Filmfestival von Venedig:Im Splatterkrieg

Filmfestspiele Venedig - 'Nobi'

Am Ende ein obszöner Film: "Nobi/Fires on the Plain" von und mit Shinya Tsukamoto

(Foto: dpa)

Shinya Tsukamoto versucht sich in Venedig mit seinem Wettbewerbsfilm "Nobi" ein exaktes Bild vom Krieg zu machen, doch es gelingt ihm nur ein unendlich grausamer Splatterfilm. Da haben Altmeister wie Robert Altman schon vor Jahrzehnten den Zuschauer besser erreicht. Gut also, dass in Venedig auch lang Vergessenes zu sehen war.

Von Susan Vahabzadeh

Wir leben in einer von Authentizität besessenen Zeit, und manchmal vergisst die Kunst darüber, dass sie Kunst ist. Das Kino, ganz besonders jene Filme, die man auf Festivals zu sehen bekommt, bemüht sich um Wahrhaftigkeit - und manchmal kann man sehen, dass sich die Wirklichkeit umso weiter entfernt, je präziser man versucht, sie einzufangen.

Shinya Tsukamotos Wettbewerbsbeitrag "Nobi/Fires on the Plain" ist ein gutes Beispiel: Krieg ist obszön, doch wenn man versucht, sich ein exaktes Bild von ihm zu machen - dann hat man am Ende einen obszönen Film.

"Nobi" basiert auf einem Roman von Ooka Shohei von 1951, der darin eigene Erlebnisse verarbeitet hat. Japanische Soldaten versuchen während des Zweiten Weltkriegs, sich auf den Philippinen vor der Übermacht der Amerikaner zurückzuziehen - ein entsetzliches Gemetzel.

Der Schriftsteller Tamura (gespielt von Tsukamoto selbst) fühlt sich allein unter Monstern, als habe er sich als Einziger ein wenig Menschlichkeit bewahrt: Die eigenen Vorgesetzten sind grausam, er begegnet philippinischen Rebellen, die sich wie kreischende Ungeheuer benehmen, es gibt nichts zu essen, um ihn herum ist nichts als feindliche Natur - und für den Rückzug muss man durch ein freies Feld, auf dem die Menschen im amerikanischen Bombenhagel zerplatzen wie Wassermelonen, die auf Asphalt aufschlagen.

Tsukamotos Soldaten sind wie aus einem Horrorfilm - sie sind wahnsinnig; was sie erlebt haben, hat sie zu Zombies und Kannibalen gemacht.

Wozu diese Bilder ertragen?

Den Krieg als reinen Horror zu zeigen, das ist im Umkehrschluss ganz hilfreich, um die Zombie- und Splatterfilmkultur in der Wirklichkeit zu verorten: Schlachten wie diese erzeugen Albträume, und vielleicht sind die der Ursprung aller Zombie-Phantasien.

"Nobi" selbst aber wirkt künstlich - am Ende hat man dann doch nur einen unendlich grausamen Splatterfilm gesehen, und wer von Haus aus nicht zuschauen müssen möchte, wie Schädel zerplatzen und Gliedmaßen im Straßengraben herumliegen, wird sich fragen, wozu er diese Bilder ertragen hat.

Robert Altman hat seinen Vietnamkriegsfilm "M*A*S*H" vor 44 Jahren wesentlich trickreicher angelegt - Trick Nummer eins war schon mal, ihn in den Koreakrieg zurückzuverlegen, Trick Nummer zwei besteht darin, ihn zwischen grausam und komisch anzulegen, sodass einem das Lachen oft im Halse stecken bleibt - aber man kann sich hineinfühlen in das, was diese Ärzte erleben.

Achtzigerjahre-Mockumentary, lange vor Reality TV

Über den 2006 verstorbenen Altman ("Gosford Park") hat Ron Mann in Venedig einen Dokumentarfilm vorgestellt, der zwar nicht sehr präzise darauf eingeht, was Altmans Filme so bahnbrechend machte - die Kamerafahrten, oder dass er seine Schauspieler durcheinandersprechen ließ, genau dafür wurde er Anfang der Sechziger, bei seiner ersten Kinoarbeit, noch von Studioboss Jack Warner eigenhändig gefeuert.

Aber dafür arbeitet Mann das Werk zumindest chronologisch ab und fördert Dinge wieder zutage, die seit Langem vergessen waren.

Die Serie "Tanner" beispielsweise, die Altman 1988, als er bei den Filmstudios gerade wieder mal in Ungnade gefallen war, für den Fernsehsender HBO machte: Da schickte er im Mockumentary-Stil einen fiktiven Politiker in eine Präsidentschafts-Kampagne, lange vor dem Siegeszug des Reality TV.

Auch damals war also HBO schon ein Refugium für Filmemacher, denen es der Kinobetrieb schwer macht.

Lisa Cholodenko hat zuletzt "The Kids Are All Right" über ein lesbisches Paar mit Kindern gemacht, aber ihre Art, das Spektakuläre im Alltag zu suchen, gilt als zu wenig kommerziell.

Bärbeißig, aber konstruktiv

Die Miniserie "Olive Kitteridge", die sie in Venedig vorstellte, gehört zu den Highlights des Festivals. Hauptdarstellerin Frances McDormand wurde in diesem Jahr mit einem der Ehrenpreise ausgezeichnet, dem Talent Visionary Award - und als Olive kann sie so richtig schön beweisen, warum sie ihn verdient hat: Olive ist eine bärbeißige Mathelehrerin in Maine, mit einem bösen schwarzen Humor, der dem Landvolk meist zu viel ist.

Aber sie ist dann eigentlich viel warmherziger, als sie tut, greift immer wieder ins Geschick ihrer Mitmenschen ein, lässt ihren Mann von seiner Assistentin träumen, staucht eine depressive Nachbarin, die sich nicht gut genug um ihr Kind kümmert, konstruktiv zusammen, redet einen Suizidalen in Grund und Boden.

Die Serie basiert auf einem Roman von Elizabeth Strout, der sich aus 13 Kurzgeschichten zusammensetzt, Cholodenko hat sie zu vier Episoden verwoben; und die Kleinstadtdramen, die Bilder, die einer sieht, der gerade den Verstand verliert, die Tränen um einen verpassten Liebhaber - das ist alltäglich, aber spektakulär. Und man glaubt ihr einfach jedes Wort - und jedes Bild.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: