Filmfestival in Cannes:Österreicher sind die besseren Deutschen

Triumph in Cannes: Michael Hanekes "Das weiße Band" gewinnt die Goldene Palme und Christoph Waltz für "Inglourious Basterds" den Darstellerpreis.

S. Vahabzadeh

Die schönste Jury, die es je gegeben hat, hat der französische Schriftsteller und Cineast Frédéric Beigbeder zu Beginn der 62. Filmfestspiele gesagt - Isabelle Huppert, vier Schauspielerinnen, dazu der Autor Hanif Kureishi und der Regisseur Nuri Bilge Ceylan.

Filmfestival in Cannes: Michael Hanekes Film "Das weiße Band" hat Cannes erobert - und schließlich die Goldene Palme gewonnen.

Michael Hanekes Film "Das weiße Band" hat Cannes erobert - und schließlich die Goldene Palme gewonnen.

(Foto: Foto: dpa)

Nun hat diese Jury zwar drei der großen Favoriten prämiert: Michael Hanekes Psycho-Stück in einem protestantischen Dorf vor dem Ersten Weltkrieg, "Das weiße Band", hat die Goldene Palme bekommen, der Große Preis ging an "Un prophète" von Jacques Audiard, einen Film über die Karriere eines Kleinkriminellen, der im Knast zum Großgangster gemacht wird - wie viele Filme in diesem Jahr durchaus gewalttätig, aber immer im Dienst seiner Geschichte. Und Christoph Waltz - wie Haneke Österreicher, die sind eben doch die besseren Deutschen - hat, völlig zurecht und erwartet, den Darstellerpreis bekommen für seine Rolle in "Inglourious Basterds".

Aber der Rest gereicht der Schönheit der Jury nicht zur Ehre: der Drehbuchpreis ging an den ziemlich dürren Film "Kinatay", der zweite Darstellerpreis an Charlotte Gainsbourg für Lars Von Triers "Antichrist". Bei beiden ist der Witz, dass man sich fürchterlichen Gewaltszenen aussetzen muss, unvermittelbar sind sie trotzdem. Und das ist eigentlich so trostlos, dass man sich kaum drüber freuen kann, das mit "Das weiße Band" ein deutscher Film gewonnen hat.

Denn die Filme, die im Wettbewerb des Filmfests von Cannes gezeigt werden, erleben dort meistens ihren ersten Kontakt mit Publikum, und der Eindruck, den diese Vorführungen machen, täuscht sehr oft. Nirgends auf der Welt treffen mehr Menschen aufeinander, die das Kino lieben, und wenn sich ein Film dort leicht tut, heißt das noch lange nicht, dass er es auch im normalen Kinobetrieb schafft. Dieser All-Star-Wettbewerb sah vorher auf dem Papier spannender aus, als er dann wirklich war. Jeder Wettbewerb hängt irgendwann durch, zwanzig Meisterwerke hat keine Filmsaison zu bieten.

Es hat schon Cannes-Jahrgänge gegeben, in denen sogar hartgesottene Cineasten nach der ersten Hälfte die Lust verloren hatten, mit der zweiten aber glückselig waren. Der von 2009 fing stark an mit Jane Campions "Bright Star" und Ang Lees "Taking Woodstock" und stürzte dann ab - der Wettbewerb schloss mit einem fast dreistündigen Experiment von Gaspar Noé, der sich mit einer subjektiven Kamera abmühte, sich einen Reim darauf zu machen, welche Bilder man vor Augen hat, wenn man stirbt (seinen eigenen Hinterkopf und unheimlich viel Sex, war die enttäuschende Antwort): "Enter the Void". Es ist eigentlich klüger, das Publikum mit einem positiven Erlebnis zu entlassen und nicht mit einer Tour de Force, die einem den Abschied leicht macht.

Cannes und die Krise des Kinos

Ein Wettbewerb, der in sehnsuchtsvolle Romantik - "Campions "Bright Star", "Almodóvars "Zerrissene Umarmungen" - und ungeheure Brutalität zerfiel, wie bei Tarantino oder in Park Chan-Wooks Vampirfilm "Thirst". Vor allem letzterer ist ein Vertreter jenes Brutalo-Kinos, bei dem man sich fragen darf, ob es darin tatsächlich darum geht, der bösen Welt einen Zerrspiegel vorzuhalten - oder ob es sich einfach um Kino-interne Mechanismen handelt, die das immer weitere Hinausschieben der Tabu-Grenzen erzwingen.

Es sollte ja aber nicht nur inhaltlich ein wegweisendes Festival werden; jeder hatte doch erwartet, dass man der größten Zusammenkunft der Filmbranche entnehmen kann, wie es weitergeht mit dem Kino. Ob die Geschäfte rund ums Festival schon getrübt sind von der Rezession, ob die Filme das Potential haben, den schlechten Zeiten zu trotzen - oder sie gar vergessen zu machen. Cannes ist nicht gefeit vor den Auswirkungen der Finanzkrise, die das Festival auf mindestens zwei Arten betrifft. Erstens bekommt es nur so viel öffentliche Fördergelder, weil sich die Investition rentiert, die ganze Region macht im Mai wesentliche Teile ihrer Gewinne. Und zweitens findet im Keller des Festivalpalais eine der größten Filmmessen der Welt statt.

Gütesiegel für Ladenhüter?

Die Meldungen, wie es dort lief, waren durchwachsen. Viele Verleiher haben erst nach langem Zögern Filmrechte gekauft. Ein Grund dafür, dass die Rezession trotz stabiler Besucherzahlen das Filmgeschäft erreicht, ist die Verquickung mit anderen Geschäftsbereichen: dem unter Werbemangel leidenden Fernsehen, Firmenimperien, die in anderen Unternehmensbereichen Verluste machen. Das kann man natürlich Gesundschrumpfung nennen.

Für das, was bleibt, hat ein Preis in Cannes immer noch eine Bedeutung. Jurys haben oft den Eindruck, sie müssten die Schubkraft, die der Preis hat, jenem Film mitgeben, der die geringsten Chancen auf dem Markt hat - was richtig ist, wenn man es gelegentlich tut und es damit einem Film leichter macht, der sein Publikum fordert. Wird es zu oft exerziert, entsteht der gegenteilige Effekt: Irgendwann wird so eine Palme dann zum Gütesiegel für Ladenhüter.

Zwar war der Palmen-Gewinner des letzten Jahres, der für sehr wenig Geld mit Laien gedrehte Film "Die Klasse", in Frankreich ein Riesenerfolg - der Film stand zwei Wochen lang an der Spitze der Kinocharts. Aber 2009 hatte man bei zu vielen Wettbewerbsfilmen den Eindruck, dass ihre Regisseure aufs Publikum pfeifen. Es reicht eben nicht, wenn die Zuschauer ein großes Herz für Kino haben; die Filmemacher sollten schon auch ihr Publikum lieben.

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