"Fliegende Liebende" von Pedro Almodóvar:Runter kommen wir immer

Film "Fliegende Liebende" im Kino

Die Körper in "Fliegende Liebende" wirken wie aus Plastik.

(Foto: Tobis Film)

Ein Flugzeug kreist in der Warteschleife hoch über dem Krisenland Spanien, die Passagiere pflegen müde ihren Exhibitionismus. In "Fliegende Liebende" bestätigt Pedro Almodóvar, dass es in der Welt immer weniger zu fühlen und zu filmen gibt.

Von Philipp Stadelmaier

Vor dem weiten, wolkenlos blauen Sonnenhimmel über Spanien zieht ein Flugzeug seine Bahnen. Die Maschine fliegt im Kreis, in einer endlosen Warteschleife. An Landung ist vorerst nicht zu denken, denn beim Start sind die Fahrwerke schwer beschädigt worden.

Aber kein Grund zum Trübsinn. Denn wir sind an Bord eines Films von Pedro Almodóvar, der die Business Class mit einigen "Fliegenden Liebenden" bestückt hat: Da ist eine alten Escortservice-Queen, die halb Spanien gevögelt hat, ein Auftragskiller, ein junges, dauergeiles Pärchen auf Hochzeitsreise, ein alternder Soap-Schauspieler, eine jungfräuliche Wahrsagerin.

Die sexuelle Orientierung der Besatzung ist ziemlich offen, starke Tendenz: schwul. Schnell kommt es zu ersten Lustaufwallungen, Anbändeleien, Morddrohungen, zum Hadern mit der Vergangenheit. Dass die Piloten sich schon mal Blowjobs geben, ist bald kein Geheimnis mehr: Bei Almodóvar ist im Cock-Pit der Name Programm.

So müde wie die Schunkelei auf einer Kaffeefahrt

Wer aber eine wilde Orgie erwartet, sitzt im falschen Flieger. Die Sexszenen gibt's nur hinter verschlossenen Türen oder aus züchtigen Blickwinkeln. Wird das Agua de Valencia zur Aufheiterung mit Mescalin aufgepeppt, nippen die Herrschaften eher zurückhaltend an ihren Gläsern, und eine Musical-Tanzeinlage der Stewards zu "I'm so excited" wirkt so müde wie die Schunkelei auf einer Kaffeefahrt.

Die intimen Gespräche übers Bordtelefon können alle mithören, ein Steward kann nicht lügen und muss ständig tratschen. Es ist auch dieser ermüdende und programmierte Exhibitionismus, der an eine Soap erinnert, die in Endlosschleifen um sich selbst kreist - kurz vor der Absetzung, um nicht zu sagen: vor dem Absturz.

Schon immer hat Pedro Almodóvar Elemente aus dem Groschenromanpop aufgegriffen, aber nie wirkten sie so wenig bearbeitet, so unironisch, so ohne Pep wie hier. Und man fragt sich: Haben diese ausgelutscht-romantischen Missgeschicke der Business Class noch irgendetwas mit der Realität eines Landes zu tun, in dem über 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit herrscht?

Gerade in seinen blumigsten Fiktionen war Almodóvars Werk doch immer eine kunstvolle Reaktion auf die spanische Wirklichkeit gewesen. Nicht einer seiner Filme, kaum einmal eine Szene spielt außerhalb des Landes, und noch hier wird der Flieger, der eigentlich nach Mexiko gehen sollte, ewig über der Halbinsel kreisen.

Das Begehren war Keimzelle von Almodóvars Kino

Das Begehren, das hier so erschlafft scheint, war lange die Keimzelle seines Kinos. Wie mit dem Fieberthermometer hat er es immer vermessen, der spanischen Gesellschaft die Temperatur abgenommen. Zuerst war da die wilde Zeit der postmodern-punkigen Movida Madrileña in den Jahren nach Francos Tod. Almodóvars freie und anarchische Filme zeigten eine Epoche der Befreiung von Kunst und Leben, der Körper, der geschlechtlichen Identitäten. Die Welt war ein "Labyrinth der Leidenschaften" unter dem "Gesetz der Begierde", um es mit zwei seiner frühen Filmtitel zu sagen.

