Foreign Affairs-Festival:Verflucht sei der Mensch

Probe zu Mount Olympus von Jan Fabre im Festspielhaus Berlin

Die Logik auf dem Olymp: Die Frauen folgen ihren Gefühlen und morden aus Rache - und dabei fließt reichlich echtes Tierblut.

(Foto: Wonge Bergmann)

Das 24 Stunden dauernde Götter- und Griechen-Spektakel "Mount Olympus" des Theatermannes Jan Fabre.

Von Eva-Elisabeth Fischer

V für victory, Sieg. Etwa zur 18. Stunde der Aufführung in Berlin legen die Sieger ihre zum V gestreckten Zeige- und Mittelfinger an die Mundwinkel und züngeln durch den Spalt. Allem Blut, aller Nacktheit, allen vorwiegend autoerotischen Handlungen zum Trotz ist dies die einzige wirklich obszöne Szene in den 24 Stunden, die "Mount Olympus" währt, Jan Fabres gewalttätiges, oft über die Maßen komisches, hoffnungsloses, schließlich alles in allem sehr abgeklärtes Spektakel, mit dem er "den Kult der Tragödie zu glorifizieren" gedenkt. Der Mutter-mordende Orest, die Kinder-mordende Medea, der gequälte Philoktet, sie fehlen noch in diesem Generationenreigen von Tätern und Opfern, das seinen Anfang nahm vor 3000 Jahren im und um das Geschlecht der Atriden in und um den Trojanischen Krieg.

Die Geste ist obszön, weil sie den Wahnsinn anzeigt, wie ihn der feiste Gott Dionysos (Andrew Van Ostade) und sein weibliches Pendant (Barbara De Coninck) in kultischen Exzessen entfachen. Das Züngeln verrät Gier und Gewalt, die Götter, Halbgötter und Menschen zu blutrünstigen Monstern entfesseln. Diesen sich ununterbrochen fortsetzenden Irrsinn verhandelt der flämische Theatermann und international hoch gehandelte bildende Künstler Jan Fabre bei der Uraufführung seines Stücks beim Berliner Festival Foreign Affairs nicht als Aktualisierung griechischer Tragödien. Sein Blick auf die Mythen denkt die Gegenwart mit.

Im Haus der Berliner Festspiele verausgaben sich 27 Männer und Frauen aus vier Generationen von "Kriegern der Schönheit", wie Fabre seine Darsteller nennt. Els Dekeukelier ist unter ihnen, ein Bühnentier, seine blonde Muse in allen frühen Stücken in den Achtzigerjahren. Außerdem Renée Copraij, die unentbehrliche dunkle Schöne aus seinen Arbeiten in den Neunzigern. Dazu der narzisstisch-extrovertierte und dabei zutiefst ergreifende Ex-Forsythe-Tänzer Antony Rizzi und der bestechend klare Cédric Charron.

Weiter, weiter, über allen Schmerz hinweg

Tierinnereien quellen den Akteuren aus Windelhosen und färben ihre weißen Kleider rot. Prometheus, der Feuerdieb, erscheint als Mensch und Adler zugleich, ein Mythentier, das schwer an seiner gemarterten Leber schleppt. Mit ihm fängt die Blutmaschine an zu mahlen. Innereien, kiloschwer, bald allüberall, Gekröse als Halsschmuck. Der Mensch wandelt auf Leichenbergen, hier begleitet von monotonen Elektro- Tönen oder dramatischen Opernarien. Der Mensch ist nackt. Am Ende eines ganzen Tages und einer Nacht der Aufführung ist dieses Nacktsein so selbstverständlich, dass es für den Betrachter völlig gleichgültig ist, ob er auf weiß bemalte Wiedergänger schaut, auf Toga-Umschürzte oder auf völlig Entblößte. Immer erscheinen sie rein, auch wenn sie sich erdbeschmiert an einer Topfpflanze reiben und in ihrer Lust zum Narren machen.

Das wiederkehrende Crescendo chorischen Stöhnens ist Teil einer Partitur über den sich entäußernden menschlichen Körper. Denn Fabre und den Seinen ist nichts Menschliches fremd, nicht die Körperflüssigkeiten, nicht sämtliche Varianten mentaler und emotionaler Abgründe.

Ihr Kontrollverlust geschieht aus tatsächlicher Erschöpfung, wenn sie beispielsweise ein Kriegslied skandieren und dabei mehr als 20 Minuten lang Seil springen über eine Metallkette, bis eine Tänzerin strauchelt und ein anderer sich vor Schmerzen krümmt, um sich dann doch wieder hochzurappeln. Oder wenn die untote Iphigenie zusammen mit Klytämnestra den Kriegsheimkehrer Agamemnon so lange umkreisen, bis die eine sich übergibt und die andere stürzt. Weiter, weiter, angefeuert vom Publikum, über den Schmerz und die Schwäche hinweg, das ist eines der Leitmotive dieses Tragödien-Marathons, metaphorisch fürs Menschenleben und dabei in diesem Augenblick doch brutal real.

Ein anderes ist die Auflösung von Zeit, ein Bühnenphänomen, das Fabre durch endlose Wiederholungen ausreizt. Durch die immer gleiche Aktion, den immer gleichen Monolog kann Fabre die Zeit ins Unerträgliche zerdehnen - aber auch erstaunlich raffen.

Jan Fabre hat seinen Bilderwelten nun endgültig die Symmetrie ausgetrieben. Die Auflösung der exakten Form im Chaos praktiziert er schon länger. In "Mount Olympus" geschieht sie exzessiv, getaktet mit der bei ihm gewohnten Präzision. Aber nun, mit 57 Jahren, lässt er das Gelächter Einzug halten. Nach ungefähr sechs Stunden Spieldauer mochte man meinen, das Grauen sollte weggelacht werden in überraschend komischen Szenen.

Etwa am nächsten Morgen: Medea als Callas verkleidet beim Vogue Dance, dem Tanz der New Yorker Schwulen. Unter der Perücke steckt der hochdramatische Antony Rizzi. Etwa zwei Stunden später wird er sich als blinder Seher Theresias vorwärtstasten. Da ist dann auch schon wieder Schluss mit lustig.

"Mount Olympus" bietet die Erkenntnis, dass sich das Morden von Geschlecht zu Geschlecht fortsetzt - bis heute. Politische Konsequenzen fehlen. Und die Katharsis?

Die Katharsis fällt am Ende mit den Performern in den Dreck, eine krude Mischung aus Öl, Staub und Körperfarben, der rechte Grund für wilde Tänze, rhythmisch aufgeheizt mit den heißesten Beats. Dionysos zuckt. Das Publikum tobt. Blutgeruch in der Nase und zu viele mächtige Bilder im Kopf halten den Zuschauer noch in der darauffolgenden Nacht wach. Der Schlaf gebiert Ungeheuer. Der Schlafverweigerer Jan Fabre bringt sie hellwachträumend hervor.

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