Filmdrama:Geisterstunde

Ghost Story

Das Bettlaken mit den Öffnungen für die Augen mag kindlich wirken - David Lowerys "A Ghost Story", mit Rooney Mara (rechts), ist es nicht.

(Foto: Universal)

Das Kino nimmt gern die Perspektive übersinnlicher Wesen ein, die ins Erdengeschehen nicht mehr eingreifen können. David Lowerys Film "A Ghost Story" treibt dieses philosophische Spiel noch weiter.

Von Rainer Gansera

Die Kunst sei ein Haus, "das von Geistern heimgesucht werden will", heißt es einmal bei Emily Dickinson. Und im Kino tummeln sie sich besonders gern. "Kaum hatte Hutter die Brücke überschritten, da ergriffen ihn die unheimlichen Gesichte, von denen er mir oft erzählt hat." Ein Zwischentitel aus Murnaus "Nosferatu", den man - wie Christian Petzold vorgeschlagen hat - als treffliche Kino-Metapher lesen sollte. Wir gehen ins Kino, um uns von "unheimlichen Gesichten" ergreifen zu lassen.

Der Spuk darf dabei breitesten Spielraum haben: vom "Kleinen Gespenst", das den Kindern als liebenswerter Kobold begegnet, über die Schabernack-Gespenster, die aus dem Fundus der Fasnachtsbräuche geschöpft sind und zum Beispiel das "Spukschloss im Spessart" bevölkern, bis zu den Fratzen der Horrorgestalten, die uns auf möglichst schrille Weise Furcht und Schrecken einjagen wollen.

Vor allem in asiatischen Sagen findet sich aber auch eine Geisterwelt, die nicht den Nervenkitzel sucht, sondern poetische Beschwörung. Daran knüpft David Lowery mit "A Ghost Story" an, einer genialen Geisterbeschwörung jenseits spektakulärer Gruseleffekte, die sich in einer wundersam flackernden Atmosphäre von Poesie, Meditation und Kindermärchenzauber bewegt. Sie zählt zu den seltenen, kostbaren Filmen, die so traumnah erzählt sind, dass ihre Bilder doppelgesichtig wie Rätsel und Existenzerhellung erscheinen, geheimnisvoll und tief anrührend. Lowery greift durchaus gängige Motive von Geistergeschichten auf, formuliert sie aber wie in einem Traumspiel um und sucht die Resonanz unserer mit Trennung, Verlust und Trauer verknüpften Erfahrungen.

Erstes Kapitel: eine zart ins Ohr geflüsterte Liebesgeschichte. Das junge Paar lebt in einem schlichten, alten Rancherhäuschen irgendwo im ländlichen Texas. Von den beiden erfahren wir nicht die Namen, nur Initialen: C (Casey Affleck) und M (Rooney Mara). Sie liegen im Bett, flüstern, bieten ein Inbild innigster Vertrautheit. Liebesglück, das sich ein Zuhause erschaffen will. Sie hat Umzugspläne, er aber zögert noch, denn er hängt an dem Haus, und noch bevor eine Entscheidung gefallen ist, ereignet sich ganz in der Nähe der Autounfall, der ihn das Leben kostet.

Ein Albtraum, der auch als solcher erzählt wird. Lowery interessiert sich nicht für den Unfallhergang oder Schuldfragen, sondern beschreibt die Schockwellen, die Zeit, bis M auch innerlich das Schreckliche realisiert hat. Wie versteinert blickt sie in der Leichenhalle auf den Verstobenen, und als sie geht, wird die Kamera Zeuge der Wiederauferstehung des Toten als Geist. Kein mit Spezialeffekten konstruierter Geist, sondern naiv und einfach wie im Kinderspiel, mit einem beinahe lächerlichen Geist-Outfit: ein Bettlaken mit herausgeschnittenen Öffnungen für die Augen.

