gesucht haben, wird es dezidiert politisch. Genauso bei Christina Werner und Michael Danner, die in dem Fall für eine europäische Perspektive stehen. Werner arbeitet in "The Boys Are Back" die politischen Inszenierungen der neuen Rechten in Europa heraus und Danner zeigt in "Migration als Avantgarde", dass die "migrantische" Konfrontation von Ich und Wir eine bereichernde Erfahrung sein kann.

Fotodoks - ME:WE, Veranstaltungen bis 15. Okt., Ausstellung bis 26. Nov., Lothringer 13, Lothringer Str. 13, Programm unter fotodoks.de

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