Filmfestspiele in Cannes:Endlich den Teufel besiegt

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Regisseur Terry Gilliam mit den Schauspielrinnen Rossy de Palma und Olga Kurylenko nach der Premiere von "The Man Who Killed Don Quixote". (Foto: AFP)

Terry Gilliam dreht seit 30 Jahren einen Film über Don Quixote. Bislang brachte ihm das: einen toten Hauptdarsteller, viele Rechtsstreits, einen Schwächeanfall - und jetzt tatsächlich einen fertigen Film.

Von David Steinitz

Hat Regisseur Terry Gilliam den Teufel besiegt? Am letzten Wochenende des Filmfestivals von Cannes sitzt der "Monty Python"-Mitbegründer im braunen Schlabbershirt auf dem Podium des Pressekonferenzsaals im Festivalpalast und grinst breit, als ihm diese Frage gestellt wird. Die Weltpremiere seiner Tragikomödie "The Man Who Killed Don Quixote" steht an und der der 77-Jährige erzählt, wie es sich anfühlt, eins der vertracktesten Projekte der Filmgeschichte nach fast 30 Jahren endlich fertiggestellt zu haben.

Wobei, was heißt schon vertrackt? Gilliam hat eine Odyssee hinter sich: Schon Anfang der Neunzigerjahre hatte er erstmals die Idee, aus dem Roman "Don Quixote" von Miguel de Cervantes einen Abenteuerfilm zu machen. Und ziemlich genau ab da ging so ziemlich alles schief, was nur schief gehen kann.

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Zunächst fand Gilliam keine Finanziers. Die Hollywoodstudios winkten ab, für eine europäische Produktion schien seine Vision zu teuer. Dann hatte er um die Jahrtausendwende das Geld doch zusammen, vor allem aus Frankreich und Spanien. Sogar zwei Stars hatte er gewinnen können. Der französische Schauspieler Jean Rochefort sollte Don Quixote spielen, der damalige Jungstar Johnny Depp seinen Untergebenen Sancho Panza. Als Rochefort jedoch einen schweren Bandscheibenvorfall erlitt, konnte er die wichtigste Aufgabe des Ritters von der traurigen Gestalt nicht mehr erfüllen: auf einem Pferd zu sitzen.

Außerdem spielte das Wetter am Wüstenset in Spanien, an dem es angeblich nie regnet, plötzlich verrückt - es schüttete wie aus Eimern. Die Kulissen gingen kaputt, die Nerven der Filmemacher auch. Der Dreh musste abgebrochen werden und die Rechte am Stoff gingen auf die Filmversicherung über, bei der die Produzenten in der Kreide standen. Man kann dieses spanische Waterloo sogar in einem eigenen Film sehen: der 2002 entstandenen Dokumentation "Lost in La Mancha".

Es vergingen also wieder Jahre, in denen Gilliam Geld auftreiben musste, um die Rechte an seinem eigenen Film zurückzukaufen und einen zweiten Anlauf zu starten.

Als es endlich so aussah, als könne er loslegen, starb sein Hauptdarsteller Jean Rochefort. Und der mittlerweile 54-jährige Johnny Depp passte nicht mehr auf die jugendliche Figur, die er sich für Sanch Panza vorgestellt hatte. Also: Neubesetzung.

Schließlich drehte Gilliam den Film mit Jonathan Pryce (Don Quixote) und dem Hollywoodjungstar Adam Driver (Sancho Panza) - und das zunächst durchaus erfolgreich: Der Film war nach ein paar Monaten abgedreht, beim Festival in Cannes freute man sich schon auf den Coup, ihn als Weltpremiere zeigen zu können.

Dann grätschte zu Beginn des Festivals der portugiesische Produzent Paulo Branco dazwischen. Er war vor Jahren an dem Projekt beteiligt gewesen und ausgestiegen, behauptete aber jetzt, durch die Aufführung würden seine alten Urheberrechte verletzt. Er zog vor Gericht, um die Weltpremiere zu verhindern.

Derweil erlitt Gilliam in London einen Schwächeanfall und musste ins Krankenhaus, einige britische Medien berichteten sogar von einem leichten Schlaganfall. Immerhin Letzteres stellte sich als Falschmeldung heraus. Nach ein paar Tagen Ruhe war der Regisseur wieder fit - und das Gericht entschied in letzter Minute zu seinen Gunsten: "The Man Who Killed Don Quixote" darf in Cannes auf die Leinwand des Grand Theatre Lumière!