Als Geist schwebt C nun im Zwischenreich, abwesend und anwesend zugleich, und muss einer Liturgie purer Beobachtung folgen. Er kann nichts bewirken, betrachtet die einsame, verzweifelte M in minutenlangen Szenen, die zuerst durch ihre Dauer verstören, bis wir verstehen: von jetzt an wird die Geschichte aus der Geist-Perspektive erzählt. Sie kann ihn nur wie einen kalten Windhauch spüren, seine Geistwerdung erscheint als Protest gegen die Zerstörung einer Liebe, die ewig sein wollte. Ein hilfloser Protest. Die Zeit dehnt sich oder schnurrt zusammen im Rhythmus von Schmerz und Trauer.

Im Schlusskapitel wird der Film eine Meditation über Zeit, Raum und Vergänglichkeit

Und das Rad der Zeit dreht sich immer schneller. Sie trifft sich mit einem anderen Mann, zieht fort, und er - Geister sind an ihren Ort gebannt - muss erleben, wie andere in das Haus einziehen. Es empört ihn, dass seine Geschichte einfach übergangen wird. Aus wenigen gestischen Momenten erschließen wir seine Gemütsverfassung, wir leiden mit ihm, wenn die neuen Bewohner, eine alleinerziehende, spanisch sprechende Frau mit ihren zwei Kindern, den Weihnachtsbaum erstrahlen lassen. Da wird er zum traditionellen Poltergeist, der immerhin kleine Dinge bewegen kann und mit dem Umstoßen von Milchgläsern oder dem Zerdeppern von Tellern den Spuk so weit treibt, bis die Familie auszieht.

Die nächsten Bewohner des Hauses sind junge Leute, die eine ausgelassene Party feiern, bei der - verblüffend in einem Film der sparsamsten Dialoge - ein betrunkener Gast eine lange Rede hält: über die zum Scheitern verurteilten Versuche der Menschen, vor allem auf künstlerischem Weg Spuren zu hinterlassen und der Nachwelt im Gedächtnis zu bleiben. Ein eitler Monolog, der aber den geisterhaften Beobachter auf die Frage stößt, die ihn umtreibt: Was bleibt von dir, wenn du nicht mehr da bist? Es folgt die traurigste Szene, wenn er im Haus gegenüber ein anderes Bettlaken-Gespenst entdeckt, das ihm zuwinkt und bedeutet, dass es sich nicht mehr erinnern kann, auf wen es eigentlich wartet.

Im Schlusskapitel weitet sich die Einsamkeitserzählung fulminant ins Kosmische, verwandelt sich in eine Meditation über Zeit, Raum und Vergänglichkeit. Der Geist C, immer noch dem Haus verbunden, kann nun alle Zeiten durcheilen, beobachtet in der Vergangenheit, wie die ersten Siedler hier das Land absteckten, sieht in der Zukunft das Emporschießen einer Megacity. Dabei werden die Räume, die er durchirrt, immer leerer, und seine Existenz verliert sich wie ein verblassender Bettlaken-Spuk im Weltengetriebe.

In allen Religionen und Kulturen nehmen Jenseitsvorstellungen größten Raum ein. Wird es nach dem Tod noch ein Ich geben? Entscheidend für das Gelingen von "A Ghost Story" ist, dass Lowery in diesen Diskurs nicht eintritt. Egal, mit welchen Jenseitsideen wir uns trösten mögen, der Tod eines geliebten Menschen bleibt ein Schock, und von den Echos eines solchen Schocks erzählt Lowery in hypnotischen Bildern, die mit ihrem klassischen 4:3-Format Home-Movie-Intimität signalisieren und das Andenken an die glücklichen Tage in zärtlicher Erinnerung behalten.

A Ghost Story, USA 2017 - Buch, Regie, Schnitt: David Lowery. Kamera: Andrew Droz Palermo. Mit: Casey Affleck, Rooney Mara, Will Oldham, Grover Coulson, Liz Cardenas Franke. Universal, 92 Min.

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