Florian Henckel von Donnersmarck vor der Oscar-Entscheidung:Dabei sein ist längst nicht alles

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Mit größter Zuversicht fährt der deutsche Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck nach Hollywood - zuvor erlebt er ein Amerika, das in seinem Stasi-Film "Das Leben der Anderen" eigene Ängste entdeckt - in Zeiten der Anti-Terrorgesetze.

Susan Vahabzadeh und Fritz Göttler

Eigentlich geht es für Florian Henckel von Donnersmarck am Sonntagabend bei der Oscarverleihung um Leben und Tod. Allerdings nur, wenn man die Sache sehr, sehr langfristig betrachtet.

Als Florian Henckel von Donnersmarck vor zwei Wochen in den USA ankam, um dort für seinen oscarnominierten Film ,,Das Leben der Anderen'' zu werben, hatte ihm jemand vom amerikanischen Verleih einen Artikel über eine neue Studie bereitgelegt.In der haben die Wissenschaftler Andrew Oswald und Matthew Rablen von der Universität Warwick die Lebenserwartung von Nobelpreis-Gewinnern durchgerechnet im Vergleich zu all jenen, die lediglich vorgeschlagen oder im Gespräch waren - und dabei war herausgekommen, dass die Sieger im Durchschnitt tatsächlich 1,4 Jahre länger leben.

Außerdem wurde auf eine weitere Studie aus dem Jahr 2001 verwiesen, die sich mit der Lebenserwartung von Oscar-Gewinnern befasste - deren Ergebnis ist noch niederschmetternder, oder erfreulicher, je nachdem: Wer einen Oscar gewonnen hat, lebt im Schnitt 3,6 Jahre länger als einer, der nur unter den letzten Bewerbern nominiert gewesen war. Wenn also diesmal in der Oscar-Nacht in Los Angeles die Kategorie ,,Bester fremdsprachiger Film'' aufgerufen wird, geht es für den 33-jährigen Donnersmarck womöglich um 43,2 Monate Lebenszeit.

Ein Fall für Spieler

,,Streng dich an, Florian!'', hatte der Mann vom Verleih auf die Kopie des Artikels geschrieben - aber es dürfte ihm klar gewesen sein, wie überflüssig diese Ermahnung im Fall des deutschen Ausnahmeregisseurs war. Denn Donnersmarck hat sein Ziel klar vor Augen, die kleine goldene Statuette, und keiner unter den Nominierten dieses Jahres dürfte diese Aufgabe so energisch angehen wie er - allenfalls für Martin Scorsese muss es ein ebenso dramatischer Ernstfall sein, der bereits zum sechsten Mal nominiert ist und dem die ganze Filmfamilie wünscht, dass er nun mit ,,The Departed'' endlich vom Versager-Trauma erlöst werden möge.

Auch Donnersmarck misst dem Sieg entscheidende Bedeutung bei. ,,Es ist eben ein großer Unterschied, ob man nur nominiert ist oder ob man gewinnt. Ich stelle mir die Situation vor, wenn mein Hauptkonkurrent Guillermo del Toro mit ,Pans Labyrinth' gewinnt. Das ist eben was anderes, als wenn ich da sitze und sage: Hey, ich bin nominiert.''

Dass ,,Pans Labyrinth'' als Favorit gilt, dessen ist er sich absolut bewusst, das nimmt ein wenig Druck weg, nagt aber doch auch an ihm. ,,Mir schicken Freunde immer die Wettseiten aus Las Vegas, wo man online wetten kann auf die Oscars. Da stehen die Chancen für Guillermo del Toro und ,Pans Labyrinth' 55 mal besser. Und das sind die Ansichten von Experten, die bereit sind, Geld darauf zu wetten.''

Florian Henckel von Donnersmarck erzählt das lachend und ohne Bedauern - Sorgen machen muss man sich nicht, wenn er am Sonntagabend keinen Oscar bekommt: Der Mann hat ein gesundes Selbstwertgefühl, und er ist mit seinem ersten Film schon sehr weit gekommen.

