Filmkritik:Jenseits aller Emotionen

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Charlize Theron als kaltblütige Serienmörderin in Patty Jenkins' Film "Monster".

Von Fritz Göttler

Kaltblütig, hat Aileen Wuornos selbst geschrieben, in einem Brief an den Staatsanwalt von Florida - das war im Jahr 2001, über zehn Jahre, nachdem sie angefangen, hatte, Männer umzubringen, die sie am Straßenrand auflasen, für einen Quickie, zehn Jahre, die sie in der Todeszelle in einem Gefängnis in Florida gesessen hatte -, kaltblütig habe sie diese sieben Männer damals erschossen. Mit dieser billigen Straßenprostitution, am Rande der Highways, hatte sie sich das Geld für ihren Lebensunterhalt verschafft - und für den der jungen Selby, des Mädels, das die Eltern weggeschickt hatten aus dem gutbürgerlichen Heim in Ohio, weil sie mit den lesbischen Anwandlungen der Tochter nicht zurechtkamen.

Den ersten weiblichen Serial-Killer hat man Aileen Wuornos genannt, und mit diesem Begriff eben diese Kaltblütigkeit zu fassen versucht - wenn Frauen Verbrechen begehen, denkt man immer noch an Leidenschaft und Obsession, an einen Wirbel der Emotionen. Wer seine Tat als kaltblütig deklariert, entzieht sie der Erklärbarkeit, leugnet die Beziehung, die bestehen mag zwischen dem Täter und dem Opfer.

Erster Film, erstes Drehbuch

Am 9. Oktober 2002 wurde Aileen Wuornos schließlich hingerichtet. Der Brief steht im Gegensatz zu ihrer vorherigen Verteidigungsstrategie, sie hatte lange Zeit auf Notwehr plädiert. War sie des Kämpfens müde, war diese Erklärung der Kaltblütigkeit eine letzte Absage an eine Gesellschaft, in der sie keinen Platz gefunden hatte? Ein halbes Jahr nach der Hinrichtung begann die Kunst- und Filmstudentin Patty Jenkins mit den Dreharbeiten zu "Monster" - ihr erster Film, ihr erstes Drehbuch. Während der Recherchen hatte sie vorher mit Aileen Wuornos Kontakt aufgenommen, Briefe lesen können, die sie an einen Brieffreund aus der Todeszelle schrieb: "It's weirdly heroic - and tragic."

Ich wollte schon immer zum Film, sagt Aileen am Anfang, und man sieht ihr an, sie meint das ernst. Ein merkwürdiges Lächeln liegt in ihren Augen, und es ist einer der wenigen Momente, da ihr Gesicht den harten Zug verloren hat, zu dem sie sich sonst immer zwingt. Auf ihrem Haar liegt ein Lichtschein, der an den Spitzlicht-Glamour erinnert, der in den Dreißigern und Vierzigern, der Silver-Screen-Ära, den Ladies von den Kamerameistern hingezaubert wurde. Eine Geborgenheit, wie sie wieder spürbar wird in den Gesprächen mit dem Mann, der als einziger so etwas wie eine Beziehung, eine Kameradschaft mit ihr aufbaut, der Veteran Bruce Dern.

Stets am Rande der Karikatur

Im Gespräch ist der Film "Monster" seit Monaten durch die konträre Prozedur, die radikale Entglamourisierung, die er betreibt, und die der Aileen-Darstellerin Charlize Theron unter anderem einen Silbernen Bären in Berlin, einen Golden Globe und einen Oscar eingebracht haben. Mit einer Performance, die bewusst auf Deformation baut - dreißig Pfund Zusatzgewicht, eine schaurige Zahnprothese, stumpfes Haar, talgige Haut, maskuline Körperhaltung und Gang - und sich, mehr oder weniger bewusst, stets am Rande der Karikatur bewegt. Ein wenig erinnert sie an die künstlichen Kreationen des fantastischen Kinos, an die Lehmfigur des Golem, an Frankensteins Geschöpf.

