Filmromanze "It's All About Love":Traurige Eiszeit

Après-Dogma: Thomas Vinterbergs apokalyptische Filmromanze "It's All About Love"

HANS SCHIFFERLE

Es war einmal, im Jahre 2021. Ein junger Mann namens John landet in New York, um sich von seiner Frau Elena, einer berühmten Eiskunstläuferin, scheiden zu lassen. Er wird von zwei Mitarbeitern aus Elenas Management am Airport abgeholt. Alles scheint seinen schnellen, geregelten Gang zu gehen. Der enge Terminplan von John, einem Literaten, und der Sportlerin Elena soll nicht behindert werden. Aber am Ende der Rolltreppe im Flughafengebäude liegt plötzlich ein Mann, ein anonymer Toter, gestrandet auf dem Band der Mobilität. Niemand scheint ihn wahrzunehmen, nur John. Die Manager des alltäglichen, hektischen Lebens steigen einfach über die Toten hinweg, die es überall in New York gibt - sie seien, heißt es, an gebrochenen Herzen gestorben. Der Flughafen als Ort der final destination, wie in Chris Markers philosophischem Science-Fiction-Klassiker "La Jetée". Die Tristesse, die Verzweiflung des Jetset und der Global Players kann beginnen.

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(Foto: SZ v. 19.03.2003)

Die Idee zu "It's All About Love", so Thomas Vinterberg, sei ihm gekommen, als er auf Promotionstour war für seinen erfolgreichen Erstling "Das Fest" und dabei die fremde Welt der Public Relations erlebte. Vinterberg hat mit Lars von Trier das Dogma-Manifest von 1995 verfasst und mit dem "Fest" den wichtigsten Film der Bewegung gedreht, die immer auch ein Style war. Jetzt präsentiert er, mit seinem neuen Film, gewissermaßen die Kehrseite zu Dogma. Mit grandiosen Cinemascopebildern statt Handkamera, mit aufwendigen Sets statt semidokumentarischer locations, mit den durchdringenden Melodien des Kieslowski-Komponisten Zbigniew Preisner anstelle der Dogma-Musik, deren Quelle auf der Leinwand zu sehen ist, macht Vinterberg sich auf die Suche nach Authentizität, nach dem Echten, nach der verlorenen Unschuld. Er verfilmt die Realität der Träume und Ideen. Da kann man New York auch in einem Studio in Kopenhagen wiederfinden.

Wie in Soderberghs "Solaris", der andere Liebes-Science-Fiction derzeit in unseren Kinos, geht es auch bei Vinterberg um eine zweite Chance. Der Literat John und die Eisprinzessin Elena, die von Joaquin Phoenix und Claire Danes als ein verzaubertes Paar gespielt werden, entdecken die Liebe wieder in einer Welt, in der Emotionen zu SMS-Botschaften verkommen und für eine Trennung nur eine Zwischenlandung eingeplant ist. Die Rekonstruktion der Liebe, das ist ein großes Thema im Kino heute, da reiht Vinterberg sich ein zwischen Tom Tykwer und dem Spanier Julio Medem.

Vinterbergs Film ist eine Studie über die Farbe Weiß, und ein Essay über die Schönheit und zugleich die Grausamkeit von Eis. Das beginnt bei den Eiswürfeln in den Drinks, die erfrischen, aber auch wie Totenköpfe aussehen, und führt zur glänzenden Eisfläche im Stadion, die Elena zu ihrer rasanten Akrobatik verhilft, aber auch Schauplatz eines blutigen, bitter-ironischen Ausrutschers werden kann. Und es endet mit Schnee im Juli, mit der Erkaltung der ganzen Welt.

