Forensisches Hören:Alternative Fakten

Forensisches Hören: Vom Englischen Garten aus sendete Radio Free Europe in die Welt.

Vom Englischen Garten aus sendete Radio Free Europe in die Welt.

(Foto: PR)

Lawrence Abu Hamdans "Audio Archiv" bei PAM

Von Evelyn Vogel

Manchmal sieht man es noch in alten Filmen: Irgendwer schraubt am Radio herum, um in einem Meer aus Rauschen und Kratzen einen Sender zu finden und klar zu empfangen. Nicht irgendeinen, sondern einen von der jeweiligen Regierung verbotenen. Im Zweiten Weltkrieg informierten sich die Deutschen über sogenannte "Feindsender" wie die BBC über die von der Nazi-Propaganda geschönte Lage des Krieges. Im Kalten Krieg funkte Radio Free Europe (RFE) meist über Kurzwelle seine Sendungen (finanziert von der CIA) gegen die kommunistische Propaganda in die Länder hinter dem Eisernen Vorhang. Denn man war überzeugt: "The Iron Curtain is not Soundproof." Die Sowjetunion wurde allerdings auch nicht müde, ihren Bürgern durch Störsender den Empfang zu erschweren.

Für Joanna Warsza, die Kuratorin des aktuellen städtischen Kulturprogramms Public Art Munich (PAM), sind dies ganz persönliche Kindheitserinnerungen - an den Störfunk bei Radio Free Europe und an ihre Großeltern in Warschau, die durch Drehen am Radioknopf gegen dieses sogenannte "Jamming" des Radiosignals ankurbelten. Als Warsza vor mehr als zwei Jahren die Recherche für PAM begann, stieß sie in München auf die Verbindung zu dieser Erfahrung aus der Kindheit. Denn das Studio von RFE war jahrzehntelang im Englischen Garten. Heute befinden sich dort das Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft. Und bis heute künden Studioeinrichtungen von der Geschichte des Gebäudes.

Der als "artist researcher" bekannte Künstler Lawrence Abu Hamdan erforscht in seinem forensischen Audio-Archiv seit 2012 die Politik des Hörens, den Gebrauch der Stimme, die Ideologie der Redefreiheit und die Konstruktion von Wahrheit. Man könnte das auch als eine Forschungsvariante an "Alternative Facts" verstehen. In der ehemaligen RFE-Zentrale hat Abu Hamdan für PAM zehn Hörstationen eingerichtet. In den Tonaufzeichnungen geht es beispielsweise darum, wie Aufnahmen von Regierungsinstitutionen als Beweismittel eingesetzt werden, welche Technologien für die Stimmidentifikation entwickelt wurden oder auch die umstrittene, in England praktizierte Stimmanalyse zur Herkunftsbestimmung von Asylsuchenden über den Akzent. Die Besucher werden mit Kopfhörern umhergehen und versuchen, die einzelnen Stationen klar zu empfangen - Überlagerung von Tonspuren und Störgeräusche inklusive.

Lawrence Abu Hamdan: Aural Contract Audio Archive; Forensisches Hören im ehemaligen Studio von Radio Free Europe, LMU Fachbibliothek Englischer Garten, Oettingenstraße 67, Fr., 6. Juli, 18-22 Uhr, Sa./So., 7./8. Juli, 10-18 Uhr.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: