Fotoausstellung "Privat" in Frankfurt:Hauptsache heimlich

Fotoausstellung "Privat" in Frankfurt: Künstler wie Ryan McGinley ("Marcel, Ann & Coley" von 2007) lassen die gute alte Nacktheit als Zeichen von Freundschaft und Direktheit aufleben.

Künstler wie Ryan McGinley ("Marcel, Ann & Coley" von 2007) lassen die gute alte Nacktheit als Zeichen von Freundschaft und Direktheit aufleben.

Muss das sein? Die Frankfurter Ausstellung "Privat" zeigt viel Nacktheit und Sex. Das Bild "Mom Pulling Down Panties" zeigt zum Beispiel die Mutter eines Künstlers beim Geschlechtsverkehr. Auch halbnackte Jugendliche im Kinderzimmer sind zu sehen. Vom Kommerz um die Intimität erzählt sie nichts, sondern befeuert lieber einen neuen Voyeurismus.

Von Catrin Lorch

Wenn ein Ausstellungshaus zum zweiten Mal in Folge Kabinette mit dem Hinweis absperren muss, dass das Gezeigte als Zumutung nicht nur für Kinder, sondern für alle gesehen werden kann, sollte man sich als Kurator Gedanken über das Ausstellungsprogramm machen. Nachdem im Sommer im hintersten Teil der Schirn die panoramabreiten Sexfantasiegemälde hingen, auf denen Jeff Koons in volltönendem Realismus den Beischlaf mit seiner Exfrau, der italienischen Pornodarstellerin Ilona Staller, ausmalte, moderiert die Schirn derzeit wieder Bilder mit dem nur vordergründig vorsichtigen Vermittlungstext an - eigentlich sagt der Warnhinweis ja, dass es jetzt richtig zur Sache geht, dass hier die Sensationen warten.

Rubriziert unter "eingeschränkt zumutbar" wird jetzt beispielsweise die Projektion "Untitled" von Mike Bouchet, die von weitem aussieht wie ein waberndes, orangebeiges Fliesenmosaik, tatsächlich aber aus wohl Hunderten winziger Sexclips zusammengekachelt ist. Und "Mother Fucking in Mirror" oder "Mom Pulling Down Panties" sind keine Fantasien oder Fundstücke, sondern Fotografien, für die Leigh Ledare - ein Künstler aus dem Umfeld von Larry Clark - seine Mutter beim Sex mit jungen Männern dokumentiert.

Bild vom privaten Heim als Abgrenzung gegenüber dem öffentlichen Raum

Und schon an diesen beiden Beispielen zeigt sich, warum die Ausstellung "Privat", die derzeit in der Frankfurter Schirn zu sehen ist, grundsätzlich falsch gedacht ist. Es ist nicht der latente Voyeurismus, der ist nur unangenehm. Es stört ein zu pubertärer Begriff vom "Privaten", privat ist nämlich vor allem, was man im eigenen Zimmer oder unter der Decke treibt, also etwa Drogen und Sex.

Dass Künstler wie Nan Goldin oder Mark Morrisroe in den frühen achtziger Jahren genau das thematisierten, bedeutete damals etwas ganz Anderes: Es ging darum, das eigene Selbst manifest werden zu lassen und gleichzeitig ein Statement zu schaffen für Schwulsein, Subkultur, eine Gegenwelt der bürgerlichen Öffentlichkeit. Bilder, die drastisch und schön zugleich waren. In überblitzten Nachtaufnahmen von Transvestiten, Parties, Männerklos, Injektionsnadeln, jungen Körpern, Betten und Küchen entstand auch ein visueller Code für Nähe, Ehrlichkeit, eine gewisse Schonungslosigkeit, aber auch Verliebtheit, mit der man dem eigenen Körper begegnete. Was aber auch schon gut dreißig Jahre her ist und fast übergangslos von den Medien und vor allem der Werbung und Modefotografie geschluckt wurde, bis in den Neunzigern mit dem "heroin chic" sogar ein Stilbegriff daraus wurde, eine Inszenierungsoption der Bildindustrie unter vielen.