Ein Film, der, seiner Entstehung nach, aus der Independent-Ecke des amerikanischen Kinos kommt - das darf man nicht vergessen, über den ganzen Charlize-Theron-Oscar-Hype. Ein Budget von etwa 5 Millionen Dollar, 28 Drehtage, ein Star, der sich ganz diszipliniert gibt und zudem als Koproduzentin fungierte. Nur ganz am Rande hat vielleicht Nicole Kidmans Virginia Woolf ein wenig mitgespielt, die Rolle in "The Hours", für die Kidman, ebenfalls durch Mut - zu einem künstlichen Nasenbuckel - sich einen Oscar verdient hatte.

Schwan im Entenkostüm

Aileen ist Monster und Opfer zugleich: eine Kindheit ohne Liebe, früher Missbrauch und Vergewaltigung. Der Selbstmord des Vaters, in der Jugend bereits Prostitution, mit dreizehn ein Kind. Am Anfang des Films ist sie am Ende, mit einer Pistole in der Hand hockt sie unter einer Autobahnbrücke, zum Selbstmord entschlossen. Dann zieht sie doch weiter, in eine Bar, wo sie Selby findet, gespielt von Christina Ricci, die keine Angst hat vor Aileen Wuornos. Gemeinsam gehen sie Rollschuhlaufen, erkunden Neuland für Aileen - ein Kleinmädchen-Zimmer, leidenschaftliche Küsse, dazu die coolen Klänge von "Crimson and Clover".

Mit dieser Liebessequenz beginnt Aileen Wuornos' letztes Gefecht. Der Film gehört ins Genre der "Here is a woman who would not take it anymore"-Filme. "Badlands", "Midnight Cowboy", "Bonnie and Clyde" hat Patty Jenkins als Vorbilder angegeben. Was ihrer Heldin fehlt, im Kontrast zu den Männern des jungen amerikanischen Kinos, der "Taxi-Driver"-Generation, ist die entschiedene Geste des Aufstands, der Wille, aufzuräumen mit dem Dreck, dem Unrat, die Anstrengung, diese verrottete Gesellschaft kräftig durchzuspülen.

Vielleicht hat Aileen wirklich Starpotential, und der zweite Teil des Films dekliniert das voll durch. Theron spielt den Macho, die harte Frau. Sie säuft und hat immer einen Glimmstengel zwischen den Fingern und schlägt zu, wenn einer sie dumm anredet in einer Bar. Der Film will kein falsches Mitleid erzeugen für diese Frau, aber Theron spielt gegen zwei starke Gespenster an, die schauspielerische Bravourleistung und die Message, all das Gutgemeinte, das an dem Film klebt, und sie muss am Ende unterliegen. Der Horror des Films ist nicht, dass sich das hässliche Entlein nie in den ersehnten weißen Schwan verwandeln wird - sondern dass man immer weiß, dass es der Schwan Charlize Theron ist, der in dieses Entenkostüm gesteckt wurde.

Moment der Unerklärlichkeit

Zwei Dokumentationen hat es in den zehn Jahren Todeszelle über Aileen Wuornos gegeben, von Nick Broomfield, "Selling of a Serial Killer", 1992, und "Life & Death of a Serial Killer", 2003. Das radikale exploitation movie, das Patty Jenkins vielleicht im Kopf hatte, ist "Monster" nicht geworden.

Ein anderer Film hat sich womöglich davor geschoben, "In Cold Blood", von Richard Brooks, nach dem Buch von Truman Capote, über zwei Jungs, die durchs Land fuhren und, völlig sinnlos, kaltblütig, eine Farmerfamilie in Kansas umbrachten. Scott Wilson, der damals einen der Killer spielte, spielt bei Patty Jenkins das letzte Opfer von Aileen Wuornos - und das ist ein harmloser, freundlicher alter Herr, den sie dennoch zwingt, niederzuknien ... Ein Moment der Unerklärlichkeit, jener Kaltblütigkeit, die das Kino in seinen coolsten Momenten immer wieder anstrebt.

MONSTER, USA 2003 - Regie, Buch: Patty Jenkins. Kamera: Steven Bernstein. Schnitt: Jane Kurson, Arthur Coburn. Musik: BT. Mit: Charlize Theron, Christina Ricci, Bruce Dern, Scott Wilson, Pruitt Taylor Vince, Lee Tergesen, Annie Corley, Marco St. John, Marc Macaulay, Russ Blackwell. 111 Minuten.

© SZ vom 14.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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