Folter im Irak:Die 120 Tage von Bagdad

Der Krieg ist der Vater der Pornographie: Ob die Henkersmasken, die Posen hündischer, stiefelleckender Unterwerfung oder die erniedrigenden Sexualpraktiken - die Folterer und ihre beklagenswerten Opfer stellen Szenen aus der Bildergeschichte der menschlichen Infamie nach.

Von Ulrich Raulff

Wir wissen jetzt, dass es eine Osmose der Bilder gibt. Auf verborgenen Wegen, in geheimen Kanälen kommunizieren die Bilder miteinander, teilen sich ihre Temperatur mit, tauschen ihre Botenstoffe aus, infizieren einander. Je höher ihre Temperatur ist, je stärker ihre Ladung an psychotropen Giften, um so schneller passiert die Ansteckung.

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Eins haben die Pornoproduzenten von Bagdad begriffen: Nicht die Körper sind geil, sondern die Bilder der Körper. Die Bilder der geschlagenen und erniedrigten, zu seltsamen Menschenbergen geschichteten und symbolisch verstümmelten und kopflos gemachten Körper.

(Foto: Foto: ap)

Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass Bilder "gelesen", von klugen Hermeneuten geduldig entziffert werden. Bilder sind schneller und perfider als das lesende Auge: immer schon da, wo der härteste Stoff umgeschlagen wird. Wir müssen uns von der idealistischen Vorstellung befreien, dass Bilder von sich aus eine Tendenz zum Hellen haben; wir müssen uns den letzten Rest von Winckelmannschem Erbe aus dem Kopf schlagen. Inter urinas et faeces nascimur, hieß es von den Menschen.

Von afghanischen Höhlen nach "Pornywood"

Die Bilder werden noch zwischen ganz anderen Säften geboren. Vor einem Gericht in Pennsylvania stehen in diesen Tagen ein Produzent von Pornofilmen und seine Verlobte. "Ass Clowns 3" heißt einer der Filme, für die sie sich verantworten müssen. Er erzählt die Geschichte, wenn man das so nennen will, einer Afghanistan-Korrespondentin, die von muslimischen Terroristen, von denen einer stark an Osama bin Laden erinnert, verschleppt und vergewaltigt wird.

Dann wird sie von amerikanischen Soldaten befreit, denen sie nun in Worten und Werken der Liebe ihre Dankbarkeit bekundet. Sicher ist es ein weiter Weg von den Höhlen Afghanistans und den Studios von "Pornywood" in San Fernando Valley bis zu den Folterkellern von Abu Gharib, für einen Menschen jedenfalls. Für die Bilder ist er ganz kurz. Und offenbar ging es im Gefängnis von Abu Gharib in erster Linie um Bilder. Mag sein, dass der amerikanische Geheimdienst dort auch auf die übliche Ware aus war, Informationen, Aussagen, Geständnisse.

Den Angehörigen der Militärpolizei ging es offenbar um anderen Stoff. Darin finden sich alle Elemente der Folter und ihre bekannten Zirkel: der Schmerz des Gefolterten, der sich in die Lust des Peinigers verwandelt, die Macht des Folterers, die zur Demütigung des Gequälten wird. Aber ein Element im Spiel war neu: das Objektiv. Hier wurde vor der und für die Kamera gefoltert.

Die Präsenz des gläsernen Auges hat auf der Stelle den gewohnten Ring der Folter gesprengt: Jetzt posieren die "Herren" über ihren Opfern, jetzt sind aus brutalen und ingeniösen Untaten sadistische Inszenierungen geworden. Die Szenen, die wir angewidert betrachten, zeigen nicht die Realität der Folter: Wir blicken auf Tableaux vivants.

Die Folterer und ihre beklagenswerten Opfer stellen Szenen aus der Bildergeschichte der menschlichen Infamie nach. Ob sie jemals Goya gesehen haben oder Pasolini, oder ob sie nur die Fotos aus Magazinen der SM-Szene kennen, tut nichts zur Sache. Die Bilder erkennen einander wie Hunde am Geruch.

Die Henkersmasken, die Posen hündischer, stiefelleckender Unterwerfung, die erniedrigenden Sexualpraktiken, das alles kennt man aus der Literatur und Ikonographie des Sado-Masochismus. In dieser Bildwelt spuken die wirklichen und die imaginären Erinnerungen an die Blaubärte und grausamen Frauen, die Bluträusche und Folterkeller aus der Nacht der Zeiten. Aber sie sind darin zum Spiel geworden, zu einem (oft grausamen) Mummenschanz, einem mock war der Geschlechtsteile. Jetzt kehren sie zurück an den nie vergessenen Ort ihrer Geburt. In Bagdad ereignet sich der Einbruch des Spiels in die Wirklichkeit.

Eins haben die Pornoproduzenten von Bagdad begriffen: Nicht die Körper sind geil, sondern die Bilder der Körper. Die Bilder der geschlagenen und erniedrigten, zu seltsamen Menschenbergen geschichteten und symbolisch verstümmelten und kopflos gemachten Körper. Der ultimative Kick liegt nicht in der Ausübung von Taten, die den anderen Menschen zum Tier, zum Paket, zum namenlosen Stück Materie machen, sondern im Bewusstsein, sich vor dem Auge der Kamera gemeinsam mit diesem Tier, diesem Stück Materie in ein Bild zu verwandeln.

Was die nachrichtentechnische Behandlung von Menschen angeht, mögen die Folterer von Bagdad Dilettanten gewesen sein, blutige Anfänger in den Augen der Profis vom Geheimdienst. Bildwissenschaftlich und anthropologisch waren sie diesen weit voraus.

Vielleicht auch ökonomisch. Wenn man den Behauptungen des Mirror von gestern Glauben schenken darf, gibt es mittlerweile einen blühenden Markt für Fotos dieser Art. Einem Angehörigen der britischen Streitkräfte zufolge gebe es Hunderte solcher Fotos, die "routinemäßig ausgetauscht" würden. Eine Anzahl von Soldaten im Süden des Landes sei "völlig außer Kontrolle" geraten.

Man findet hier eine weitere Antwort auf die Frage, wie sich die Präsenz von Kameras in den Zellen von Abu Gharib erklären lässt: Offenbar ist unter den "außer Kontrolle Geratenen" eine Zirkulationssphäre eigener Art entstanden. Colonel Kurtz lässt grüßen.

Krieg ist die größte Bildmaschine

Und was war mit den Soldaten des Ersten Weltkriegs, die stolz vor irgendwelchen Trümmerbergen in Belgien oder Frankreich posierten? Was mit den deutschen Truppen im Ostfeldzug, die trotz strengster Verbote Tausende von Fotos aus der Hölle der Sonderoperationen mit sich herumtrugen? Ohne ihre namenlose Lust am Bild wäre die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht nie möglich gewesen.

Der Krieg ist immer die größte Bildermaschine gewesen, die die Menschheit begleitet hat; er produziert nicht nur zerrissene Körper und verbrannte Städte. Er produziert auch grausame Schauspiele; für einen Goya, für Heiner Müller war die Kunst nur die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

Die Bilder, die der Krieg und seine Agenten heute produzieren, sind nicht schlimmer und nicht widerlicher als die Bilder früherer Kriege. Es sind nur die Bilder unserer Zeit.

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