Filmstart: "Ratatouille":Ratten sind auch nur Gourmets

Die Wende: Mit der Geschichte des kochwütigen Remy wendet sich der Animationsfilm vom schnellen Trash - zum Genießer-Kino.

Fritz Göttler

Eine fetzige Rattenjagd macht sich immer gut am Anfang, damit bringt man seine Geschichte in Nullkommanichts gehörig auf Touren. In diesem Film sorgt eine unerbittliche Alte dafür, die, aus dem Schlaf geschreckt, überhaupt nicht hysterisch reagiert, sondern zur knallharten Vollstreckerin wird, mit dicken Augengläsern und einer mächtigen Flinte in den Händen, mit der sie ungeschickt aber sehr systematisch, Schuss für Schuss, das eigene Haus zerlegt.

Ratatouille

Ratte Remy sucht unermüdlich nach Inspiration für die wahre Haute Cuisine.

(Foto: Foto: ddp)

Es ist das klassische Animationsprinzip, das hier fröhliche Urständ feiert, wie es überliefert wurde von Disney, dem jungen vor dem Krieg, von Tex Avery und Chuck Jones und Hanna & Barbara - das besagt, wenn man mal angefangen hat mit seiner Tour, dann wird das durchgezogen bis zum bitteren Ende. Was fast immer die völlige Selbstzerstörung bedeutet.

Das weiße Schaf der Familie

Es wird noch einige andere wilde Jagden geben in diesem Film, ebenso furios orchestriert, ebenso à bout de souffle, immer auf der Seite der verfolgten, der Ratten von Paris und Umgebung - aber irgendwie ist von Anfang an schon jene Melancholie zu spüren, die alle Produkte des Pixar-Studios, unter seinem Chef, dem Gemüts- und Familienmenschen John Lasseter, auszeichnet. Man muss ihn erleben, wie er begeistert von der unglaublichen Wendigkeit der Ratten schwärmt, und von der enormen zeichnerischen Flexibilität, die es braucht, um sie mit der Computeranimation auf die Leinwand zu bringen.

Auslöser für die Rattenjagd war der Perfektionswille von Remy, einer kulinarisch ungewöhnlich kultivierten Ratte, dem weißen Schaf der Familie gewissermaßen. Als er seinem ordinären Bruder Emile ein deliziöses Mahl zubereiten will, auf dem Hausdach, schlägt plötzlich der Blitz ein - und sorgt für angenehmste Schmor-Verfeinerung. Ja, es geht um die Funken der Inspiration in diesem Film, und von der kulinarischen zur allgemein künstlerischen Kreation führt dabei nur ein winziger Schritt.

Ratten sind auch nur Gourmets

Remys Meister ist der Super-Koch Auguste Gusteau, der ein Fünf-Sterne-Restaurant in Paris führte - hélas, auch er ist der reinen Kunst untreu geworden und zum Bestsellerautor degeneriert, sein Motto: Jeder kann kochen!? Inzwischen ist er auch schon eine Weile tot und geistert als mahnendes, warnendes Phantom durch Remys eigene cuisinäre Träume. Wenn Remy einem Gericht nachschmeckt, sich die letzte fehlende Zutat imaginiert, scheint er himmlischen Klängen zu lauschen, wenn er leichthändig Kräuter in den Suppentopf wirft, wirkt er wie ein Dirigent.

Thomas Keller, der Küchenchef von French Laundry im nordkalifornischen Yountville, war der künstlerische Küchenberater, ihm sind die schwindelerregenden Realismusanfälle dieses Films zu verdanken. Was die Technik angeht, bestehen die Pixar-Leute auf hundertprozentiger Reinheit - die Mischformen der Motion-Capture-Technik, in der Menschen die Vorlagen für animierte Figuren liefern, verachten sie. Auch "Ratatouille" erforscht die unsichtbare hinter der sichtbaren Welt, und noch virtuoser ist hier der Wechsel zwischen ihnen, zwischen der Menschen- und der Rattenwelt, die sich über Hinterhöfe und Gerümpelecken erstreckt und in die dunklen Ecken der Seine-Quais.

Die Lust am besseren Essen

"Ratatouille" markiert einen Wendepunkt für Pixar, und der Film wirkt, als wäre man sich der Bedeutung des Augenblicks bewusst, was die Geschichte des Zeichenfilms angeht - wird der Computer dominieren, wird es nicht doch wieder Versuche mit der guten alten 2D-Technik geben? -, aber auch was die amerikanische Gesellschaft angeht. Bislang wurde diese als Fastfood-Territorium verteufelt, seit einigen Jahren haben die Leute auch dort die Lust am besseren Essen entdeckt. In diesem Sinne tut "Ratatouille" alles, um dem Lustprinzip zur Herrschaft zu verhelfen.

Nach "Cars", der Apotheose des Americana, nun der Schwenk nach Europa - dort hat sich, im Unterschied zu den Pixar-Leuten, Walt Disney gern seine Inspirationen geholt. Paris, die Stadt der Lichter, hat aber nun auch die Pixar-Leute animiert. Am Ende kreiert Remy sein Nonplusultra, die titelgebende Ratatouille. Gemüse?, fragen alle erstaunt, die Kollegen und der gefürchtete Gourmetkritiker Anton Ego - im Original gesprochen von Peter O'Toole. Mit der Ratatouille schließt sich der Kreis, es öffnet allen, die kosten, die Tür zur Kindheit, die wahre Tür - Pardon, Marcel Proust - zum Paradies.

RATATOUILLE, USA 2007 - Regie, Buch: Brad Bird. Koregie: Jan Pinkava. Kamera: Robert Anderson, Sharon Calahan. Musik: Michael Giacchino. Schnitt: Darren Holmes. Produktionsdesign: Harley Jessup. Mit den Stimmen von: Patton Oswald, Ian Holm, Lou Romano. Deutsche Stimmen: Axel Malzacher, Stefan Günther, Gudo Hoegel, Donald Arthur, Tim Mälzer. Buena Vista, 111 Minuten.

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