Filmfest in Venedig:Stars satt, auch ohne Filme

Das US-Kino wird das Filmfest in Venedig nicht dominieren. Manche Produktionen sind gar nicht erst fertig geworden. Andere laufen außerhalb des Wettbewerbs. Dafür kommen Hauptdarsteller en masse.

SUSAN VAHABZADEH

Es ist ja eigentlich keine besonders gute Werbung, wenn eine Schauspielerin das Publikum schon vor der ersten Vorführung ihres Films warnt. Lucy Liu, die in Quentin Tarantinos "Kill Bill" zuschlägt, hat vor Wochen verkündet, den Zuschauern werde mutmaßlich schlecht werden angesichts der Gewaltorgie, die Tarantino da in Szene gesetzt hat. Ursprünglich hatte man Tarantino für Cannes erwartet - seine Abwesenheit wurde dann von Harvey Weinstein, "Kill Bill"-Produzent und Miramax-Boss, als Paradebeispiel benutzt für das, was dem diesjährigen Cannes-Wettbewerb fehlte. Zu abseitig sei die Auswahl, und in Venedig werde man dem Cannes-Präsidenten Gilles Jacob dann schon zeigen, wie man amerikanisches Kino im Wettbewerb repräsentiert. Einzig und allein Moritz de Hadeln, Herr über die Filmfestspiele in Venedig, hob damals schon seine Stimme und unkte, "Kill Bill" werde vielleicht auch in Venedig nicht dabei sein. So ist es dann auch gekommen, "Kill Bill" wird auch in Venedig nicht laufen, und das ist vielleicht ganz gut so.

Filmfest in Venedig: George Clooney und Catherine Zeta-Jones in "Intolerable Cruelty": Er spielt einen Scheidungsanwalt, der eine geldgierige Ex-Klientin heiratet, die ihn gern abzocken würde.

George Clooney und Catherine Zeta-Jones in "Intolerable Cruelty": Er spielt einen Scheidungsanwalt, der eine geldgierige Ex-Klientin heiratet, die ihn gern abzocken würde.

Heute Abend werden die 60.Filmfestspiele also beginnen, und mit einem Skandal ist dabei nicht zu rechnen: Woody Allen wird da sein, der auf seine alten Tage genug Affinität zu roten Teppichen entwickelt - erst trat er bei den Oscars auf, dann im vergangenen Jahr in Cannes, da darf Venedig nicht fehlen. Sein "Anything Else" ist Eröffnungsfilm - eine Komödie um die Beziehung eines älteren Mannes zu einer wesentlich jüngeren Frau, was bei Woody Allen keine Überraschung ist und sicherlich auch wenig provokant: Der Film wird keinen Schatten werfen auf das Programm, das ihm folgt. Provokation und Skandal gehören gelegentlich zum Kino dazu, aber ein programmierter Skandal wie ihn den bisherigen Andeutungen nach "Kill Bill" erwarten lässt, hätte dem restlichen Festival eine Nebenrolle zugewiesen - "Kill Bill" soll seine Premiere ruhig fernab eines Festival-Betriebs feiern.

Es sei geradezu eine Hollywood-Offensive zu erwarten bei der 60. Mostra, heißt es nun, weil ja tatsächlich eine spektakuläre US-Premiere nach der anderen stattfinden wird am Lido - Nicolas Cage und Sean Connery und George Clooney und Catherine Zeta-Jones und Antonio Banderas und Anthony Hopkins stellen ihre neuen Filme vor. Aber eigentlich ist das Programm, das sich dem Venedig-Publikum präsentiert, eine Zwischenlösung: viel Glamour, große Hollywood-Stars - aber diese Filme laufen fast alle außer Konkurrenz.

Der Plan könnte sein, dass es zu Präsenz ohne Dominanz dabei kommt. Die Wettbewerbe - sowohl der um den Goldenen Löwen als auch die Reihe fürs junge Kino, Controcorrente - widmen sich jener Hälfte des Weltkinos, die Festivals tatsächlich braucht, um sich ihren Weg zu bahnen ohne die Maschinerie eines großen Studios und einer Marketingabteilung. Vier asiatische Filme bewerben sich um den Goldenen Löwen, der prominenteste Vertreter ist Takeshi Kitano mit "Zatoichi". Drei Italiener sind dabei, unter anderem Marco Bellochio mit "Buongiorno, notte" - der vierte in diesem Bunde, Bertolucci mit "The Dreamers", läuft außer Konkurrenz. Den einzigen amerikanischen Wettbewerbsbeitrag hat ein Mexikaner gedreht, Alejandro Gonzáles Iñárritu ("Amores Perros") zeigt das Drama "21 Grams" mit Sean Penn und Benicio Del Toro. Es finden sich ein paar der üblichen Festival-Verdächtigen im Wettbewerb: Michael Winterbottoms "Code 46", Manoel de Oliveiras "Un filme falado", Jacques Doillons "Raja". Und Deutschland ist vertreten durch eine ganz traditionelle Vertreterin des nationalen Kinos, Margarethe von Trotta mit "Rosenstraße".