Kino als Vereisung, als Kristallisation - ein alptraumhaftes Sommermärchen. Wie einst bei den Surrealisten bleibt als letzte Hoffnung gegenüber einer korrupten Gesellschaft nur das Liebespaar auf seiner heimlichen rebellischen Flucht. John hilft Elena, aus dem Netz ihres dubiosen Managements zu entkommen, das bereits Replikantinnen von ihr anfertigen lässt. The show must go on - auch falls Elena etwas zustoßen sollte. Einen einzigen Wunsch haben die traurigen Elena-Klone, die manchmal an Hitchcocks Wiedergängerinnen erinnern: mit dem Original zu trainieren.

Man kann dem Film die Naivität vorwerfen, mit der er die Megathemen Klimakatastrophe, Superstar-Hype oder 11.September reflektiert. Aber zuerst muss man sich auf die kostbaren Bilder einlassen - alles ist bei Vinterberg Stimmung und Atmosphäre. Wenn die Kamera, seltsam abgehoben, den drei weißen Stretchlimousinen folgt, wie sie mit John und Elena durch Manhattan gleiten, beginnt man als Zuschauer fast zu schweben. Minuten der Hypnose, eine beiläufige Weltuntergangsstimmung, ein Vertigo-Gefühl, und die Autos, sanft gefedert, werden Hochzeitskutschen des Todes.

Nur beim Auftritt von Johns Bruder kriegt Vinterberg nicht die Kurve - Sean Penn spielt ihn, und er ist immer in Gefahr, vom Poetischen ins Lächerliche zu rutschen. Um seine Flugangst in einer Radikalkur zu beseitigen, jettet er permanent durch die Luft, ohne den Boden je wieder zu berühren. Mit dem Handy meldet er sich regelmäßig beim Bruder John und liefert einen Report über den chaotischen Zustand der Welt. Penn verkörpert den globalen Einzelgänger, der in einem irrwitzigen Rap wie ein griechischer Ein-Mann-Chor die coolen und schließlich vereisten Ereignisse kommentiert. Ein globales Element, das es in diesen Szenen gar nicht gebraucht hätte - schon der Schauplatz New York hat auf jeder Ebene einen internationalen Touch: Die Figuren John und Elena sollen aus Polen stammen, die Hauptdarsteller kommen aus Amerika, der Regisseur aus Dänemark ... Und in der Stilisierung spürt man ein japanisches Moment, von Ritual und Kalligraphie - tatsächlich ist an der Produktion des Films auch die japanische Firma Shochiku beteiligt gewesen.

Das internationale Kino als Kehrseite, aber auch als Weiterführung des kleinen Dogmafilms - bei Vinterberg wird Globalität nie zur weltbeherrschenden Attitüde. Die Flucht von John und Elena ist rückwärts gerichtet, die Wiederfindung der Kindheit ist das eigentliche Ziel. Der erste Fluchtpunkt, ein schäbiges Hotel in Brooklyn, erscheint altmodisch, wie aus der geschlossenen Welt eines film noir. Der letzte Trip führt dann aus der Stadt, ans Ende der Welt, wo nur noch die Farbe Weiß herrscht. Wenders und Kieslowski sind die Paten dieses Kinos.

Am Ende kommt noch eine Überraschung, die hier nicht verraten werden soll - nur soviel: Es geht um die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Und man merkt in diesem Epilog, dass Vinterbergs Film ein Plädoyer für die Schwere ist, für künstlerische Schwere und für gravitas, für Würde. Man verlässt den Kinosaal nach Ende dieses spekulativen Films, der aber auch wunderschön und wagemutig ist, völlig geplättet. Irgendwie punch drunk, ein Gefühl, das Liebende sehr gut kennen.

IT'S ALL ABOUT LOVE, Dänemark 2003 - Regie: Thomas Vinterberg. Buch: T. Vinterberg, Mogens Rukov. Kamera: Anthony Dod Mantle. Musik: Zbigniew Preisner, Nikolaj Egelund. Mit: Joaquin Phoenix, Claire Danes, Sean Penn, Douglas Henshall, Alun Armstrong, Margo Martindale. Senator, 104 Minuten.

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