Foto-Wettbewerb "Talents":Göttlicher Blick

Christoph Engel interessiert sich für Strukturen, für die Ordnung über den Dingen und das oft übersehene Besondere im Alltäglichen. Seine Bilder von ganz weit oben zeigen, wie der Mensch die Welt verändert hat, von minimalen Eingriffen bis zur ökologischen Katastrophe. Neues aus der Reihe "Talents".

Ruth Schneeberger

14 Bilder

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Quelle: Christoph Engel c/o Berlin

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Fotograf Christoph Engel interessiert sich für Strukturen, für die Ordnung über den Dingen und für das Besondere im Alltäglichen, das oft übersehen wird. Seine Bilder zeigen die Welt von ganz weit oben - und er hat sie nicht mal selbst fotografiert. Neues aus der Reihe "Talents", immer am Montag.

Engels Fotos zeigen den Blick auf eine Welt, die, von oben gesehen, verblüffend strukturiert ist: Dichtbebaute Siedlungen wirken wie ornamentale Malerei, landwirtschaftliche Felderkreise erinnern an florales Design für Stoffmuster.

Text: Ruth Schneeberger/sueddeutsche.de

Alle Bilder: Christoph Engel/ c/o Berlin 

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Quelle: Christoph Engel c/o Berlin

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Der Fotograf zeigt die Welt und ihre Oberflächenstruktur aus einer ungewöhnlichen Perspektive: Kleinteilige Strukturen von Natur- und Stadtlandschaften fügen sich aus der Distanz zu großen Formationen. Der geradezu göttliche Blick von oben schafft aus den Flächen und Linien neue Bilder von formaler Klarheit - und trügerischer Schönheit. Denn was Engel eigentlich zeigen will, sind die gravierenden Eingriffe des Menschen in die Natur und die radikale Umwandlung ganzer Landstriche bis hin zur ökologischen Katastrophe. So weit hat der Mensch in die Natur eingegriffen, dass die von ihm bevölkerten und beackerten Gebiete und selbst die scheinbar unberührten Landstriche ihre Natürlichkeit weitgehend verloren haben. Das zeigt umso besser die Perspektive, ...

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Quelle: Christoph Engel c/o Berlin

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... mithilfe derer sich der Betrachter aus der Unübersichtlichkeit des Erdenlebens erheben kann: Ganz unten, mitten im Gewusel, sind Strukturen kaum erkennbar. Von oben aber wirken Teile der Erde fast wie ein Mikrochip: durchstrukturiert, auf nahezu reibungsloses Funktionieren programmiert und wie von einer höheren Macht entworfen.

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Quelle: Christoph Engel c/o Berlin

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Mit seiner Foto-Reihe "Ungefähre Landschaft" entlarvt Christoph Engel nicht nur die freie Landschaft als Konstruktion und Naturdesign, seine Bilder sind selbst konstruiert. Engel hat die Motive nicht selbst fotografiert, sondern mehrere hundert Einzelbilder zu digitalen Collagen verarbeitet. Verwendet hat er dafür das frei zugängliche Material von "Google Earth", das er Bild für Bild zu einem großen Ganzen zusammengefügt hat.

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Quelle: Christoph Engel c/o Berlin

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Dabei verzichtet der Künstler bewusst auf konkrete Ortsangaben, um nach einer übergeordneten Struktur von Landschaft zu suchen. Für seine Foto-Reihe wurde Engel vom Fotomuseum c/o Berlin im Fotografie-Nachwuchs-Wettbewerb "Talents" 2009 ausgezeichnet - zusammen mit Kunstkritikerin Ulrike Westphal, die ihn für den Wettbewerb interviewte. Auf ihre Frage, warum auf seinen Bildern, auch den früheren, immer nur Landschaften und nie Menschen zu sehen sind, und ob das an seiner besonderen Naturverbundenheit liege, antwortet Engel:

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Quelle: Christoph Engel c/o Berlin

