Fotografie:San Francisco an der Isar

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Die Ausstellung "Stefan Moses: Blumenkinder" läutet die Erinnerung an die zum Mythos verklärten Sechzigerjahre ein. Die Fotografien erzählen von einem Lebensgefühl, das sich nur Wenige in einer moralisch reglementierten Gesellschaft erlaubten

Von Eva-Elisabeth Fischer

Fotografie: Stefan Moses. So muss der korrekte Fotohinweis lauten. Stefan Moses duldet die Kurzform nicht für das, was er schuf. Denn was in Druck geht, ist kein Schnappschuss, sondern ein präzise vorbereitetes Kunstwerk. Von Stefan Moses gibt es ein herausragendes, sozusagen dreiäugiges Selbstporträt, aufgenommen in einem Spiegel. Seine Nikon verdeckt sein Gesicht bis knapp unter die schmalen Augen, mit denen er sein Konterfei fixiert wie eine Wildkatze kurz vor dem Sprung. Das ist nur ein scheinbarer Widerspruch in sich, entkräftete Moses doch das Verdikt zum Mythos, wonach im Bruchteil einer Sekunde der entscheidende Moment, den Auslöser zu drücken, über die sublime Aussage eines Fotos entscheide. Er inszenierte Serien solcher Augenblicke sorgfältig, um dann in Diptychen oder Triptychen die Geschichte der abgebildeten Menschen mit Requisiten ihres Lebens in ihrer Zeit zu erzählen. Er fing sie bildnerisch ein, deren Gesten, deren Körpersprache, die man betrachten kann wie die Details von den Stills eines Films, der dann im eigenen Kopf abläuft.

Im Katalog zu seiner Ausstellung "Stefan Moses: Blumenkinder" verdeckt das Objektiv das Gesicht des Fotografen ganz. Der Künstler selbst macht sich unsichtbar hinter seinem Werk oder besser: hinter seinem Werkzeug. So haben ihn wohl auch jene jungen Leute erlebt, die er 1967/68 einlud, sich vor dem grauen Tuch fotografieren zu lassen, der obligatorischen Kulisse für seine Bildsequenzen, die er einst - damals noch als Theaterfotograf - in den Münchner Kammerspielen abgestaubt hat. Moses hatte seine Blumenkinder auf der Straße angesprochen. Sie blieben anonym bis heute. Es wäre wohl ein besonderer Moment, könnte man sie live beim Betrachten ihres jungen Selbst 50 Jahre früher sehen. Sie würden vielleicht lächeln und dabei leise "San Francisco" von Scott McKenzie summen in der Erinnerung an damals - wie so manche andere künftige Besucher, die alt genug sind, das alles selbst miterlebt zu haben, um sich zu erinnern: Ach, so einen Samtmantel, den trug man damals auch - Oma-Look statt Minikleid oder Schlaghose. Und ja, man gehörte vielleicht zu den Mädchen und Jungen, die sich die Haare zum Afro kräuseln ließen, das Bild der amerikanischen Bürgerrechtlerin Angela Davies im Hinterkopf.

Der Großteil der meist großformatigen Bilder, um die es hier geht und die von diesem Dienstag an im Literaturhaus zu sehen und auch käuflich zu erwerben sind, wurde in all den Jahren nie veröffentlicht. Tanja Graf war zufällig durch einen Hinweis der Verlegerin Elisabeth Sandmann mit Moses in Kontakt gekommen. Denn auch die Leiterin des Literaturhauses wollte mittels einer Ausstellung etwas zur 50. Wiederkehr der "Zeitenwende 1968" beitragen. Und was eignete sich da besser als die Fotografien des von Christoph Stölzl trefflich porträtierten Deutschlandchronisten Stefan Moses, der im Jahr 2018 auch noch seinen 90. Geburtstag feiert.

Da er selbst schon als Fotoreporter des Stern die Sensation des Augenblicks verweigerte und deshalb antizyklisch arbeitete, verschwanden die Fotos der Schwabinger Hippies im Archiv. Statt Bildstrecken der freizügigen Uschi Obermaier und ihrer Kommunarden auf den Markt zu werfen, fotografierte Moses lieber die Schriftstellerin Annette Kolb und die Schauspielerin Tilla Durieux im Wald. Blumenkinder im konservativen München, das war nie mehr als eine Randnotiz der Stadtgeschichte, die Moses in seiner Schwabinger Wohnung seit dem Jahr 1950 selbst miterlebte. Aber deren in ihrer Sanftheit aufrührerische Lebensart erschien Moses dennoch interessant genug, sie zu fotografieren.

1968 gestattete die Pille auch den Frauen die freie Liebe. Besonders Gewiefte bauten ihr Gras an versteckten Stellen im Englischen Garten an oder züchteten Hanf daheim unter Blaulicht, um dann ihren Home-grown in Tütchen am Monopteros zu rauchen. Derlei Anekdotisches mag einem bei seinen Fotografien in den Sinn kommen. Die Schöne im schwarzen, knöchellangen Kleid, die Moses beim Drehen eines Joints fotografierte und deren 17 Fotografien sich leitmotivisch durch die Ausstellung ziehen, schert sich nicht darum, wenn eine ihrer Brüste aus dem Ausschnitt rutscht. Die Situationen, in denen Moses abgedrückt hat, zeigen sie allein und wie sie mit einer Freundin den Joint teilt oder ungeniert ihren Freund küsst. Sie verkörperte, genauso wie der junge, zärtliche Vater mit seinem Säugling, ein neues Lebensgefühl Weniger, das von der Mehrheit der bürgerlichen Gesellschaft verteufelt wurde.

Stefan Moses dokumentierte sie, die provozierenden Künstler-Aktionen, Arnulf Rainers Frauenbemalung wie auch die nackigen Maler Ernst Fuchs und Friedensreich Hundertwasser in der Galerie Hartmann. Sie lassen einen unwillkürlich daran denken, wie Paul und Limpe Fuchs mit Friedrich Gulda bei einem der Weißen Feste in der Max-Emanuel-Brauerei hüllenlos ein Konzert-Happening veranstalteten. Je öfter man durch die Ausstellung kreist, desto mehr kommen einem auch die ideologischen Irrläufer der neuen Bewegung in den Sinn. Die Teilnehmer einer Selbsterfahrungsgruppe sind nicht so weit entfernt von den Sannyasins, die alles hinter sich ließen, um sich von Bhagwan in Poona versklaven zu lassen. Und die Kehrseite der lieblieben Blumenkinder, das waren die Mörder der Manson Family.

Blumenkinder - Fotografien von Stefan Moses, Mi., 20. Dez., bis So., 25. Feb., Literaturhaus, Programminfos: www.literaturhaus-muenchen.de

© SZ vom 19.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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