Film:Szenen einer Kulturstadt

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151 Werke aus aller Welt sind beim Dokumentarfilmfestival zu sehen. Mehrere Arbeiten beschäftigen sich mit Künstlern und Milieus aus München und Bayern, darunter Porträts über Klaus Doldinger und frühe Hip-Hop-Helden

Von Bernhard Blöchl

Die Bässe wummern in den Postgaragen, im Amphitheater im Englischen Garten zieht Shakespeares "Sturm" auf. In der Kneipe "Hopfendolde" üben sich Hobby-Sänger in Kunst-Karaoke, Quadro Nuevo trauern um ihren Freund und Gitarristen. Klaus Doldinger wird 80, und auch Münchens Hip-Hop-Größen greifen lange genug zum Mikro, um über Zeiten aus dem vergangenen Jahrtausend zu plaudern. Gleich mehrere Beiträge des Dok-Fests beschäftigen sich mit Facetten des Kulturlebens in München und Bayern, zeigen junge Strömungen und Altbewährtes, Abseitiges und Populäres. Beim 31. Dokumentarfilmfestival sind bis zum 15. Mai 151 Filme aus aller Welt zu sehen, auf 18 Leinwänden der Stadt. Flüchtlingsfilme sind dabei, politisch Brisantes, menschlich Imposantes. Sechs Werke drehen sich indes um Künstler und Kulturförderer, Independent- und Mainstream-Szenen aus ebenjener Stadt, in der das Dok-Fest über die Bühne geht. Dokumentarfilme, die mal überraschen, mal anrühren, mal neugierig machen auf unentdeckte Kreativsparten.

Bassart - Der dickste Bass der Stadt

Einen Einblick in die Subkultur gibt "Bassart - Der dickste Bass der Stadt". Der Film von Bruno Fritzsche ist das pulsierende Porträt eines Festivals, das 2014 in den Postgaragen hinterm Finanzamt über die Bühne ging und 300 Künstler und 6000 Gäste versammelte - ohne Geld, ohne Profit, wie die Veranstalter stets betonten. "Ein Raumschiff aus Licht, Sound, Mensch und Raum, getragen von mächtigen Basswellen", darum geht er hier. Die Dokumentation erzählt von der Entstehung der "größten Party der Stadt", lässt den Initiator Dominik Markoč zu Wort kommen und begleitet ihn bei den Vorbereitungen, etwa bei der Vorauswahl der Künstler. Der Film zeigt, wie vielfältig und lebendig die Subkultur, geformt aus VJs, DJs, Tänzern und Streetart-Talenten sein kann - wenn man ihr Raum gibt. Man kann darin auch viel über die Kulturstadt München erfahren, angefangen von den Sicherheitsbegehungen des KVR bis zum Dauerbrennerthema der Zwischennutzung. Mit dem Abspann steigt Ernüchterung auf: Die Zukunft sei offen, heißt es da, "Subventionen fehlen". Raum sei vorhanden, aber nicht zugänglich (Premiere am 13. Mai).

Wenn der Vorhang fällt

Von Vergänglichkeit und Wandel handelt auch "Wenn der Vorhang fällt". Benannt nach einem Song der Gruppe Freundeskreis, zeichnet das Film gewordene Lexikon die Geschichte der deutschsprachigen Hip-Hop-Kultur nach, von den Achtzigerjahren bis gestern. In der von Fabian Halbig ( Killerpilze) produzierten Musik-Doku von Michael Münch wird mehr geredet als gerappt: Stars wie Smudo von den Fantastischen Vier oder Samy Deluxe ergründen Wesenskern und Entwicklung ihrer Disziplin, aber auch Vorreiter und Independent-Größen haben ihren Auftritt, darunter Advanced Chemistry oder die Stieber Twins. Aus Münchner Sicht besonders interessant: Main Concept, Fatoni und die klugen Köpfe von Blumentopf sind ebenfalls dabei, um den Geist der frühen Neunziger zu ergründen, um zurückzublicken und poetisch zu werden: "Ich glaube, wenn Hip-Hop eine Person wäre, wäre diese Person auf jeden Fall höchst schizophren und würde im Geschlecht öfter switchen", spekuliert Anton Schneider alias Fatoni, der unter anderen mit der Band Creme Fresh für Wortwirbel sorgte. Umso erstaunlicher, dass im ganzen Film keine Frau mitreden darf, dabei gibt es doch seit vielen Jahren zahlreiche spannende Rapperinnen. Man denke da etwa an Sabrina Setlur oder Nina Sonnenberg alias Fiva, um nur zwei zu nennen (Premiere am 7. Mai).

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(Foto: Dok-Fest München)

Von der Einsamkeit Münchner Karaoke-Helden handelt der Film "Leeres Orchester".

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(Foto: Dok-Fest München)

Klaus Doldinger ist das Porträt "Töne bedeuten mir mehr als Worte" gewidmet, das den Jazzer und Komponisten auf der Bühne, aber auch privat zeigt.

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(Foto: Dok-Fest München)

Der bewegende Dokumentarfilm "Vom Lieben und Sterben" erzählt das Schicksal des ehemaligen Quadro-Nuevo-Gitarristen Robert Wolf.

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(Foto: Dok-Fest München)

Eine Meditation über Schauspieler ist "Sommertheater", eine Hommage an die Münchner Regisseurin Ulrike Dissmann.