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"Ich würde mich nicht unbedingt als einen naturverbundenen Menschen bezeichnen. Ich habe mich im urbanen Umfeld immer sehr wohl gefühlt und Landschaft nur bei Spaziergängen oder kurzen Ausflügen konsumiert. Bis ich bei einer Reise in die Schweiz eine starke Faszination der Berge gespürt habe. Das war für mich ein Wendepunkt - auch in meiner fotografischen Entwicklung. Bis dahin hatte ich mich mit Stadtlandschaften und Architektur beschäftigt. Ich begann zu hinterfragen, wie diese Faszination eigentlich entsteht und welche Konstruktion hinter dem Begriff Landschaft steckt. Im Rahmen meiner Diplomarbeit wollte ich meine eigene Konstruktion überprüfen. Zwei Monate habe ich auf einer Alp in den Bergen Graubündens verbracht, Kühe gehütet, Käse gemacht, Wind und Wetter getrotzt - und versucht, die Wandlung meiner inneren Bilder fotografisch auszudrücken. Schon meine Architektur- und Stadtaufnahmen waren menschenleer. Nicht, dass mich der Mensch nicht interessieren würde. Ich habe eher versucht, ihn über seine Spuren in der Umwelt zu beschreiben. Denn sobald Menschen oder Gegenstände auftauchen, schieben sie sich durch den Akt der Wiedererkennung in den Vordergrund und der Inhalt wird oft wichtiger als das fotografische Bild."

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Quelle: Christoph Engel c/o Berlin

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Dabei unterscheidet Engel Auftragsfotografie, die nach seiner Definition über das Bild hinaus auf das Objekt verweist, von künstlerischer Fotografie, die auf ihre eigene Künstlichkeit verweist und das Fotografische an sich thematisiert, die also das Fotografieren und das vermeintliche Abbilden von Realität selbst zum Thema macht. "Für mich ist die Fotografie ein Akt des Beobachtens", so Engel. "Fotografie ist eher eine Reaktion - im Gegensatz zur Malerei, die für mich einen aktiveren Charakter hat."

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"Es geht für mich darum", erklärt Engel, "von der Welt um mich herum eine spezielle Perspektive zu haben, meine persönliche Sichtweise abzubilden, sie in Bildern zu dokumentieren. Am meisten haben mich dabei immer Strukturen und Ordnung interessiert. Oder das Besondere im Alltäglichen, das meist übersehen wird, aber für jeden offensichtlich ist."

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"Es ist für mich wichtig", so der Fotograf, "gewöhnliche Standpunkte einzunehmen, ohne besondere technische Hilfsmittel einzusetzen oder außergewöhnliche Anstrengungen zu unternehmen, um an Orte zu kommen, die der Öffentlichkeit ansonsten nicht zugänglich sind. Diese Arbeit mit Fremdmaterial ist meine Perspektive auf eine Parallelwelt, wie sie Google zur Verfügung stellt. Es vergeht ja kaum eine Nachrichtensendung, bei der nicht in Google Earth an besondere Orte herangeflogen wird. Dadurch bekommt das Bildmaterial einen objektiven Charakter mit ebenfalls hoher Realitätsbindung. Und es ist weltweit jederzeit für alle, die über Internetzugang verfügen, sichtbar - also auch alltäglich. Ich fand es sehr interessant, mich mit der Institution Google auseinanderzusetzen. Wie der Konzern verschiedene Ausschnitte von Satellitenbildern unterschiedlicher Genese verwendet und zu einer kompletten Welt zusammensetzt, auf die dann auch noch eine Matrix mit unterschiedlichen Höhen und Wetterdaten appliziert wird. Mit der Möglichkeit, private Fotografien mit bestimmten Orten zu verlinken. Bis hin zu dem "Streetview"-Projekt, bei dem Spaziergänge mit Rundumblick möglich werden. Ich sah in dieser aufwändigen und zum Teil auch beängstigenden Konstruktion für mich eine Möglichkeit, eine Landschaft oder einen Ort darzustellen, ohne physisch dort gewesen zu sein."

Auf Engels Bildern wirken Golfplätze in der Wüste wie ausgebreitete Handflächen ...

