Folkmusiker Pete Seeger:Gefährliche Lieder

Pete Seeger

Gegen die herrschende Meinung ansingen: Bürgerrechtler und Sänger Pete Seeger 1967 in Berlin.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wortführer des Widerstands: Fünf Tage lang feierte die Folkszene in New York ihren Pionier Pete Seeger, der Anfang des Jahres gestorben ist. Eine Suche nach seinen geistigen Erben.

Von Claus Biegert

Es ist einer dieser Momente, die man in Manhattan nicht erwartet. Der warme Wind trägt den Klang eines Sopransaxofons mehrere Straßenzüge weit über die Upper Westside, vom Band ertönt Wolfsgeheul, eine Polizeisirene mischt sich dazu, und plötzlich heulen über tausend Menschen hingebungsvoll, die Köpfe in den Nacken gelegt.

An diesem Abend hatte sich zum Auftakt des Lincoln Center Out Of Doors-Festivals im Schatten der Metropolitan Opera die Folkszene der USA versammelt, um ihren Pionier Pete Seeger und dessen Frau Toshi zu ehren. Seeger war mit 94 Anfang dieses Jahres gestorben, Toshi im Jahr zuvor mit 91. "Let's howl together!" hatte der Komponist und Saxofonist Paul Winter die Zuhörer aufgerufen. "Lasst uns gemeinsam heulen. In Erinnerung an Pete and Toshi Seeger." Dann hatte er noch hinzugefügt: "und für Leonard Peltier!"

Pete Seeger hätte es sicher gefallen. Nur wenige verstanden sich so darauf, den Protest einer Menschenmenge in ein gemeinsames Singen zu kanalisieren. Und immer hatte er dafür gute Gründe. Für den politischen Gefangenen Leonard Peltier engagierte er sich seit den Siebzigerjahren. Seit 38 Jahren wartet der indianische Aktivist auf einen fairen Prozess. Des Doppelmords an zwei FBI-Agenten angeklagt, war er zu zweimal lebenslänglich verurteilt worden. Als sich die Beweise als gefälscht heraus stellten, wurde die Anklage auf Beihilfe zum Doppelmord herab gestuft; die Strafe hingegen blieb unverändert. Der Fall Peltier ist eine der großen Justizskandale der USA, der Mann Symbolfigur der Protestbewegung.

Pete Seegers Tochter Tinya liest einen Brief vor, den Peltier aus dem Gefängnis geschickt hat und in dem er schreibt, welche Kraft ihm Seegers Solidarität gegeben habe. Im Dezember 2012 noch hatte Pete Seeger gemeinsam mit Harry Belafonte zu einem Abend im Beacon Theatre am Broadway eingeladen. Unter dem Titel: "Bring Leonard Home!" hatte sich damals die progressive Musik- und Filmszene versammelt, um Präsident Obama zu einer Begnadigung zu bewegen. Von Obama kam bis heute kein Zeichen. Der 88-jährige Sänger und Bürgerrechtler Harry Belafonte tritt auch im Lincoln Center ans Mikrofon; gebückt, bis er den Gehstock zur Seite legt. Dann steht er aufrecht und erinnert an Seegers unbeugsame Art, das zu singen und zu sagen, was das offizielle Amerika verschweigt und nicht hörten will. "The truth!". Die Wahrheit.

Bei Obamas Amtseinführung sang er "This Land is Your Land"

Zu singen, was nicht der herrschenden Meinung entspricht, sei schon immer ein Merkmal des Folksongs gewesen, sagt David King Dunaway, Pete Seegers Biograf. Er führt die Tradition bis ins alte China zurück: "Die Herrscher schickten Spione an die Baustellen der großen Mauer, um zu hören, welche Lieder die Arbeiter sangen. Lieder von unten galten schon immer als gefährlich." Duncan ist jetzt als Reporter für seine Sendung im National Public Radio in New Mexico unterwegs. Das Seeger-Fest ist eine Fundgrube für Interviews.

Wer sind die Erben Pete Seegers? Der Biograf zieht die Augenbrauen hoch: "Keine leichte Frage". Nein? Jetzt, sagt Dunaway, komme der erste Teil der Antwort: "Pete Seeger hat sich selbst erfunden." Man müsse sich doch nur diesen Lebenslauf ansehen: Geboren 1919 in ein Elternhaus, in dem man Geige und Klavier spielte, groß geworden in der musikalischen Nachbarschaft von Woody Guthrie. Mitgründer erfolgreicher Gruppen wie der Almanac Singers (mit Woody Guthrie) und The Weavers, sogenannter Union Singer, also Troubadoure der Gewerkschaften.

Während der McCarthy-Ära wurde Seeger wegen seiner Nähe zum Kommunismus vor den "Ausschuss für unamerikanische Umtriebe" zitiert, verurteilt. Es folgte ein Auftrittsverbot, die Radiostationen durften seine Lieder nicht mehr spielen. In den Sechzigerjahren wurde er dann neben Bob Dylan und Joan Baez eine der Schlüsselfiguren der Protestbewegung, Mitbegründer des legendären Newport Folk Festivals, lautstarke Stimme gegen den Vietnamkrieg.