Ob die Ausstellung "Privat" an diese historische Perspektive noch einmal anknüpfen will, sei dahin gestellt, offensichtlich will man diese hoch attraktiven Motive noch einmal zeigen - und noch ein paar aktuellere Kunst-Ikonen wie den jung verstorbenen Dash Snow dranhängen. Aktualisiert wird der alte Diskurs jetzt durch den Verweis auf die neuen "Tools", wie Martina Weinhart, die Kuratorin, in ihrem Essay schreibt, Werkzeuge wie das "unerbittliche" Netz, das sie als Panorama der Peinlichkeiten beschreibt, bevor sie eine Epoche der "Post-Privacy" ausruft und noch einmal mit Roland Barthes' "Die helle Kammer" den "Einbruch des Privaten in den öffentlichen Raum" konstatiert.

Nichts Neues

Das ist nicht neu. Und die Ausstellung selbst reduziert die angedeutete Weite der Argumentation empfindlich: Schon weil der Rundgang mit Amateurfotos einsetzt, für den Hausgebrauch produzierten Filmen, alten Foto-Alben, die ausgebreitet sind wie ein urtümlicher Naturzustand der privaten Bildherstellung; Vaters Heimkino als solches wird genauso wenig in Frage gestellt wie das autoritär-bürgerliche Bild vom privaten Heim als fugendichte Abgrenzung gegenüber dem öffentlichen Raum - und so gelangen künstlerische Konzepte, von Tracey Emins ungemachtem Bett bis zu dem ausschließlich in einen Chatroom verlagerten Gespräche Christian Jankowskis mit seiner Geliebten Una Szeemann, in einen sexualisierten, vor allem auf Heimlichkeit zielenden Kontext.

Und deswegen ist die Ausstellung nicht Aufklärung, sondern Nebelwerfer: Im Jahr 2012 hat man sich schon darüber erregt, dass Mädchen nicht mehr nur vor dem Spiegel ihre Körper in Posen, Gesten, Verkleidungen ausprobieren, sondern vor der Webcam, über die prinzipiell jeder zugeschaltet ist. Ungut ist aber, dass die Ausstellung offensichtlich vor allem der Verlockung dieser Momente erliegt, wo sie Fotografien von Baden Evan zeigt, der "Megan" und "Emily" ins Kinderzimmer gefolgt ist, und zeigt, wie sie ihre halbe Nacktheit in die Kamera recken. Die verstellt jetzt den Blick auf jede andere Fragestellung, die darüber hinaus reicht, ob das jetzt peinlich oder tieftraurig ist. Allein Boris Groys weist in seinem Katalog-Essay auf die ambivalente Bedeutung von "privat" hin, das zwar durchaus Sexualität gegen die öffentliche Moral abgrenzt, darüber hinaus aber auch die "(private) Wirtschaft versus (öffentliche) Politik" meint.

Entblößend ist längst nicht mehr die Nacktheit

Ist das Netz dafür einfach nur ein erweiterter Rahmen? Hätte man nicht nur auf die grellen, intimen Motive fokussiert, man hätte schnell zeigen können, wie aktiv das Web ist, das Rückmeldungen einfordert, Kontakte forciert, auf einmal geknüpften Verbindungen besteht, Formate vorgibt. Peter Piller führt anhand monoton einander gleichender Posen (Frauen lehnen an Baumstämmen) vor, wie normativ die Medien herstellen, was sie zu spiegeln vorgeben. In diesem Sinn ist das Internet keine Rohrpost, sondern ein Ort der Produktion. Die Ausstellung bildet dagegen die Erzeugnisse dieser Bildermaschine ab, statt die Verhältnisse zwischen elektronischer Überwachung, Facebooks Lifeline, Gesichtserkennungs-Software, der Auswertung von Konsumentenentscheidungen oder den Algorithmen der Kaufvorlieben auch nur anzudeuten.

Dass sich hier neue Fronten auftun, dass es nicht mehr die alten Erregungslinien sind, entlang derer die Neugierde auf Persönliches zum Übergriff wird - das alles hätte "Privat" zeigen müssen, damit aus einem Bilderbogen so etwas wie eine politische Ausstellung wird: Entblößend ist längst nicht mehr die Nacktheit, sondern, welche T-Shirt-Marken und Turnschuhe man zu kaufen bereit wäre, sollte man sich wieder anziehen.

Privat. Bis 3. Februar, Schirn Kunsthalle Frankfurt.

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