Natürlich sind die Wochen vor der Oscar-Nacht längst ein langgezogenes eigenes Event, ein Wahlkampf, der seine eigenen Gesetze hat. Donnersmarck hat das akzeptiert, er macht mit und hat durchaus Spaß daran. Präsenz ist gefordert, es heißt, an möglichst vielen Orten gleichzeitig zu sein, verschiedene Leute anzusprechen.

Wer Donnersmarck auf einer der vielen Preisverleihungen erlebte, die er meistens für sich und seinen Film entscheiden konnte, der weiß, was für eine Energie in dem Zwei-Meter-plus-Mann steckt. Eine beeindruckende Gestalt, hat das Fachblatt Variety befunden: Basketballspielergröße, ein mächtiger Kopf mit dunkelblonden Locken. Aber auch: bescheiden, zugänglich, nett.

Die Ochsentour der letzten Tage in den USA steckt Donnersmarck locker weg. Im Telefoninterview, auf dem Weg zum Flugplatz und später in der Warteschlange, erläutert er, dass er Verdi schon phantastisch findet, aber es dann doch eher mit Wagner hält, der mehr von sich selbst in seine Opern steckte, und dann skizziert er, weit ausholend und doch sehr präzise, die Gruppenprozesse in der Nouvelle Vague, der legendären Filmbewegung der sechziger Jahre in Frankreich.

Eigentlich hat er, wenn er am Sonntag nicht gewinnt, noch sehr viel Zeit, den Verlust wieder wettzumachen - ,,Das Leben der Anderen'' ist sein erster langer Spielfilm, und er ist noch ein paar Jahre jünger, als Scorsese war, als dieser seine erste Oscar-Nominierung bekam. Geboren wurde Donnersmarck in Köln, aufgewachsen ist er in New York, Berlin, Frankfurt und Brüssel.

Zwei Jahre hat er in St. Petersburg studiert, kurz als Russischlehrer gearbeitet, dann vier Jahre in Oxford studiert. Über Richard Attenborough kam er ins Filmmetier, er hat bei dessen Hemingway-Film ,,In Love and War'' Assistenz gemacht. Und wurde von ihm ermahnt, er solle unbedingt eine Filmschule besuchen - was er prompt in München an der Hochschule für Fernsehen und Film tat, wo er zwei Kurzfilme machte und mit dem kurzen ,,Dobermann'' schon Aufsehen erregte.

Viele Jahre hat Donnersmarck dann seinem ersten großen Kinoprojekt ,,Das Leben der Anderen'' gewidmet, hat sich in die düstere DDR-Wirklichkeit versenkt - seine Mutter stammt aus Magdeburg, er kennt die DDR aus zahlreichen Verwandtenbesuchen -, diese Welt aus Menschenverachtung, Bespitzelung, Erpressung, Unterdrückung und einem monströsen Misstrauen den Gefühlen gegenüber.

,,Das Leben der Anderen'' erzählt von dem Stasi-Mann Wiesler, den Ulrich Mühe spielt, ein verknöcherter, kalter Spitzel, der nur für seinen Job lebt und wenig Emotionen zulässt. Er erhält eines Tages den Auftrag, einen Schriftsteller zu überwachen, der mit einer gefeierten Schauspielerin verheiratet ist - das Künstlerpaar wird gespielt von Sebastian Koch und Martina Gedeck. Wiesler ist von der Frau fasziniert und verliebt sich in sie, und kommt plötzlich nicht mehr zurecht mit seinen eigenen, neuentdeckten Gefühlen.

Mehr als 1,5 Millionen Zuschauer hat der Film im vorigen Jahr in Deutschland gehabt, seit dem 9. Februar läuft er nun in den amerikanischen Kinos, und seither reist Florian Henckel von Donnersmarck von Stadt zu Stadt, um seinen Film vorzustellen und von jenem merkwürdigen Land zu sprechen, der DDR, das den Amerikanern wahrscheinlich immer noch ein wenig exotisch vorkommt.

