Fluchtkunst von George Grosz:Hehlerware, Heuchelei und eine Handvoll Dollar

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Meisterwerke des Malers wurden bei dubiosen Auktionen für Spottpreise verschleudert: Wie sich das Museum of Modern Art in New York mit dem deutschen Nachlassverwalter von George Grosz streitet.

Stefan Koldehoff und Holger Liebs

Neben der Beutekunst, die die Rote Armee bei Kriegsende nach Russland verschleppte, und der Raubkunst, die in der NS-Zeit meist jüdischen oder aus anderen Gründen verfolgten Sammlern enteignet wurde, gilt es wohl inzwischen einen dritten Begriff zu etablieren: den der Fluchtkunst.

Dabei handelt es sich um Bilder und Skulpturen, Möbel und Grafiken, die ihre Besitzer bei der Flucht aus Nazi-Deutschland zurücklassen mussten - und die dann, ohne dass dem die früheren Besitzer in irgendeiner Weise zugestimmt hätten, einfach weiterverkauft wurden.

850 Dollar für ein Meisterwerk

Das schonungslose, bedeutende Porträt des Dichters Max Hermann-Neisse von George Grosz (1927) scheint ein solches Flucht-Bild zu sein.

Grosz gab es mit Dutzenden anderen Arbeiten seinem Galeristen Alfred Flechtheim Anfang der dreißiger Jahre in Kommission. Beide mussten vor den Nazis aus Deutschland fliehen - Grosz war als "entartet" verfemt worden, der Jude Flechtheim konnte seines Lebens nicht mehr sicher sein.

Das Grosz-Porträt wurde in Flechtheims Galerie von Nazis beschlagnahmt und nach dem Krieg dem Museum of Modern Art in New York von der deutschen Immigrantin Charlotte Weidler zum Kauf angeboten - für 850 Dollar. Woher Weidler, die mehreren Museen im Krieg verschwundene Werke anbot, die Bilder hatte, verriet sie nicht. Und im MoMA fragte wohl auch niemand danach.

Doch spätestens jetzt wird sich das mächtigste Kunsthaus der Welt wohl einige Fragen gefallen lassen müssen. Das dem MoMA benachbarte Metropolitan Museum of Art hat es abgelehnt, das Max Hermann-Neisse-Porträt für seine gerade eröffnete Ausstellung "Glitter and Doom: German Portraits from the 1920s" auszuleihen. Man wolle, begründet Metropolitan-Pressesprecher Harold Holzer diesen Schritt ganz offen, nicht im Fokus einer Debatte oder Forderung stehen.

Deutlich frostiger

Die Entscheidung, das überaus bedeutende Porträt nicht in die Schau am Central Park zu integrieren, ist mehr als ein Signal - es ist ein Wendepunkt. Seit 2003 liegt dem MoMA nämlich ein Restitutionsbegehren für das Bild vor.

Damals nahm der Grosz- Nachlassverwalter Ralph Jentsch erstmals Kontakt mit MoMA-Chef Glenn D. Lowry auf. Anfangs verständigte man sich noch durchaus freundlich im Ton und in der Sache. Inzwischen ist die Korrespondenz deutlich frostiger geworden.

Jentsch plant nicht, restituierte Werke in ein Depot zu verbannen. Er hat mit den Grosz-Söhnen Martin und dem inzwischen verstorbenen Peter die ,"George Grosz Foundation" gegründet, deren Aufgabe die Einrichtung eines Grosz-Zentrums mit Museum, Wechselausstellungen, Bibliothek und Forschungsstelle ist.

Eine fragwürdige Auktion

Der Nachlassverwalter hat in den vergangenen Jahren akribisch Dokumente zusammengetragen, aus denen hervorgeht, dass der Künstler nicht nur um das Porträt des Dichters, sondern auch um unzählige weitere Werke betrogen wurde, die als Bildbelege des anderen, des guten Deutschland nach dem Krieg plötzlich sehr viel Geld wert waren.

Jentsch gelang sogar der Nachweis, dass 1938 in Amsterdam eine fragwürdige Auktion mit Beständen der ehemaligen Flechtheim-Bestände stattgefunden hatte.

Flechtheim hatte die Grosz-Bilder - ebenfalls als Kommissionsware - an seinen niederländischen Kollegen van Lier weitergereicht. Als Grosz nach Amerika emigrierte und Flechtheim 1937 im englischen Exil an einer Blutvergiftung starb, ließ van Lier das Konvolut aus Gemälden, Aquarellen, Kreide- und Tuschezeichnungen am 1. und 2. Februar 1938 in Amsterdam eigenmächtig als "Nachlass Alfred Flechtheim" versteigern.

Verschiedene andere Kunsthändler sprachen sich daraufhin untereinander ab, um die Werke möglichst billig zu ersteigern - im Schnitt für weniger als drei Dollar. Die Summen, für die die heute millionenschweren Werke von George Grosz damals regelrecht verschleudert wurden, beschämen noch heute.

Van Lier verkaufte fünf Monate später eins der Bilder, das er selbst erworben hatte, für eine Summe, die damals die gesamten 24 auktionierten Gemälde erzielt hatten. Tatsächlich aber, argumentiert Jentsch, seien weder van Lier noch Flechtheim jemals Eigentümer der Werke gewesen.

Wollte Grosz selber das Bild nicht?

Dies habe das Auktionshaus Sotheby's auch bereits akzeptiert, als es vor einigen Jahren ein Gemälde aus dem Auktionskonvolut restituierte. Ein Buch über die Angelegenheit ist in Vorbereitung.

