Filmmusik:Der Klang von Mittelerde

Howard Shore

Das vielleicht wichtigste Werk seiner Karriere hat er der Welt der Hobbits zu verdanken: der Filmkomponist Howard Shore unter den wachsamen Augen Frodos.

(Foto: Anja Koch/Alegria Konzert GmbH)

Die Musik zu "Der Herr der Ringe" gilt als Glanzleistung des Oscar-prämierten Komponisten Howard Shore. In der Philharmonie kann man das Werk nun live zum Film erleben

Interview von Anke Sterneborg

Die etwa elf Stunden Musik, die der Kanadier Howard Shore, 70, für Peter Jacksons Verfilmung von J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe" geschrieben hat, bezeichnet der mit drei Oscars ausgezeichnete Komponist als die Summe seiner Arbeit. Ein episches Werk für großes Orchester, Chor und Kinderchor. Mehr als 400 Mal wurde es weltweit vor riesigen Leinwänden aufgeführt - ein Großereignis, in dessen Genuss nun auch die Münchner kommen. Von Sonntag an sind die drei Teile des Epos' nacheinander zu erleben. David Reiz dirigiert Teil eins und zwei mit dem Radiosymphonieorchester Pilsen. Bei Teil drei mit den Münchner Symphonikern steht Shih-Hung Young am Pult.

SZ: Im Film ist Ihre Musik konserviert, jetzt kommt sie live auf die Bühne. Was bedeutet Ihnen das?

Howard Shore: Das Komponieren ist ein sehr einsamer Beruf. Mit der Musik für "Herr der Ringe" verbrachte ich vier Jahre in der stillen Kammer. Nach der Kinoversion habe ich zehn CDs mit der kompletten Filmmusik aufgenommen, das hat weitere drei Jahre gedauert. Danach wollte ich meine Musik zumindest einmal am Stück, als Konzert, hören. Anders als die Oper, die drei Concertos und diverse Kammermusiken, die ich geschrieben habe, wird Filmmusik im Studio ohne Publikum aufgenommen und dabei noch in viele kleine Teile gestückelt. Es macht mich darum ganz besonders glücklich, den Film jetzt in der Verbindung mit Musik vor Publikum zu erleben.

Die Querverbindungen zwischen Konzert- und Filmmusik haben Sie immer wieder gesucht, auch mit der "Symphony in Six Movements", einer Konzertversion des "Herr der Ringe"-Scores: Wie sehen Sie die Verbindung zwischen diesen Genres?

Ich habe schon sehr jung komponiert. Mich hat Musik immer in allen Formen interessiert, ich habe fürs Radio gearbeitet, fürs Fernsehen, Kino, für Dokumentarfilme ebenso wie für Spielfilme und Konzerte. Die Musik für "Herr der Ringe" wurde für die Londoner Philharmoniker erschaffen, ein Orchester, mit dem ich da schon 15 Jahre lang zusammengearbeitet hatte. Für Lang Lang habe ich auch ein Klavierkonzert komponiert und ein Cello-Konzert für Sophie Shao. Ich genieße jede Gelegenheit, mit so großen Künstlern zusammenzuarbeiten. Da spielt es keine Rolle, ob fürs Konzerthaus oder für einen Film.

"Herr der Ringe" markiert einen Wendepunkt in Ihrem Werk, ein episches Fantasy-Abenteuer nach vielen eher kleineren Arthaus-Filmen. Haben Sie gezögert, sich darauf einzulassen?

Als der Anruf von Peter Jackson kam und ich ihn und die Drehbuchautoren Fran Walsh und Philippa Boyens traf, habe ich sehr schnell Feuer gefangen. Dieser Reichtum an Details faszinierte mich sofort. Eine besondere Verbindung zu Tolkien spüre ich auch in unserer gemeinsamen Liebe zur Natur. Es wurde eine richtige Liebesgeschichte, ein Höhepunkt meiner Karriere. Es war ein beängstigender Auftrag, aber ich bin Schritt für Schritt vorgegangen - in einem sehr akribischen Prozess.

Wie gehen Sie an so eine Komposition heran?

Es gibt immer eine Recherchephase zum Thema, ich lese sehr gerne und viel im Vorfeld, alles was in Beziehung zum Werk des Autors steht, was ihn inspiriert hat, auch spätere Autoren, die er beeinflusst hat. In diesem Fall kam noch die sehr alte Ring-Mythologie dazu. Wenn ich verstanden habe, woher die Ideen des Buches stammen, lege ich alles beiseite und frage mich, was ich dazu empfinde, wie ich es interpretiere, was mich inspiriert. Dann setze ich mich an meinen Tisch und schreibe Musik, die nicht auf Bildern, sondern auf diesen Ideen basiert. Wenn die Filmbilder dazukommen, beginne ich mit dem eigentlichen Scoring, passe die Musik an die Bilder an, und orchestriere das Ganze. Am Anfang aber steht immer dieser traumartige Zustand, in dem ich sozusagen Tuchfühlung mit dem Werk aufnehme.

Kommen bei der Arbeit am Schreibtisch auch Instrumente ins Spiel?

Nein, ich komponiere immer mit dem Bleistift, so wie ich es als Junge gelernt habe. Ich habe Holzblasinstrumente gespielt, Klarinette und Flöte, habe Klavier, Cello und Trompete studiert, aber wenn ich mit dem Komponieren beginne, lege ich die Instrumente beiseite.

Welchen Einfluss hatte Wagners Ring auf diese Komposition?

Die Idee, mit Leitmotiven zu arbeiten, stammt aus Wagners Konzept. Eine wunderbare Idee, mit der sich die gigantische Welt, die Tolkien erschaffen hat, strukturieren lässt. Die musikalischen Leitmotive helfen den Zuschauern, sich zu orientieren und die verschiedenen Kulturen von Mittelerde zu verstehen. Am Anfang bin ich über die italienische Kunst herangegangen, Puccini und Verdi, bei der "Rückkehr des Königs" habe ich mir Bruckner angeschaut und am Ende noch eine Passage geschrieben, die eine kleine Verbeugung vor Wagner ist.

Diese Art, mit Leitmotiven umzugehen, ist der größte Unterschied zu Ihren anderen Kompositionen, oder?

Ja, denn viele dieser Filme zielten eher darauf ab, Vieldeutigkeit herzustellen. Die Musik hat die Ränder der Geschichte umspielt und ihr im Subtext Tiefe und Details hinzugefügt. Im Unterschied dazu gleicht "Herr der Ringe" eher einer Oper, in der die Musik der Klarheit des Stückes und dem Erzählfluss dient. Diese Orchestration liegt in einer viel älteren Traditionslinie. Mittelerde ist 5000 bis 6000 Jahre vor unserer Kultur angesiedelt, die Musik musste also ein historisches Gefühl vermitteln. Trotzdem sind viele musikalische Gesten aus dem 20. Jahrhundert eingestreut.

Wenn Sie die Leitmotive für verschiedene Figuren komponieren, haben Sie da Lieblinge?

Im Grunde hatten die Objekte fast mehr Resonanz, etwa der Ring selbst, der allein schon drei Motive hat. Aber ich glaube, es gab Beziehungen, die ich besonders gern mochte, zum Beispiel die von Sam und Frodo. Diese beiden Hobbits haben mich sehr inspiriert, sie waren immer im Zentrum der Geschichte, sozusagen ihr schlagendes Herz.

Der Herr der Ringe, Sonntag, 9., bis Montag, 17. April, 19 Uhr, Philharmonie, Gasteig

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