Man spürt eine gewaltige Kommunikationsbereitschaft in diesem Mann, er sucht den Kontakt, den Austausch mit den anderen. ,,Das war eine Tour durch ein Dutzend amerikanischer Städte - jeden Tag eine andere, interessant, aber auch anstrengend. Am anstrengendsten war es, trotzdem noch zu erspüren, was die Unterschiede zwischen den einzelnen Städten sind. Ich wollte nicht der ignorante Geschäftsreisende sein, der nur das Hotelzimmer sieht.''

Keine Lust auf ein paar Pixel

Es war ein fremdes Land, von dem Donnersmarck erzählt, und doch zeichnete er das Emotions- und Seelenleben der DDR in seinem Film subtil nach. Für die Amerikaner von heute hält das verblüffende Berührungspunkte bereit.

Immer wieder hat man, in Anmerkungen und Fragen im Gespräch nach den Vorführungen, den Film sozusagen für die eigene neuere Geschichte vereinnahmt: Die Amerikaner, Bürger einer vielbeschworenen, nie in Frage gestellten westlichen Demokratie, sahen in der Stasi-Geschichte durchaus eine Prophezeiung für die eigene Zukunft - in Zeiten der Anti-Terrorgesetze des Patriot Act. Sie äußerten ihre Furcht vor einem Überwachungsstaat, von dem es nach dem 11. September mehr als deutliche Anzeichen gibt.

Donnersmarck war überrascht, wie viel offener Unmut über Bush ihm entgegenschlug in den Kinosälen. Und er war froh, sagt er, dass er sich dadurch mal über etwas anderes unterhalten konnte als über die Stasi. ,,Das Leben der Anderen'' hat sich im vergangenen Jahr - nicht zuletzt durch die Deutschen und Europäischen Filmpreise, die der Film holte -, zu einer unendlichen Geschichte entwickelt.

Einer Geschichte, die der Filmemacher gleichwohl immer im Griff behalten hat, konzentriert und zielstrebig. Auch die Oscar-Tour, die er gerade absolviert, betrachtet er als Durchmarsch - von dem Trubel und den Partys in Los Angeles hat er nicht viel mitbekommen, weil er ja mit dem Film auf Kinotour war und ihn vorher, im Januar, in Frankreich vorgestellt hat.

Den traditionellen Lunch der Oscar-Nominierten, der für die meisten Newcomer als Zeichen der Nobilitierung, als Signum der Zugehörigkeit gewertet wird, hat er deshalb verpasst - er hatte andere Termine. ,,Zu all diesen Sachen, Fototermin und so, bin ich nicht gegangen. Die Zeit war wertvoll, weil ich in all diesen Städten jetzt viel mehr Aufmerksamkeit bekommen konnte als in Los Angeles - hier ist einer der Nominierten! Das ist doch besser, als wenn man auf dem Nominierungsfoto sieben Pixel ausmacht.''

Nicht mal zu der Gruppe will er gehören - eigentlich zu keiner, sagt er, und erzählt dann, dass er als Kind schon lieber sein ganz eigenes Ding durchzog. Und schränkt dann ein, dass er natürlich seine Freude hat am glamourösen Zirkus in Los Angeles: ,,Es gibt ja viele Drumherum-Events in dieser sogenannten Award Season. Und ich war schon bei anderen Preisverleihungen dort - als ich den Preis von den L.A.-Filmkritikern gekriegt habe, beispielsweise. Das war wirklich schön. Und bei den Golden Globes war ich, das war auch großartig.'' Obwohl er dort nicht gewonnen hat.