Dabei trafen Drogen und Sex aber auf ein noch immer von Franco traumatisiertes Land. In "Matador" sucht die Begierde ihren äußersten Exzess im Tod, in "Fessle mich!" von 1990 entsteht die Liebe aus einer Vergewaltigung. Hier zeigt er aber auch schon die Rückkehr zu einer ruhigeren Paarbeziehung in einer normalisierten Demokratie. Bald hatten die Spanier genug von den wilden Jahren. Das Leben wurde weniger lustig.

Von 1996 bis 2004 regiert dann José Maria Aznar und seine konservative Partido Popular. In dieser Zeit dreht Almodóvar seine beiden oscarprämierten Meisterwerke: "Alles über meine Mutter" und "Sprich mit ihr", gewidmet anormalen Figuren am Rand einer Gesellschaft, in der für sie kein Platz mehr ist. Zwischen ihnen zirkuliert nun die Leidenschaft subkutan, in einem zarten Reigen, der sie geheim miteinander verbindet.

Nachdem 2004 dann die Linken zurück an die Macht kommen, dreht Almodóvar mit "Volver" einen Film über Versöhnung: zwischen den Frauen dreier Generationen. Und wenn die knallroten Schmolllippen von Penélope Cruz und ihre prallen Brüste nicht mehr, wie früher, begehrliches und begehrtes Fleisch war, sondern ikonenhaft, künstlich und irreal wirkte, dann, weil sich Spanien beruhigt zu haben schien und die Exzesse der Moderne nun endgültig vorbei waren.

Nüchternheit statt Körperkino

Almodóvar blieb die Dekonstruktion seines eigenen Kinos. Der darauf folgende "Zerrissene Umarmungen" zeigt den Körper von Cruz schon mal im Röntgenbild. Und in "Die Haut, in der ich wohne" wird ein Arzt (Antonio Banderas) Menschen mit einer neuen Haut überziehen: Dr. Frankenstein-Almodóvar hatte sein pulsierendes Körperkino der Achtziger für die nüchterne Epidermis der Gegenwart eingetauscht.

Dass es in der Welt immer weniger zu fühlen, also zu filmen gibt, das scheinen die "Fliegenden Liebenden" erneut zu bestätigen. Almodóvar dreht zum ersten Mal digital: Die neue Haut ist nun nicht mal mehr eine menschliche, sondern eine platte, ebenmäßig ausgeleuchtete Schicht. Die Körper wirken wie aus Plastik. Das Dekor, früher farbexpressives Relais für den pulsierenden Gefühlsstrom, ist auf einige fahle Designelemente, eine freudlose Pappkulisse reduziert. Die Bilder sehen so falsch aus, als würden sie sich auflösen.

Die betäubte Economy Class

Aber gerade in dem Moment, in dem sein Kino an Bord eines Fliegers ins Irreale abzuheben scheint, spricht Almódovar dann eben doch von Spanien und von der Krise, die das Land gegenwärtig heimsucht. Während die Business Class ihre krisenhafte Libido auslebt, ist sie gleichzeitig der Albtraum der Economy Class. Die wurde, um einer Panik vorzubeugen, mit Schlafmitteln betäubt und döst nun ahnungslos in ihren Sesseln, ohne Chance, in das Geschehen einzugreifen. Außerdem ist da ein Señor Más (José Luis Torrijo), der Gelder veruntreut hat und sich ins Ausland absetzen will. Sein Name sagt, dass er immer "mehr" Geld machen wollte, aber vielleicht auch, dass er selbst "zu viel" ist: Die Präsenz dieses langweiligen Kahlkopfs ist die eines Phantoms.

"Fliegende Liebende" zeigt also einen gesellschaftlichen Albtraum. Aber gleichzeitig ist diese Allegorie selbst albtraumhaft ungriffig: Zwischen den wahren Passionen und einer kalten Soapmechanik in Endlosschleife kann hier nicht mehr unterschieden werden. Almodóvar zeigt uns damit, dass die Zeichen des Wirklichen und seiner Krisen heute genau da zu suchen sind, wo sie am weitesten weg scheinen. Denn ewig oben bleiben wird die Maschine ja nicht.

Los amantes pasajeros, Spanien 2013 - Regie und Buch: Pedro Almodóvar. Kamera: José Luis Alcaine. Musik: Alberto Iglesias. Mit Antonio de la Torre, Hugo Silva, Miguel Angel Silvestre, Penélope Cruz, Antonio Banderas. Verleih: Tobis. 91 Minuten.

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