Mitte der Sechzigerjahre entdeckte er lange vor dem Rest der Gesellschaft die Ökologie. Er wird zum Anwalt für den Hudson River - "My Dirty Stream" hieß ein Song - rief zum gemeinsamen Bau eines Schiffes auf. Die "Clearwater" segelte bald den Fluss rauf und runter, wurde zum Paten einer Organisation gleichen Namens, die bis heute für die Säuberung des kontaminierten Flusses kämpft. Es folgten immer öfter Auftritte gegen Atombomben und Atomkraft.

2009 die endgültige Aufnahme in den Kulturkanon: Pete sang zur Amtseinführung des ersten schwarzen US-Präsidenten Barack Obama ein Lied von Woody Guthrie: "This Land is Your Land". Er spielte dort sein Banjo mit dem langen Hals und dem berühmten Satz, den er im Kreis auf den Rand des Fells geschrieben: This machine surrounds hate and forces it to surrender. Diese Maschine umzingelt den Hass und zwingt ihn, sich zu ergeben. Zweieinhalb Jahre später sah man ihn bei Occupy Wallstreet: Pete Seeger, der an zwei Stöcken mit der Menge durch das New Yorker Bankenviertel marschiert.

"Don't Frack my Mother"

Das Seeger-Fest war ein Fünf Tage-Fest: Es begann bei Sonnenuntergang mit Jim Browns Filmporträt "The Power of Song" im Hudson River Park in New York's West Village, wanderte zu einer Trauerfeier nach Norden in das Bardavon Opera House in Poughkeepsie. Es folgten Picknicks in Beacon im Hudson Valley und im Ashokan Center in den Catskill Mountains, ein Konzert in der Bronx, eine Fotoausstellung am Broadway. Höhepunkte sind dann das Konzert im Lincoln Center und abschließend "New Songs of Justice", ein Konzert der Jungen im Central Park. Zum Folk gesellten sich Hip-Hop, Indie-Rock, Punk. Amanda Palmer, Anti-Flag, Rebel Diaz - die alten Folkies haben diese Namen noch nie gehört, doch sie erkennen, dass Rap durchaus die Tradition des Folksongs aufgenommen hat: Ein Besingen der Zustände mit dem Ziel der Veränderung.

Bruce Springsteen, Neil Young, Yoko Ono - Seegers Erben halten nicht still

"Die Erbschaft wird von einer Schar angetreten, die sich meldet, wenn es brennt", sagt Dunaway. Die nicht still hält: "Zum Beispiel Fracking. Diese brutale Art, durch Sprengung an Erdgas zu kommen, gefährdet das Grundwasser und mobilisiert viele Musiker an der Ostküste." Der John Lennon Song "Don't Frack my Mother" von Yoko Ono und Sohn Sean intoniert und von Hollywood-Prominenz gestützt, wurde zur Hymne der Anti-Fracking-Bewegung.

Später nennt Dunaway noch Bruce Cockburn, Bruce Springsteen, Neil Young. Bruce Cockburn gehört zur "Free Peltier"-Initiative. Springsteen, selbst Autor eines großen Katalogs sozialkritischer Songs, hatte sich mit Pete getroffen und 2006 als Verbeugung ein Album mit dessen Liedern veröffentlicht.

Neil Young verschafft sich gerade gegen die Keystone Pipe Line Gehör. Aus Teersand gewonnenes Erdöl soll in einer Pipeline durch den Kontinent transportiert werden, die Zerstörung weiter Landstriche ist dabei unvermeidlich. In Kanada hat sich eine Bewegung formiert, die aus Ureinwohnern und Weißen getragen wird und die sich "Idle No More" nennt. Neil Young protestiert nicht nur mit seiner Musik, er ist auch ein Wortführer des Widerstands.

David Amram und Peter Yarrow kommen schwungvollen Schritts auf Dunaway zu, ihre Mobiltelefone in der Hand, immer wieder um Autogramme angehalten. David Amram, der Komponist und Allround-Musiker ist 83, Peter Yarrow gehörte einst zu dem erfolgreichen Trio Peter, Paul and Mary und ist 73. Sie vergleichen ihre Kalender, im September wollen sie nach South Dakota, um in den Black Hills zu spielen, dem heiligen Bergmassiv der Lakota, Dakota und Nakota, gemeinsam als Sioux bekannt. Es geht wieder um Obama. "Der Präsident kann per Beschluss die Black Hills an die rechtmäßigen Besitzer zurück geben", sagt Amram, "den Indianern geht es ja gar nicht um Besitz, sie wollen ihre Rolle als Hüter der Berge wahrnehmen."

"Der kritische Umgang mit der eigenen Geschichte verläuft so zäh in diesem Land", ergänzt Yarrow und fordert: "Wir müssen den Völkermord an den First Americans und den Diebstahl ihres Landes endlich aufarbeiten, so wie Deutschland den Nationalsozialismus aufgearbeitet hat." Beide nutzen das Seeger-Fest, um Mitstreiter für die Black Hills zu gewinnen. Seegers Erben haben viel zu tun.

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