Film "The Hours":Stunden später

Nicole Kidman, Meryl Streep und Julianne Moore sind stets am Rande des Zusammenbruchs in dem Film "The Hours".

SUSAN VAHABZADEH

Die Stunden summieren sich zum Bruchteil eines Tages in drei Leben in unterschiedlichen Epochen, jedes ein selbstgebasteltes Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen gibt, drei Leben, die ineinander fließen und in ein viertes, fiktives Leben münden... Virginia Woolfs Tag beginnt mit der Verweigerung, teilzunehmen an der Welt der anderen, der Weigerung zu essen; Laura will nicht einmal aufstehen, will im Bett bleiben und lesen; Clarissa bereitet eine Party vor, und sie beginnt den Tag damit, dass sie selbst die Blumen kauft.

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(Foto: SZ v. 26.03.2003)

Clarissa sagte, sie wolle die Blumen selber kaufen ... damit beginnt Virginia Woolfs "Mrs. Dalloway", der das Bindeglied ist zwischen den drei Erzählebenen in Stephen Daldrys Film "The Hours", der auf dem gleichnamigen Roman von Michael Cunningham basiert. Nicole Kidman spielt Virginia Woolf, es ist der Tag, an dem sie den Einstiegssatz findet für "Mrs. Dalloway", 1925 in Sussex. Ihr Mann Leonard ringt um Geduld mit ihr, die Angestellten verunsichern sie, sie erwartet den Besuch ihrer Schwester Vanessa mit einer Mischung aus Sehnsucht und Eifersucht. Julianne Moore gehört der zweite Handlungsstrang: Die Hausfrau Laura, die im Los Angeles der Fünfziger lebt, zerbricht an ihrer bürgerlichen Idylle - ihr Mann ist ein Goldstück, ihr kleiner Sohn ein Musterknabe, aber sie will nicht, bemüht sich immer wieder, den beiden gerecht zu werden und kann nicht. Der leidenschaftliche Kuss, den sie einer Freundin gibt, lässt ahnen, dass ihr Lebensentwurf vielleicht ein ganz anderer wäre. Aber das geht nicht, man darf seinen Mann nicht verlassen, darf sein Kind nicht vernachlässigen, darf nicht mal im Bett bleiben und "Mrs. Dalloway" lesen. Clarissa Vaughan (Meryl Streep) lebt im New York von heute, ein echter overachiever: Sie kümmert sich um alles, ihre Tochter und ihre Lebensgefährtin und ihren aidskranken Freund Richard, sie kocht und organisiert für Richards Party, die er gar nicht will - sie geht in ihren Aufgaben auf, als würde in der ersten Sekunde, in der sie Ruhe findet, sich ihrer selbst bewusst wird, die Wirklichkeit wahrnimmt, das ganze Kartenhaus ihres Beziehungsgeflechts zusammenbrechen.

Man könnte herummäkeln, dass Daldry und seinem Drehbuchautor David Hare Leonard Woolf vielleicht allzu engelsgleich geraten ist. Wie die Erzählebenen ohne Brüche ineinanderfinden, unterspült von der Musik von Philip Glass, ist meisterhaft - die Erzählung ist selbst ein Bewusstseinsstrom, reflektiert Virginia Woolf auf viele verschiedene Arten. Die drei Geschichten greifen ähnliche Situationen und Gefühlslagen auf, variieren aber die Reaktionen und Entscheidungen. Daldry, ein Theatermann, hat es aber auch geschafft, seine Schauspieler zu Höchstleistungen zu bringen, mit viel Gespür für kleine Gesten, wohldosierte Ausbrüche. Ein einziges Mal verlassen seine Bilder den Rahmen der Realität, als die suizidöse Laura das Wasser zu spüren beginnt, das Virginia Woolf bis zum Hals stand... Eine bis in die Nebenrollen großartige Besetzung hat Daldry zusammengebracht, Ed Harris als Clarissas Freund Richard, Clare Danes als ihre Tochter, John C. Reilly als Ehemann von Laura. Meryl Streeps Clarissa hat irgendwann einen Zusammenbruch, sie verliert ihre selbstzerstörerische Contenance, sackt zusammen auf dem Küchenboden und schreit, endlich, um Hilfe - die Szene ist selbst für Meryl Streeps Verhältnisse noch außerordentlich in ihrer Kraft. "The Hours" ist bewegend, die Emotionen entwickeln geradezu einen Sog.