Töne bedeuten mir mehr als Worte

Länger im Geschäft als jeder der Protagonisten der Hip-Hop-Studie ist Klaus Doldinger. Der große Jazzer, Saxofonist und Komponist wird in Kürze achtzig Jahre alt. Antje Harries und Uschi Reich haben ihm ein filmisches Porträt gewidmet, das an diesem Freitag seine Premiere im Rio hat. Weggefährten wie Udo Lindenberg ("Er ist ein Gott am Saxofon") tauchen darin auf, Regisseure wie Wolfgang Petersen ("Das Boot") oder Margarethe von Trotta. Die Grande Dame des deutschen Films bescheinigt ihm den "existenziellen Begeisterungsblick". In den Konzert-Bildern und Interview-Sequenzen lernt man zu verstehen, was sie damit meint. Der Film zeigt Privates aus Icking, Biografisches und Archivmaterial, vor allem aber einen zufriedenen, dankbaren Musiker. "Meine Kunst hat sich immer frei entwickelt", sagt Doldinger. Aktuell ist die Produktion auch: Vor wenigen Tagen ist das neue Album erschienen, benannt nach seinem Nachnamen, und die Dokumentation zeigt, wie es entstanden ist. Gastkünstler wie die Sänger Sasha oder Max Mutzke haben in seinem Studio seine Songs neu interpretiert. Helge Schneider ist auch vertreten, er sagt über ihn: "Ein Musiker dieser Qualität ist zeitlos, egal, wie alt der ist. Ich glaube, der glaubt das selbst nicht: dass er schon achtzig ist."

Sommertheater

Ein sehr menschliches Porträt, beseelt von der Hingabe an die Kultur, ist auch dem HFF-Absolventen Maximilian Plettau gelungen. Sein Film über Ulrike Dissmann, die Leiterin des Münchner Sommertheaters, beginnt mit Gartenarbeit. "Mit den Schauspielern ist es wie mit den Schneeglöckchen - sie kommen raus und beanspruchen den ganzen Raum für sich", sagt die passionierte Gärtnerin. Mit Beharrlichkeit und Geduld, ihrer "geheimen Quelle", treibt Dissmann seit 25 Jahren Nachwuchstalente zu Höchstleistungen an. Die Dokumentation, erstmals zu sehen am 8. Mai, zeigt ihr Ensemble bei den Vorbereitungen zu Shakespeares "Der Sturm". Die Aufführungen gingen 2014 im Amphitheater im Nordteil des Englischen Garten über die Bühne. Der Film fließt meditativ dahin, ist eine Hommage an die Kunst, die Natur, vor allem aber an die 64-jährige Protagonistin. Ulrike Dissmann bildet aus ("junge Leute, die lernen wollen"), führt Regie, schreibt die Übersetzungen und auch die Musik zu den Stücken. Zu sehen, wie sie hinter den Kulissen mitfiebert, während im Theater die Schauspieler das Publikum begrüßen, dürfte selbst dem knurrigsten Kulturpessimisten ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Leeres Orchester

Von der Hochkultur im Dämmerlicht in den schummrigen Untergrund: In Münchens Karaoke-Szene führt uns der Film "Leeres Orchester" von Xenia Sigalova (Premiere am 12. Mai). Die HFF-Studentin stellt darin drei Menschen vor, denen das Interpretieren von Hits großes Glück bedeutet. Christina, Eckart und Christof arbeiten im Hofbräuhaus, im Hallenbad, zuweilen auch gar nicht. Nachts, mit dem Funkeln der Discokugeln, blühen sie auf, da werden sie zu selbstbewussten Bühnenmenschen. Sie treten in den Einkaufspassagen am Ostbahnhof auf, in der "Hopfendolde", der "Paradiso Tanzbar". Wie ernst sie ihr Hobby nehmen, zeigt sich in einer Szene, in der sie über Begriffe diskutieren: Ist es "Kunst-Karaoke", was sie da machen, "Könner-Karaoke" oder "Meister-Karaoke"? Ein bisschen ärgert es Christina durchaus, dass sich ihre Disziplin nicht ausbauen, ja, professionalisieren lässt. So ist diese hübsche Außenseiter-Ballade auch ein Film über Rückschläge, Träume und vage Hoffnungen. Eine Milieu-Studie, die ihre Protagonisten nicht vorführt, sondern sie selbst ihr Anderssein vorführen lässt.

Vom Lieben und Sterben

Der bewegendste, schmerzvollste und vielleicht stärkste Film beginnt mit dem Unfassbaren. Man will nicht glauben, was man da sieht. Ein Mann am Telefon, der mit trockener Stimme seine Feuerbestattung in Amerang organisiert. Vorauskasse möglich? Prima. Nichts ist prima, überhaupt nichts! Der Mann kommt einem bekannt vor, er war lange der Gitarrist der musikalischen Weltenbummler Quadro Nuevo. Bis ihn 2008 ein unverschuldeter Autounfall lähmte. Querschnitt. Vom Hals ab. Wenig Hoffnung. "Vom Lieben und Sterben" erzählt von Robert Wolfs Schicksal, von seiner Todessehnsucht und Klarheit, auch von der unerschütterlichen Liebe seiner Lebensgefährtin (Premiere am 9. Mai). Die HFF-Studentin Katrin Nemec hat das Paar sechs Jahre lang begleitet. Ihr Abschluss-Film zeigt einen Alltag mit Pflegemaschinen und Sorgen, einen wachen Geist, der kein Leben in Abhängigkeit haben will. Die beiden reden über den Unfall mit dem Tourbus auf der Autobahn, schauen sich gemeinsam alte Erinnerungen an. "Musik war immer alles", sagt Robert Wolf. Mit ihr wollte er auf- und untergehen. Und so ist dieses Porträt ein auch ein Film über Sterbehilfe, ein bayerisches Liebesdrama ohne Happy End.

31. Internationales Dokumentarfilmfestival , bis Sonntag, 15. Mai, diverse Orte in München, Infos: www.dokfest-muenchen.de, 21 83 73 00

© SZ vom 06.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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