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Soweit die Vorgeschichte bis zur Pressekonferenz und der Frage, ob Terry Gilliam den Teufel besiegt hat, der ihm anscheinend im Nacken saß. Der Gebeutelte lehnt sich genüsslich zurück, streckt die Arme aus, lacht ein tiefes, dreckiges Lachen und sagt: "Ich bin hier, oder?" Was die versammelten Zuschauer direkt in einen Jubel versetzt, als hätte er gerade das Siegtor des WM-Finales geschossen, wie überhaupt eine Feierstimmung herrscht, als handele es sich nicht um die Pressekonferenz, sondern um die Premierenfeier. "Der Film ist fertig", sagt Gilliam. "Kein Mensch auf der Welt sollte eine Ausrede haben, ihn sich nicht anzuschauen. Ich freue mich auf ein paar Milliarden Zuschauer!"

Spricht's, und entschwindet in die Katakomben des Festivalpalastes, um das Schlabbershirt loszuwerden und sich umzuziehen. Denn beim Festival in Cannes dürfen auch Menschen, die den Teufel besiegt haben, nicht ohne Anzug und Fliege zur Premiere.

Und wie sieht der fertige Film nun aus? In Gilliams Quixote-Version kommt ein arroganter amerikanischer Regisseur namens Toby (Adam Driver) nach Spanien, um einen Werbeclip zu drehen. Vor Jahren, als Student, war er schon einmal hier, und machte einen Kurzfilm über Don Quixote. Damals fand er in einem abgelegenen Dörfchen einen alten Schuhmacher (Jonathan Pryce), der ihm als Traumbesetzung für seinen Ritter erschien. Als er diesen zufällig wiedertrifft, muss er feststellen, dass der arme Mann seitdem nicht mehr aus seiner Rolle herausgefunden hat. Er glaubt wirklich, er sei Don Quixote, reitet mit Rüstung und Pferd durchs Land und kämpft gegen Windmühlen, die er für Riesen hält.

So ein spezieller Film muss den Teufelsritt spiegeln, der nötig war

Außerdem glaubt der klapprige Ritter, Toby sei Sancho Panza. Er zwingt ihn, sich auf einen Esel zu setzen, um ihm bei seinen Abenteuern zu assistieren. Dabei bekommen sie es mit mehreren Schurken und zwei attraktiven Señoritas zu tun, die insgesamt für etwas viele Nebenhandlungsstränge sorgen.

"The Man Who Killed Don Quixote" ist vor allem wegen dieser unübersichtlichen Handlung nicht das Meisterwerk geworden, auf das viele nach all den Chaosjahren vielleicht gewartet haben. Dazu springt der Film zu chaotisch zwischen den einzelnen Geschichten hin und her und verliert zwischendurch seine Hauptfiguren aus den Augen - einerseits.

Andererseits darf, ja muss, so ein spezieller Film natürlich auch den Teufelsritt spiegeln, der notwendig war, um ihn zu machen. Weshalb man Gilliam das Chaos eigentlich nicht wirklich vorwerfen kann und es vermutlich ohnehin Konzept ist. Chaotische Geschichten über Außenseiter, die sich ihre eigene Realität erschaffen, haben Gilliam ja schon immer fasziniert, von "Die Abenteuer des Baron Münchhausen" über "König der Fischer" bis "Das Kabinett des Dr. Parnassus".

Seine Idee, zwei mittelalterlich gekleidete Gestalten durch das Spanien von heute reiten zu lassen, basierte ursprünglich auf einer logistischen Entscheidung. Um das 17. Jahrhundert auferstehen zu lassen, fehlte es schlicht an Geld. So aber hat die Story ihre humoristischen Momente schon automatisch eingebaut, weil die Spanierinnen von heute eher irritiert reagieren, wenn sie plötzlich ein Ritter beschützen will. Und durch die Verlegung des Stoffes in die Gegenwart legt Gilliam natürlich auch den universellen Kern dieser Geschichte frei, der besagt, dass nun mal jeder Mensch zu jeder Zeit mit seinen eigenen Windmühlen zu kämpfen hat.

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