Daldry beginnt mit dem Ende, der einzigen Sequenz, die herausfällt aus den Stunden - Virginia Woolfs Selbstmord 1941, den sie begeht in einem Augenblick der Klarheit, wie sie mit Steinen beschwert ins Wasser geht, sich ertränkt im Fluss, verwoben mit dem Schreiben ihres Abschiedsbriefs: I'm going mad again, sie fühlt den nächsten Verlust dieser Klarheit heraufziehen, will ihn nicht mehr erleben und keinem mehr zumuten. Nicole Kidman ist am Sonntag mit einem Oscar ausgezeichnet worden für diese Rolle, und schon in diesen ersten Bildern - nichts ist zu hören außer dem Rauschen des Wassers, das lauter und lauter wird - kann man erahnen, wofür sie ihn bekommen hat. Sie spielt Virginia Woolf sehr zurückgenommen, ohne jede Effekthascherei. In einer der schönsten Szenen hockt sie mit ihrer kleinen Nichte am Boden, es ist die Abschiedszeremonie für einen toten Vogel, sie spricht kaum, ganz leise und zaghaft lassen ihre Gesten spüren, wie sie einen seltenen Moment der Verbundenheit zu jemand anderem spüren kann - zu dem Kind, das so traurig ist wie sie selbst. Nicole Kidman hat fürs Hollywood-Kino eine Innovation geschaffen: eine Filmdiva, ein Glamour-Girl ohne Glamour und ohne Allüren.

Schauspielerinnen müssen alles mögliche über sich ergehen lassen für ihre Rollen, aber Nasenvergrößerungen hat es bislang nur als komödiantisches Stilelement gegeben. Kidman hat also, die Bemerkung konnte sich Denzel Washington nicht verkneifen, als er den Oscar-Umschlag öffnete, um eine Nasenlänge gewonnen. Es mag einem albern erscheinen, dass Kidmans aufgepappte große Nase immer wieder zitiert wird im Zusammenhang mit "The Hours" - aber sie ist das Symbol dafür, wie sie diese Rolle angeht und angehen durfte, wie Daldry seine drei Hauptdarstellerinnen insgesamt inszeniert hat: als Figuren, die zufällig Frauen sind. Was zu einem seltsamen Effekt, einem merkwürdigen Missverständnis geführt hat: "The Hours" wird als Frauenfilm wahrgenommen, weil sich so selten ein Film auf drei Frauen konzentriert und sie dabei auch noch so ernst nimmt. Genau deswegen aber kommt etwas ganz Allgemeingültiges dabei heraus - die Ängste, die Distanz zu ihrer Welt und zu ihren Emotionen, die Unfähigkeit, Glück zu empfinden, sind absolut nicht geschlechtsspezifisch. Es ist also geradezu ein Befreiungsschlag, den Daldry da vollbracht hat, denn das Kino erzählt eigentlich nur dann gern von Frauen, wenn es ihre Psyche als geheimnisvolles, manchmal magisches fremdes Territorium verkaufen kann.

"A room of one's own" ... Woolf hat geschrieben über die fehlende Rückzugsmöglichkeit, die Frauen einst hatten - manchmal immer noch haben. Sie hat einen Raum für sich selbst in dieser Geschichte über das Zurückziehen. All diese Figuren leiden darunter, dass man ihnen keinen Platz lässt, an dem sie sich von den anderen und ihrer Wahrnehmung lösen können - den Wunsch nach Distanz bezahlen sie mit schlechtem Gewissen, finden sich aber doch nur in den Beziehungen zu anderen wieder.

Es sind Geschichten der Erschöpfung, die Daldry hier erzählt, von unterschiedlichen Wegen in den Zusammenbruch, und von den unterschiedlichen Arten, diesen Punkt zu überwinden. Die Balance zu finden zwischen Rückzug und Nähe ist ein Entwurf, der dabei herauskommt, die Flucht in den Tod ein anderer. Der traurigste aber ist jener, in dem eine von den dreien jede Bindung kappt, um ihr Leben zu erhalten - oder das, was man Leben nennt.

THE HOURS, USA 2002 - Regie: Stephen Daldry. Buch: David Hare nach dem Roman von Michael Cunningham. Kamera: Seamus McGarvey. Schnitt: Peter Boyle. Musik: Philip Glass. Mit: Nicole Kidman, Meryl Streep, Julianne Moore, Ed Harris, Stephen Dillane, John C. Reilly, Miranda Richardson, Toni Collette, Claire Danes, Jeff Daniels. Highlight Film, 110 Minuten.

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