Rückgabeforderungen des noch lebenden Grosz-Sohnes Martin für das Porträt Hermann-Neisses lehnt das MoMA trotzdem ab - mit dem Argument, Grosz selbst habe nach dem Krieg das Bild im MoMA gesehen und es nicht zurückgefordert. Doch was hätte Grosz machen sollen, so Jentsch: ins Museum gehen und sagen: Das gehört mir?

Dass der Künstler das Gemälde nach wie vor als sein Eigentum betrachtete, zeigt ein Brief an seinen Schwiegersohn vom Januar 1953: ,"Modern Museum stellte ein mir gestohlenes Bild aus (bin machtlos dagegen) sie habens von Jemand gekauft, ders gestohlen". Wenige Wochen zuvor hatte das MoMA das "Bildnis Max Hermann-Neisse" zum ersten Mal als Neuerwerbung gezeigt.

Auch das Grosz-Bild "Maler und Modell" (1928) wurde bei der berüchtigten Amsterdamer Auktion verkauft - für umgerechnet gerade mal zehn Dollar. Es befindet sich heute ebenfalls in MoMA-Besitz. Auch dieses Bild möchte Jentsch restituieren lassen.

"Das passiert so oft"

Er berichtet, dass er in einer der Sitzungen mit dem MoMA-Verantwortlichen gefragt habe, ob das Museum wirklich ein Bild behalten wolle, dass in der Zeit des Holocaust für zehn Dollar "verkloppt" worden sei - und schon kurz danach für einen weit höheren Wert gehandelt wurde.

"Oh, wissen Sie", habe ihm MoMA-Kurator John Elderfield geantwortet, "das ist der Kunsthandel. Das passiert so oft - schauen Sie sich Gagosian an. Kunsthändler sind eben so."

Nicht nur, dass die renommierte Gagosian Gallery kaum dafür bekannt sein dürfte, mit Raub- oder Fluchtkunst aus der Nazizeit zu handeln - das Museum habe sich auch in anderer Hinsicht "trickreich" verhalten, so Jentsch. Man setze dort offenbar auf Verzögerungstaktik. In einem coup d'état habe das MoMA einfach eine eigene Forscherin durch eine neue ersetzt, die mit ihm nicht mehr korrespondiere.

Vereinbarte Fristen seien nicht eingehalten worden und wichtige Dokumente über Charlotte Weidler, die Verkäuferin des Hermann-Neisse-Porträts, würden nach wie vor zurückgehalten - lediglich einige handschriftliche Notizen habe er sich machen dürfen.

Eine Betrügerin?

Aus den Papieren gehe aber hervor, dass Weidler eine Betrügerin gewesen sei, die berühmte Gemälde, darunter eben auch Grosz-Werke, im Krieg unterschlagen und dem vormaligen Besitzer vorgegaukelt habe, alle Werke seien verbrannt - und schließlich habe sie, nach dessen Tod, die Sammlung verkauft.

Und da sei dann noch das Versprechen, das Lowry ihm persönlich gegeben habe, so Jentsch. Der Museumsdirektor hatte erklärt, das MoMA würde kein Bild behalten, "das nicht zu 100 Prozent sauber" sei.

Doch das MoMA beharrt auf seiner Darstellung. Es will die zwei fraglichen Grosz-Gemälde nicht hergeben, von denen "Maler und Modell" mittlerweile auf vier bis sechs Millionen Dollar und das Porträt Hermann-Neisses auf sechs bis acht Millionen Dollar geschätzt werden.

Laut New York Times wies das Museum darauf hin, dass sein ehemaliger Direktor, Alfred Barr, Grosz eingeladen habe, das Porträt Hermann-Neisses zu signieren - aber es keinen Beleg dafür, dass Grosz von dieser Einladung wusste.

Ein Präzendenzfall

Den Verdacht, das Metropolitan Museum stelle Grosz' Dichterbildnis nur deshalb nicht aus, weil man befüchtet habe, Jentsch könne es beschlagnahmen lassen, kann der Nachlassverwalter entkräften: Er habe der Kuratorin der Ausstellung ,"Glitter and Doom" eine entsprechende Einverständniserklärung schriftlich gegeben - und dazu noch drei Papierarbeiten aus dem Grosz-Nachlass für die Schau zur Verfügung gestellt.

Niemand kann das MoMA zur Rückgabe der Gemälde rechtlich zwingen: Alle Anspruchsfristen sind längst abgelaufen, alle Taten verjährt. Trotzdem zeigt sich nun, dass das Museum nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann.

Die Debatte dürfte einen Präzedenzfall schaffen - um so mehr, als auch der Streit um weitere Restitutionsfälle eminenter Werke der Moderne wie Ernst Ludwig Kirchners "Berliner Straßenszene" (1913) und Picassos Bildnis von Angel Fernández de Soto (1903) derzeit hochkocht - befeuert durch einen Kunstmarkt, in dem Sammler bereit sind, Höchstpreise für diese Gemälde zu zahlen. Die Washingtoner Erklärung zur Rückgabe von Raub- oder Fluchtkunst (1998) ist hier immer noch die entscheidende Maßgabe.

Trotz der juristischen Hürden wird Jentsch noch vor Ende des Monats Klage einreichen und Dokumente vorlegen, die auch dem MoMA schon vorliegen: "Ich suche ein neutrales Podium für meinen Besitzanspruch auf das Bild."

Mit derartigen Forderungen könnten sich bald auch andere Häuser konfrontiert sehen. Weitere Bilder von Grosz, die Flechtheim in Kommission nahm, befinden sich unter anderem in der Kunsthalle Bremen, in Yale, in Österreich und in Japan.

© SZ vom 16.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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