Was er sich am Sonntagabend erhofft? Einen Oscar natürlich. Und vielleicht ein wenig Inspiration. ,,Manchmal hört man ja, dass Leute sagen: ,Ich habe den und den getroffen, und das war super enttäuschend.' Ginge man davon aus, dass diese Leute Wesen einer höheren Art sind, wäre man enttäuscht. Mir geht es aber wirklich nicht so. Ich habe Ehrfurcht vor großen Schauspielern, aber wenn ich Ulrich Mühe gegenübertrete, habe ich genauso viel Ehrfurcht wie vor Tom Hanks. Es geht nicht darum, ob jemand auf etwas größeren Plakaten abgebildet wird, sondern darum, ob er etwas in mir bewegen kann. Das kann Tom Hanks schon.''

Leicht ist er aber nicht zu beeindrucken, die Umgebung fühlt sich nicht neu und ungewohnt an für ihn. Er hatte vorher schon Kontakt zu den großen Studios - wegen des Shocking Shorts Awards, den er für ,,Dobermann'' gewonnen hatte als Filmhochschüler, für den hatte ihn das Studio Universal nach Los Angeles eingeladen. ,,Ich habe jetzt einige Leute wiedergetroffen, die ich damals kennengelernt habe. So viele Leute sind das ja gar nicht, die da arbeiten. Es kam mir nicht vor wie eine andere Welt.''

Kreative Klausuren

Ein Filmemacher, der nichts dem Zufall überlässt - fast schon beängstigend, wie gründlich und detailversessen er sich in die Materie einarbeitet, wie er Konzepte entwickelt, ästhetische Reflexionen durchspielt, mit seinen Mitarbeitern das Dekor festlegt oder die Kameraeinstellungen: Als er zur Vorbereitung Fotobände aus der DDR studierte, bemerkte er die Abwesenheit von Rot-Tönen, und auch wenn man das Fehlen dieser Farben in ,,Das Leben der Anderen'' nicht bewusst wahrnimmt - man spürt, welche Auswirkungen es hat auf die Stimmung, die Lebensqualität in diesem Land.

Die professionellen Standards können gar nicht hoch genug sein, die Donnersmarck sich setzt - es ist, als wollte er im Alleingang den klassischen Hollywood-Studiobetrieb wieder aufleben lassen, Jahrzehnte nach dessen Zusammenbruch, und in einem Land, das solche Produktionsbedingungen überhaupt nie gekannt hat.

Er ist eine doppelgesichtige Konstruktion, der Einzelkämpfer, der nicht ganz frei ist von elitären Anflügen, und der sich doch immer wieder in die Gemeinschaft der Mitarbeiter einfügt und sich wirklich wohlfühlt dort. Der nie verbirgt, dass er sich als die dominierende Figur sieht, und doch sehr gut zuhören kann. Problemlos kann er hin- und herschalten zwischen Konzentration und Kommunikation, zwischen Besessenheit und Spontaneität, kann sich wochenlang in seine Arbeit versenken.

Wobei er dann die Welt um sich herum vergisst - sodass schon mal der Gerichtsvollzieher vor der Tür stand, weil er fällige Rechnungen ungeöffnet in die Schublade steckte, sich nicht die Zeit nahm, sein Leben zu regeln. Aber schnell kann er auch aus dieser selbst auferlegten kreativen Klausur wieder auftauchen und mit eben dieser Welt seine Arbeit diskutieren, verteidigen, sich neu begeistern und inspirieren lassen. Oswald und Rablen, die beiden Ökonomen mit der Nobelpreisträger-Studie, sind übrigens zu dem Schluss gekommen, dass die untersuchten Sieger nicht deswegen länger lebten, weil der Sieg ihnen Ruhm und Geld brachte - sondern weil sie besessene Denker waren.

Besessen ist Florian Henckel von Donnersmarck auf jeden Fall. Und wie die Chancen auch stehen, bis zum Sonntagabend setzt er auf Sieg. ,, Ich bin nicht so einer, der sagt: Dabeisein ist alles. Das ist nicht meine Philosophie. Wenn ich dahin gehe, will ich auch gewinnen.''

© SZ vom 23.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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