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... und Treibhausdächer bilden ein erstaunlich schönes Mosaik. "Es geht mir aber nicht darum, einen speziellen Ort zu zeigen, sondern die übergreifende Struktur und Ordnung über den Dingen. Eine für mich ganz maßgebliche Besonderheit dieser Bilder ist das Fehlen des grundlegenden Charakters der Fotografie: der Zeit. Fotografie ist immer ein eingefrorener Moment zu einem bestimmten Zeitpunkt. Das Quellmaterial von Google bleibt aber zeitlich unbestimmt, die Angaben variieren stark. Teilweise ist ein Tag als Aufnahmedatum angegeben, oft aber nur der Monat oder das Jahr. Außerdem überschneiden sich in den einzelnen Bildern der Serie oft mehrere Fragmente, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgenommen wurden. Es fehlt also nicht nur die Zeit, sondern auch die Gleichzeitigkeit."

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Christoph Engel erklärt seine Motivation, Google für seine Arbeit zu verwenden: "Im klassischen Sinne wird Fotografie immer wieder als chemisch-technischer Vorgang bezeichnet. Nicht zuletzt die Revolution der digitalen Fotografie stellt diese Definition aber vehement in Frage. In ihrer ursprünglichen Funktion bestand die Fotografie in der Abbildung und Fixierung lichtabstrahlender Objekte - Dinge der menschlichen Umgebung, Personen, Landschaft. Der Fotograf ist dabei der Autor. Die fotografische Kunst ist, das Besondere in der Wirklichkeit zu sehen, bevor es als ein Bilddokument festgehalten werden kann und damit Vergangenheit wird. Die Augenblicklichkeit und die Direktheit ihrer Wahrnehmung sind die Stärken der Fotografie. Für Janos Frecot (Gründer der Photographischen Sammlung am Landesmuseum Berlinische Galerie, Anm. d. Red.) ist der Fotograf immer im Bild anwesend, auch wenn er abwesend ist. Die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst und Fotografie zeigt, dass es eine künstlerische Autorenschaft geben kann, auch wenn das Ursprungsmaterial nicht durch den Künstler selbst hergestellt wurde."

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"In meinem Fall nutze ich die Möglichkeiten eines Programms, ein Abbild einer Konstruktion zu erstellen, das auf den ersten Blick wie das Vorbild erscheint. Ähnliche Bilder selbst zu fotografieren, hätte mich nicht gereizt", so Engel. "Erst durch die Konstruktion einer Welt mit diesen Bildern durch Google Earth entstand für mich so etwas wie ein gewöhnlicher Standpunkt und der Reiz einer Auseinandersetzung. Jedes Bild zeigt, dass es nur ein Foto ist und dass die Fotografie keinesfalls objektiv ist. Der Detailreichtum und die hohe Bildauflösung, die durch das Zusammensetzen der Fragmente entsteht, verführen zur Neugier. Doch je genauer man hinsehen will, umso weniger erkennt man. Die Betrachtung und die Vorstellungskraft des Einzelnen konstruieren das Bild jedesmal neu, als würden diese Bilder in der Realität existieren. Ich komme als Autor immer in meinen Bildern vor, weil ich auf etwas zeige. Weil ich darstelle, wie ich etwas gesehen habe. Ich bin immer darin, allein schon durch die Motivauswahl und den Ausschnitt."

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Christoph Engel, Jahrgang 1975, hat an der Fachhochschule Dortmund Kommunikationsdesign und Fotografie studiert, arbeitet als Fotograf und Buchgestalter und hat verschiedene Lehraufträge für Typografie, Fotografie und Neue Medien. Er lebt in Karlsruhe.

Seinen Schwerpunkt Landschaftsfotografie will der Künstler zwar weiter verfolgen, sich aber weiterentwickeln: "Wer weiß: Vielleicht fotografiere ich demnächst auch Blumen? Oder vielleicht sogar einmal Menschen?"

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Quelle: Christoph Engel c/o Berlin

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Und Sie sehen nächsten Montag ausschließlich Bilder von Menschen: Ivonne Thein fotografierte junge Damen an der Grenze zur Unappetitlichkeit, heruntergehungert und als Magermodels posierend. Damit thematisiert die Fotografin die ewige weibliche Frage: Bin ich schön? Bis nächsten Montag!

© sueddeutsche.de/rus/pak
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