Filmreihe:Erinnerung, sprich

Liza ruft

Fanja Brancowskaja vor der Erdhütte ihrer Partisanengruppe.

(Foto: Kassiber Films)

Bei den Jüdischen Filmtagen erhellen Dokumentarfilme sehr komplexe Sachverhalte anhand individueller Schicksale

Von Eva-Elisabeth Fischer

Sie strahlt immer noch Lebenslust aus mit ihren 95 Jahren. Sie erzählt mit fester Stimme aus ihrem dramatischen Leben. Sie führt, frisch ausschreitend, Besucher an die (Mord-)Stätten von einst, in den Wald zur Erdhütte, wo sie als "freche und energische" Partisanin Krieg und Verfolgung überdauerte; ins einstige Wilnaer Ghetto, das am 23. September 1943 liquidiert wurde und an die Gruben im Wald von Ponar, wo bereits zwei Jahre zuvor 70 000, also die Hälfte der Wilnaer Juden, hingemetzelt worden waren. Fanja Brancowskaja, Jüdin, Partisanin und Streiterin für eine nahezu gänzlich ausgelöschte jiddische Kultur im heute Vilnius genannten Wilna, ja in ganz Litauen, hätte nicht nur deshalb allen Grund, verbittert, verzweifelt, ja gebrochen sein.

Der Berliner Historiker und Filmemacher Christian Carlsen begleitet sie auf ihren Wegen und leitet sie mit ebenso klugen wie kritischen Fragen durch die Wirren der Geschichte für seinen fast zweistündigen, nach der Losung ihrer Partisaneneinheit benannten Dokumentarfilm "Liza ruft!". Mittels dieser Lebensgeschichte vermag er die komplexen politischen Bewegungen im Litauen von heute auf genau recherchierter historischer Basis ebenso verständlich wie lebendig auszuleuchten. Schon allein deshalb markiert diese Dokumentation (30. Januar, 19 Uhr) den Höhepunkt der 9. Jüdischen Filmtage.

Fanja Brancowskaja erscheint darin als Katalysator für die fanatisierende Macht von Ideologien. In ihrer Person bündeln sich die Ismen der vergangenen 80 Jahre: Jiddischismus versus Hebräismus und Zionismus, Nationalsozialismus und Bolschewismus, Kommunismus und Revisionismus. Offiziell hoch dekoriert für ihren nicht nachlassenden aufklärerischen Mut und ihren Widerstand als Partisanin, ist sie seit 2007 als vermeintliche Mörderin von Litauern der Hetze nationalistisch gesinnter Revisionisten ausgesetzt. Postsowjetische Theorien wie die vom zweifachen Holocaust - dem der Deutschen an den Juden und dem jüdischer Bolschewiken an den Litauern - nehmen Menschen wie Fanja Brancowskaja abermals ihre Geschichte.

Die Personifizierung entscheidender historischer Ereignisse gelingt auch dem amerikanischen Regisseur Eli Adler, aufgewachsen in Skokie, Illinois, anhand der Lebensgeschichte seines Vaters Jack. Der Titel von Adlers bemerkenswerter Doku "Surviving Skokie" bezieht sich auf eine historisch verbürgte Episode aus seiner Geburtsstadt. Dort nämlich hatte der amerikanische Nazibund sein Hauptquartier, dessen Führer Frank Collin pikanterweise selbst der Sohn eines KZ-Überlebenden war, wie sie sich zu Tausenden in der Kleinstadt nahe Chicago niedergelassen hatten. Letzteren, organisiert in der Jewish Defence League, gelang es 1977, einen groß angelegten Aufmarsch im Vorort ihrer Stadt, wo die meisten Juden wohnten, durch eine Massendemonstration zu verhindern. Aber erst fast 20 Jahre später fing Jack Adler an zu reden - über die polnische Stadt Pabianice, über das Ghetto, wo die Hälfte seiner Familie starb. Vater und Sohn machten sich auf nach Polen, reisen Jacks Leidensweg durch die KZ ab, der für den damals 17-Jährigen bei einer Pflegefamilie glücklich in Amerika endete. Dort spricht er bis heute als Zeitzeuge über das Erlittene (28. Januar, 17 Uhr).

Auch der Schauspieler Christian Berkel reist nach Lodz. Er begibt sich auf die Spuren seiner jüdischen Großmutter und gründelt in Jerusalem nicht nur nach jüdischen Wurzeln. Das alles für den mit "Nie wieder" überschriebenen zweiten Teil von Emanuel Rotsteins biederer Fernseh-Doku auf der didaktischen Suche nach "Guardians of Heritage - Hüter der Geschichte" für History Deutschland. Dabei ist Berkels Beitrag noch der interessanteste, weil persönlichste. Denn auch in Teil 3, "Lernen aus der Vergangenheit", posieren bekannte Fernsehdarsteller wie Ulrike Folkerts oder Hannes Jaenicke in pittoresken Landschaften, um Historiker zu den blutigen Dramen ihrer Menschen an den einschlägigen Kultur- oder Gedenkstätten zu befragen. Wobei dann die Kamera zum Beispiel vom Holocaust-Mahnmal in Berlin zu einem Killing Field in Kambodscha und von da zur Gedenkplakette an das Ghetto Lodz springt. Und wieder zurück (21. Januar, 17 Uhr). Oje.

9. Jüdische Filmtage in München, alle Infos und Anmeldung unter www.ikg-m.de

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