Fotografie:36 Schüsse

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"Augen auf!" - eine Ausstellung zu 100 Jahren Leica im Kunstfoyer

Von Jürgen Moises

Auf Andreas Feiningers Bild "The Photojournalist" von 1951 sieht man den Magnum-Fotografen Dennis Stock, wie er sich eine Leica vors Gesicht hält. Objekt und Sucher der Kamera sehen dabei so aus, als würden sie die Augen des Fotografen ersetzen: Die Leica als Erweiterung des Körpers. Feininger hat mit dem Porträt seines Fotografen-Kollegen nicht nur eine Ikone der Fotografie-Geschichte geschaffen, sondern gleichzeitig ein Sinnbild für die von ihm benutzte Leica. Denn dass man sie gewissermaßen wie die eigenen Augen überall mit sich herumführen konnte, machte die 1913 von Oskar Barnack entwickelte und 1914 fertiggestellte Kleinbildkamera so revolutionär. Ihre Erfindung kündigte einen Paradigmenwechsel in der Fotografie an, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind.

Wie diese von Barnack noch als "Mikro Liliputkamera" bezeichnete Ur-Leica aussah, kann man in der Ausstellung "Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie" im Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung herausfinden. Dort ist ein exakter Nachbau der Kamera zu sehen sowie weitere Leica-Modelle aus den Jahren 1925 bis 2006. Diese Apparate sind aber nur ein Teil der beeindruckenden, von Hans-Michael Koetzle kuratierten Jubiläums-Schau, die zuvor in variierter Form bereits in Hamburg, Frankfurt, Berlin und Wien Station gemacht hat. Der Rest der Ausstellung, zu der auch ein hervorragendes Begleitbuch erschienen ist, besteht aus 450 ausgewählten Arbeiten von internationalen Leica-Fotografen aus den vergangenen 100 Jahren. Darunter unzählige Meilensteine der Fotografie-Geschichte von Andreas Feininger, Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Alexander Rodtschenko, William Eggleston und vielen mehr.

Im Focus einer Leica: John Bulmers "Frau mit Kinderwagen" 1965 in Liverpool. (Foto: John Bulmer/Kunstfoyer)

Auch von dem Ingenieur und Hobbyfotografen Oskar Barnack sind Bilder und Kurzfilme zu sehen. Der landete 1911 als Leiter der Mikroskopieabteilung bei der Firma Leitz und entwickelte dort zunächst eine Filmkamera. Mit dem Medium Film ist die Erfindung der Leica, deren Name als Abkürzung für Leitz Camera steht, auch eng verbunden. Denn im Gegensatz zu den Platten- und Rollfilmkameras nutzte Barnack einen 35-Millimeter-Kinofilm zur Belichtung. Mit der Besonderheit, dass er den Film horizontal statt vertikal durch die Kamera laufen ließ und das Negativformat zudem auf 24 mal 36 Millimeter vergrößerte. Die enormen Vorteile dieser bis heute in der analogen Fotografie zum Standard zählenden Technik waren eine verbesserte Bildqualität und die Möglichkeit, statt nur einem 36 Bilder zu schießen, ohne das Negativ-Material zu wechseln. Das Filmmaterial war zudem günstig. Die kurze Verschlusszeit und der spätere Einsatz von Wechselobjektiven waren weitere Vorteile.

Als Barnack seinem Chef Ernst Leitz II. im Jahr 1914 einen Prototyp zum Test auf eine Amerikareise mitgab, zeigte sich dieser sehr angetan. Bis zur Markteinführung der so genannten "Nullserie" sollte es wegen des Ersten Weltkriegs aber trotzdem noch elf Jahre dauern. Was, genau besehen, aber kein Nachteil war. Und aus heutiger Sicht wirkt das Erscheinungsjahr 1925, in dem Moholy-Nagy sein Buch "Malerei, Fotografie, Film" veröffentlichte, Gropius dabei war, das Bauhaus Dessau zu entwerfen und Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" in die Kinos kam, geradezu symbolisch. In die wilden, von Dynamik und Technik faszinierten Zwanziger passte die kleine, leichte und zudem optisch elegante Leica jedenfalls perfekt.

Die Ur-Leica von 1915. (Foto: Leica Camera AG/Kunstfoyer)

Ihr Siegeszug ließ nicht lange auf sich warten. In den Jahren bis 1931 wurden mehr als 58 000 Exemplare produziert. Unter ihren Abnehmern waren neben Profis, Amateuren und Quereinsteigern auch zahlreiche emanzipierte Frauen wie Aenne Biermann oder Ilse Bing. Dass die Ausstellung diese mit weiteren wichtigen Leica-Fotografinnen wie Sabine Weiss oder Barbara Klemm mit ins Bild rückt, gehört zu ihren Verdiensten. Dazu zählt auch die 1971 in Augsburg geborene Julia Beier, deren von ungewöhnlichen Perspektiven geprägte Schwarzweißbilder in der Tradition der 1920er Jahre stehen. Damals sprach man vom "Neuen Sehen", woran die Erfindung der Leica einen nicht zu unterschätzenden Anteil hatte. Mit dieser war es möglich, vom Zeppelin oder vom Wolkenkratzer aus zu fotografieren. Man konnte, wie Alexander Rodtschenko, die Welt in Schräglage zeigen, oder, wie Walter Vogel in seinem Bild "Dalmatiner . . . Kein Interesse an Fußball" von 1956, aus der Hundeperspektive.

Eingeteilt ist die Schau in 16 Kapitel. Neben dem "Neuen Sehen" ist dabei vor allem die Bedeutung der Leica für den Bildjournalismus Thema. Davon zeugen unter anderem Magazin-Fotos und Serien von Robert Lebeck, Alberto Korda oder dem britischen Farbfoto-Reportagen-Pionier John Bulmer. Weitere Themen sind die Fotografie der Kriegs- und Trümmerjahre, die Modefotografie und Strömungen wie die "Photographie Humaniste", die "Subjektive Fotografie" und die "New Color Photography", zu der neben William Eggleston auch der Schwede Keld Helmer-Petersen als zu Unrecht vergessener Vorläufer zählt. Einen relativ breiten Raum nehmen die "fotografierenden Autoren" ein. Damit sind Fotografen wie Robert Frank oder William Klein gemeint, die um 1960 damit begannen, vorwiegend im "Selbstauftrag" eigene Serien, Bücher und Ausstellungen zu kreieren. Am Schluss werden noch kleine Seitenblicke auf die weniger bekannten "Leica-Länder" Spanien, Portugal und Spanien riskiert. Das wirkt in der kleinen Auswahl beinahe etwas willkürlich. Nichtsdestotrotz sind auch hier wahre Entdeckungen zu machen, wie etwa Ramón Masats' Bild von Mönchen beim Fußballspielen. Ein großartiger Leica-Schnappschuss mit einem fliegenden Mönch im Tor.

Walter Vogels "Dalmatiner . . . Kein Interesse an Fußball" wurde 1956 in Düsseldorf mit einer Leica aufgenommen. (Foto: Walter Vogel/Kunstfoyer)

Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie, bis 5. Juni, Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung, Maximilianstr. 53

© SZ vom 30.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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