Filme auf der Berlinale:Ganz oben auf der Schnupfenskala

Das Festival zeigt Filme von Sabu, Sally Potter und Thomas Arslan im Wettbewerb. Es fehlen jüngere Stimmen.

Von David Steinitz

Wie klingt eigentlich ein Filmfestival? Beim Gedanken an Cannes fällt einem sofort das Rascheln des Windes in den Palmenblättern ein, und die sanfte Brandung des Meeres. Der Soundtrack der Berlinale eher ein Chor aus Husten, Röcheln und Schniefen. Von den gut anderthalbtausend Journalisten, die jeden Morgen in den Berlinale-Palast am Potsdamer Platz pilgern, um die nächsten Filme des Wettbewerbs zu sehen, ist mindestens die Hälfte erkältet.

Der Vorteil dieser Virengroßveranstaltung ist, dass sie zum Qualitätsmesser der Filme wird. Je mehr das Geraschel von Taschentüchern und das Knistern von Hustenbonbon-Papieren zunimmt, desto ungehaltener ist die schniefende Kritikermeute. Und leider gab es im Wettbewerb bislang ausreichend Grund dafür.

Umso schöner, wenn nun zu Beginn der zweiten Festivalhälfte endlich ein Film läuft, in dem es ordentlich knallt und plötzlich Ruhe im Auditorium herrscht. Der japanische Regisseur Sabu stellte am Montag "Mr. Long" vor, eine Profikiller-Tragikomödie. Mr. Long aus Taiwan ist auf den ersten Blick das Klischee eines Auftragsmörders. Ohne emotionale Regung lässt er sein Messer in fleckige Gangsterunterhemden gleiten, sagt nie ein Wort, arbeitet einen Job nach dem anderen ab. Regisseur Sabu aber, der mehrfach mit seinen Filmen auf der Berlinale vertreten war, biegt immer da, wo sich ein Klischee ankündigt, schnell in eine andere Richtung ab.

Der eiskalte Mr. Long reist nach Japan, um dort einen Auftrag auszuführen, der furchtbar schiefgeht. Er muss in einer Kleinstadt untertauchen und sich in einer Baracke verstecken. Ein neugieriger kleiner Junge bringt ihm Kleidung und ein paar Essenszutaten, aus denen der Mörder Long eine dermaßen schmackhafte Suppe zubereitet, dass es sich schnell in der Nachbarschaft herumspricht. Long muss bald für das halbe Viertel braten, blanchieren und Teig kneten, vor allem seine Nudelsuppe mit Rindfleisch ist der Knaller. Die Leute sind so begeistert, dass sie ihm einen transportablen Imbisswagen zimmern. An dem kocht er dann mit der gleichen unbeweglichen Miene, mit der er vorher Kehlen aufgeschlitzt hat, um nach dem vermurksten Coup unauffällig Geld für seine Rückreise nach Japan zu verdienen.

Helle Nächte

Vater und Sohn, entfremdet in Norwegen: "Helle Nächte" von Thomas Arslan konkurriert um den Goldenen Bären.

(Foto: Schramm Film)

Und gerade wenn man denkt, was für eine nette Komödie, reißt Sabu das Genresteuer wieder in eine ganz andere Richtung. In einer kurzen Rückblende erzählt er von der tragischen Liebesgeschichte eines jungen Paars, die mit seinem Killer überhaupt nichts zu tun zu haben scheint - und dann doch seinen weiteren Lebensweg bestimmen wird. "Mr. Long" ist auf einer Länge von gut zwei Stunden sehr brutal, komisch, traurig und tröstlich zugleich. Es ist beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit Sabu zwischen Actionfilm, Drama und Komödie hin und her wechselt, um seinen Protagonisten so lange emotional durchzuwalken, bis er das Leben nicht mehr als Kriegszustand begreift.

Im Vergleich dazu wirkt die Komödie "The Party" der britischen Regisseurin Sally Potter wie ein graues Kinogefängnis. Der Film ist eine in Schwarz-Weiß gedrehte Upperclass-Satire mit englischsprachigem All-Star-Ensemble plus Bruno Ganz. Aber auch Schauspieler wie Patricia Clarkson, Kristin Scott Thomas und Cillian Murphy können nicht verhindern, dass diese Party im schicken Haus einer Politikerin, bei der sich die Teilnehmer ihre Lebenslügen und Affären um die Ohren hauen, nicht über ein Neurosenkammerspiel mit Boulevardtheater-Humor hinauskommt.

Der erste von drei deutschen Beiträgen im Wettbewerb, "Helle Nächte" von Thomas Arslan, rief gemischte Reaktionen auf der Schnupfenskala hervor. Der 54-jährige Arslan ist ein verdienter Berlinale-Veteran und Vertreter der Berliner Schule, zuletzt war er mit der Gangstergeschichte "Im Schatten" (2010) und dem Western "Gold" (2013) im Wettbewerb vertreten.

In "Helle Nächte" erzählt er von einem Familien-Roadtrip durch Norwegen, Vater und Sohn, die sich nur selten sehen und einander fremd geworden sind. Der Großvater ist tot, sie fahren gemeinsam zu Beerdigung und ziehen dann lustlos noch zu einer Wanderung los, beide im jeweils eigenen Problemkosmos gefangen.

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Arslan hat einen guten Blick dafür, wie sich Missmut und Verwerfungen aus kleinen Gesten, unbedachten Äußerungen entwickeln können. Die Frage ist nur, ob es nicht an der Zeit gewesen wäre, stattdessen, oder zumindest zusätzlich, eine ganz neue Generation von Berliner Filmemachern in den Hauptwettbewerb zu holen, die für ein etwas weniger behäbiges Kino stehen. "Tiger Girl" von Jakob Lass zum Beispiel, der nur in der Nebenreihe Panorama Special läuft und von zwei Mädchen im Schlägerrausch erzählt, wurde am Wochenende auch von der internationalen Presse als willkommener Adrenalinschock wahrgenommen.

Andererseits hat "Helle Nächte" den österreichischen Schauspieler Georg Friedrich zu bieten, der die Vaterrolle spielt und am Wochenende auch schon in Josef Haders Regiedebüt "Wilde Maus" einen Auftritt hatte. Er zeigt in beiden Filmen, warum er einer der besten deutschsprachigen Darsteller ist. Selbst wenn er sein Gesicht überhaupt nicht bewegt, spielt er besser als viele Kollegen. Wenn man also in dieser mimischen Schockstarre den ganzen Frust eines Mannes in der Midlife-Crisis lesen kann, den auch die wunderschöne norwegische Landschaft drumherum nicht abmildert - dann blitzt doch wieder großes Kino auf.

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