Filmfest München:Wahre Größe

"Auf Augenhöhe" ist die dritte Produktion der Initiative "Der besondere Kinderfilm"

Von Barbara Hordych

Seit dem Tod seiner alleinerziehenden Mutter vor fünf Jahren lebt der zehnjährige Michi in einem Kinderheim. Eines Tages fällt ihm in einer Kiste mit Hinterlassenschaften seiner Mutter ein Brief in die Hände. Dieser ist an einen Tom Lambrecht gerichtet, und beim Lesen wird Michi schlagartig klar - dieser Mann muss sein Vater sein! Er ist sofort entschlossen, ihn aufzusuchen, fest davon überzeugt, dass er supercool und bestimmt ein Pilot sei, wie er euphorisch seinen Mitbewohnern gegenüber behauptet. Als er wenig später vor Toms Wohnung steht, ist dieser nicht zu Hause. Da gibt eine Nachbarin dem wartenden Jungen einen Tipp: Um diese Zeit sei Tom immer beim Rudern. Also macht sich Michi auf zum Ruderklub und beobachtet die hünenhaften Gestalten, die gerade ihr Training beenden. Welcher von ihnen wird wohl sein Vater sein? Doch dann ist es zu seiner großen Enttäuschung keiner der kraftstrotzenden Athleten - sondern der kleinwüchsige Steuermann.

Filmfest München: Zum Schluss sind sie ihrer Vater-Sohn-Beziehung gewachsen: Michi (Luis Vorbach) und der kleinwüchsige Tom (Jordan Prentice).

Zum Schluss sind sie ihrer Vater-Sohn-Beziehung gewachsen: Michi (Luis Vorbach) und der kleinwüchsige Tom (Jordan Prentice).

(Foto: Tobis-Verleih)

Aus dieser Konstellation entwickelt sich ein mal humorvoller, mal schmerzlicher, aber immer berührender Annäherungsprozess, in dem der eine sich für seinen Vater schämt - und der andere nicht weiß, ob er der Vaterrolle überhaupt "gewachsen" ist. Wenn Tom von Michis Freunden ob seiner Größe gehänselt wird oder Michi ihn als "Hausmeister" verleugnet, dann verhalten sich die Figuren keineswegs "politisch korrekt". Genau darin liegen aber die Originalität und emotionale Kraft des Films. "Im Leben ist nicht alles gerecht, das spüren Kinder sehr wohl und sie können sich darüber empören", sagt Evi Goldbrunner. Gemeinsam mit Joachim Dollhopf schrieb und inszenierte sie den Film "Auf Augenhöhe", der vor seinem Kinostart am 15. September in der Kindersektion des Filmfests zu sehen ist (26. Juni, 17.30 Uhr, Gasteig, Bibliothek; 1. Juli, 9 Uhr, Carl-Orff-Saal).

Bereits vor acht Jahren hatten die aus Landshut beziehungsweise Dachau stammenden Autoren und Regisseure, die an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf ihr Studium absolvierten, die Geschichte einer Vater-Sohn-Beziehung als gemeinsames Langfilm-Debüt verfilmen wollen. Der Münchner Produzent Martin Richter, den sie aus dem Bayerischen Filmzentrum kannten, war auch damals sofort angetan von dem Projekt. Dessen Umsetzung scheiterte jedoch zunächst an der Finanzierung. Denn bis vor kurzem war es sehr schwierig, Partner für einen originären Kinder-Stoff zu finden, Denn einerlei ob "Bibi Blocksberg", "Bibi & Tina", "Die Wilden Kerle" oder "Wicki" - erfolgreiche deutsche Kinderfilme basieren fast immer auf einer Marke oder einer Buchvorlage. Um das zu ändern, riefen Sender und Förderer 2012 die Initiative "Der besondere Kinderfilm" ins Leben. Sie unterstützt Kinderfilme, die auf originären Stoffen basieren. Für "Auf Augenhöhe" bedeutete das nach vielen Jahren eine neue Chance. "Martin Richter hatte von der Initiative erfahren und uns aufgefordert, dort unsere Idee einzureichen", erzählt Evi Goldbrunner. "Eine Änderung haben wir für den Antrag allerdings vorgenommen: Unser Protagonist war ursprünglich 14 Jahre alt; da die von der Initiative geförderten Filme sich an ein Publikum von acht bis zwölf Jahren richten, haben wir aus Michi einen Zehnjährigen gemacht", sagt Evi Goldbrunner. Eine Änderung, durch die die Geschichte auch noch gewonnen habe, findet sie. "Da wir den Film jetzt aus der Sicht eines Zehnjährigen erzählen, ist auch seine Sehnsucht nach einem Vater, nach einer Familie, viel dringlicher, als wenn er ein Pubertierender wäre", sagt sie. Gleichwohl verlangt das Autoren- und Regieduo ihrem "verjüngten" Helden eine Menge ab: Michi muss seine Desillusionierung verkraften, seine Vorstellungen von Männlichkeit und Stärke revidieren und einen neuen Begriff von Zugehörigkeit entwickeln.

Im Sommer 2014 wählte die Jury der Initiative "Der besondere Kinderfilm" ihren Antrag als eines von sechs Projekten aus, die Drehbuchförderung erhalten sollten; im Februar 2015 kam die Zusage für die Produktionsförderung. Damit ist "Auf Augenhöhe" nach "Winnetous Sohn" und "Ente gut! Mädchen allein zu Haus" der dritte Film, der mit Hilfe der Initiative entstehen konnte. ZDF und Kika, der FFF Bayern und die Film-und Medienstiftung NRW stiegen als Hauptfinanzierer mit ein. Gedreht wurde im Sommer 2015, an 25 Tagen in Bayern und an zehn Tagen in Nordrhein-Westfalen. Für Tom bauten die Szenenbildner eine Schwabinger Wohnung temporär zur der eines Kleinwüchsigen um - mit entsprechend niedrigen Möbeln. "Wir haben es sehr genossen, für die Dreharbeiten im Sommer in unsere alte Heimat zurückzukehren", sagt die Landshuterin Evi Goldbrunner. Die Heimszenen wurden in Dachau gedreht, in der Stadt also, in der Joachim Dollhopf früher aufs Gymnasium ging. Und wie waren ihre Erfahrungen mit der Doppel-Regie? "Die Gefahr ist, dass man zwei verschiedene Filme machen will und das erst beim Dreh merkt", sagt Dollhopf. "Aber nicht bei uns - denn wir sind nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im Leben ein Paar. Wir tauschen uns ständig aus. Und lieben es, zu zweit zu denken", ergänzt Goldbrunner.

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