Dennoch ist das Festival vollgepackt mit amerikanischem Kino und großen Stars, ohne dass viel schlichtes Multiplex-Material dabei wäre - aber eben außer Konkurrenz. Robert Rodriguez kommt mit seiner "Desperado"-Fortsetzung "Once Upon A Time in Mexico", im Schlepptau die Hauptdarsteller Antonio Banderas, Salma Hayek und Johnny Depp. Auch hier wird zwar mit Gewaltausbrüchen nicht gegeizt, und der Ekelfaktor liegt ziemlich hoch - die leeren Augen von Johnny Depp -, aber gar so skandalträchtig wie "Kill Bill" ist "Once Upon A Time" nicht, wobei man durchaus darüber streiten kann, ob Rodriguez nicht sowieso der versiertere und vielseitigere Filmemacher ist als Tarantino. Der neue Film von Robert Benton wird laufen, er hat den Philip-Roth-Roman "Der menschliche Makel" verfilmt. Benton ist einer der angejahrten Helden Hollywoods - doppelter Oscarpreisträger als Drehbuchautor, als Regisseur von der Academy für "Kramer gegen Kramer" geadelt. Anthony Hopkins, der einen Collegeprofessor spielt in "Der menschliche Makel", wird erwartet beim Festival; seine Film-Geliebte Nicole Kidman ist so verplant, dass sie in letzter Sekunde absagen musste; es wäre der Hattrick für A-Festivals für sie geworden, sie war in diesem Jahr schon mit "The Hours" in Berlin und mit "Dogville" in Cannes.

Ob diese Zusammenstellung, die Abwesenheit bestimmter Filme nun Moritz de Hadelns Kalkül entspricht oder ob sich das Programm einfach so ergeben hat - irgendwie klingt das Resultat jedenfalls nach einem ganz guten Gleichgewicht zwischen all dem, was Kino sein kann. Dass dieses Festival es allen recht macht, ist sowieso nicht zu erwarten - während in Europa der Eindruck entstanden ist, die 60.Mostra sei eine Hollywood-Studio-Veranstaltung, hat das Branchenblatt Variety wieder Gift gespritzt, bevor de Hadeln überhaupt das Programm vorgestellt hatte - es habe bei den Studios Überlegungen gegeben, bestimmte Filme gar nicht zuzulassen für Venedig, damit an ihnen nicht der publikumsvergrätzende Beigeschmack des Arthouse-Kinos kleben bliebe - der filmische Makel schlechthin.

Damit hat Variety wieder auf die gleiche Stelle gehauen, die auch schon in Cannes alle Prügel abbekommen hat - und es ging wieder um die gleichen Filme: Jane Campions "In the Cut" und "Intolerable Cruelty" von den Coen-Brüdern - Beispiel Nummer drei, "Kill Bill", war, weil er zweigeteilt wird, sowieso wieder in der Nachbearbeitung gelandet. Die Prophezeiung ist nur zur Hälfte eingetroffen, denn Universal hatte offensichtlich nichts einzuwenden gegen eine Aufführung von "Intolerable Cruelty"außer Konkurrenz - die Coens bleiben allerdings zuhause, werden aber vertreten von ihren Hauptdarstellern George Clooney und Catherine Zeta-Jones: Er spielt einen Scheidungsanwalt, der eine geldgierige Ex-Klientin heiratet, die ihn gern abzocken würde. Das klingt, als wären die Brüder wieder in Höchstform.

Aber vielleicht stiehlt ein Kind ihnen dann doch, zumindest für einen Augenblick, die Schau mit einem Blick in die Maschinerie der Welt: Mohsen Makhmalbaf hat nach Samira, die in diesem Jahr mit "At Five in the Afternoon", gerade mal 23 Jahre alt, schon zum zweiten Mal in Cannes war, noch ein Wunderkind produziert. Seine jüngere Tochter, Hana Makhmalbaf, stellt in Venedig in der Reihe "Woche der Kritik" ihren zweiten Film vor, die Dokumentation "Joy of Madness" - das Land Afghanistan, gesehen mit den Augen eines 14-jährigen Mädchens.

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