Filmkritik "Wintertochter":Polnische Perle

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Glücksfall für das Genre Kinderfilm: In Johannes Schmids "Wintertochter" begeben sich ein Mädchen und ein Junge auf die Suche nach ihrer aufwühlenden Vergangenheit. Und nebenbei erkunden sie die Geheimnisse Polens.

Marius Nobach

Selten kommt es vor, dass ein Regisseur es wagt, einen Kinderfilm zu drehen, der ohne modische Anbiederungen allein auf seine Geschichte und die Überzeugungskraft seiner Bilder vertraut.

Familien-Roadmovie mit eindrücklichen Bildern: Kattaka und Lene machen sich auf die Reise von Polen nach Berlin, um nach Kattakas leiblichem Vater und Lenes verdrängter Vergangenheit zu suchen. (Foto: dpa)

Johannes Schmid aber ist so ein Glücksfall für das Genre, wie er vor drei Jahren schon mit seinem sympathischen Debütfilm "Blöde Mütze!" bewiesen hat. Mit "Wintertochter" ist Schmid noch einen Schritt weitergegangen und hat ein Familien-Roadmovie voller ruhiger Momente gedreht. Mit eindrucksvollen Bildern polnischer Städte, riesiger Hafenanlagen und ausgedehnter winterlicher Landschaften kann der Film vor allem auch ästhetisch auftrumpfen.

Dabei ist die Geschichte zunächst aufwühlend: Ausgerechnet an Weihnachten erfährt Kattaka (Nina Monka), dass ihr Vater nicht ihr leiblicher Vater ist. In einer pubertären Überreaktion macht sie sich mit ihrem Freund Knäcke (Leon Seidel) und Nachbarin Lene (Ursula Werner) auf die Suche nach ihrem Erzeuger - und ein veritabler Roadtrip beginnt.

Neben dieser Handlung lässt Schmid fast beiläufig die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen in all ihren Spannungen mit einfließen. Die Naziverbrechen im Zweiten Weltkrieg werden ebenso angesprochen wie aktuelle deutsche Vorurteile gegenüber dem östlichen Nachbarn.

Feines Gespür für Stimmungen

Während die Kinder die Reise durch das unbekannte Land als aufregendes Abenteuer erleben, wird die Fahrt für ihre Lene, je weiter sie ins Herzland Polens eindringen, immer mehr zur schmerzhaften Auseinandersetzung mit ihrer verdrängten Vergangenheit. "Jetzt reiß dich mal zusammen! Es geht nicht nur um dich!", weist sie Kattaka einmal zurecht, als die sich weigert, am Telefon mit ihren Eltern zu sprechen.

Allmählich merkt das mit der Suche nach seinem Vater beschäftigte Mädchen, dass die unnahbare Lene ganz eigene Probleme mit sich herumschleppt, die bewältigt werden müssen.

Die Annäherung der unterschiedlichen Charaktere verrät Johannes Schmids feines Gespür für Stimmungen und überzeugt nicht zuletzt durch das hervorragende Zusammenspiel der Darsteller. Nina Monka spielt die Rolle der ebenso trotzköpfigen wie sensiblen Kattaka mit großer Natürlichkeit, Leon Seidel beweist wahre Sidekick-Qualitäten. Und Ursula Werner (in ihrem ersten Kinofilm nach dem großen Erfolg von "Wolke 9") darf an der Seite der Kinder als schroffe alte Frau glänzen, die ihren tiefen inneren Schmerz vor aller Welt verbergen will.

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