Film:Stadt, Land, Fluch

Anna Martinetz überführt historische Stoffe in die heutige Zeit. Nun kommt der zweite Teil ihrer Trilogie über das Geld ins Kino. Dabei wäre "Onkel Wanja" nach Anton Tschechow beinahe daran gescheitert: am Geld

Von Bernhard Blöchl

Auf Else folgt Wanja. Was mit Arthur Schnitzler begann, findet mit Anton Tschechow seine Fortsetzung. Keine leichte Kost fürs Kino, genau das Richtige für Anna Martinetz.

Seit vielen Jahren arbeitet die Filmemacherin an einer Trilogie über das Geld, einem Projekt, das heraussticht aus dem Kanon der Kollegen, die ihre Werke ebenfalls auf Festivals wie der Diagonale in Graz oder der Berlinale zeigen. Nach der mit dem Preis der deutschen Filmkritik für das beste Spielfilmdebüt prämierten Literatur-Adaption "Fräulein Else" (2013) kommt nun "Onkel Wanja" ins Kino. Wieder Arthouse, wieder mit dokumentarischen Elementen, die Handlung wieder übertragen in die heutige Zeit, wieder mit vertrautem Ensemble um Martin Butzke und Korinna Krauss. Und wieder mit Problemen.

Schriftsteller kennen das, Bühnenmenschen und Filmemacher auch. Da kommt es schon mal vor, dass einen der Stoff einholt, an dem man arbeitet. Dass die Themen des Werks das eigene Leben bestimmen, als wäre Fiktion nur ein Wort. Martinetz liebt die Auflösung von Spiel- und Dokumentarfilmgrenzen, ihr Schwerpunkt beim Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) war der Dokumentarfilm. Diese Vermischung prägt ihre Arbeit. Hier nun sind Originaldialoge aus dem Stück Tschechows (1896) ebenso zu hören wie angeblich echte Telefonate von Bankern aus dem Krisenjahr 2008. Auf eine Realitätsüberlappung hätte die Regisseurin indes gerne verzichtet: Dass es ausgerechnet die im Film thematisierten Banken waren, die ihr Projekt bremsten.

"Der Film stand immer wieder auf der Kippe", sagt Martinetz im Gespräch, bei dem auch ihre Münchner Geschäftspartnerin Toni Nottebohm dabei ist. "Wir sind ja eine junge Produktionsfirma. Es hat sich herausgestellt, dass es fast utopisch ist, eine Bürgschaft zu bekommen." Diese brauchte ihre Firma Noma Filmproduktion, weil der kooperierende Fernsehsender darauf bestanden habe. Erst die Zusage des Film-Fernseh-Fonds Bayern habe geholfen. "Dadurch, dass wir das unabhängige Geld vom FFF hatten, haben wir die Bürgschaft für das andere Geld bekommen. Ist das nicht verrückt? Eigentlich können nur reiche Leute Filme machen. Weil Geld eh da ist. Aber wir wollen ja Geschichten hören von allen Menschen."

Film: Szenen aus einem Landleben: Michael Kranz spielt Telegin (und hat die Filmmusik komponiert), Korinna Krauss ist Sonja, die mit ihrem Onkel Wanja auf einem Gut fernab der Stadt lebt.

Szenen aus einem Landleben: Michael Kranz spielt Telegin (und hat die Filmmusik komponiert), Korinna Krauss ist Sonja, die mit ihrem Onkel Wanja auf einem Gut fernab der Stadt lebt.

(Foto: NoMa Filmproduktion)

An dieser kleinen Episode kann man erkennen, wie viel Geduld Filmemacher zuweilen brauchen, insbesondere bei Nischenfilmen: Seit 2009 arbeitete Anna Martinetz am Drehbuch. Die Finanzkrise 2008 sei ein starker Impuls gewesen, erzählt sie, außerdem der Besuch der Berliner Theateraufführung von "Onkel Wanja" unter der Leitung von Jürgen Gosch. Zur zeitlichen Einordnung: Die Förderung gab es erst 2015; 2016 wurde gedreht. Auf einem Gut in Polen, in der Nähe von Wien, bei Landwirten im Chiemgau, im Allgäu und in der Münchner Region. "Das Interessante daran: Es hat sich überhaupt nichts an der Finanzmisere geändert."

Der Film beginnt mit der Flucht Alexanders (Wolfgang Hübsch) auf das Landgut, wo seine Tochter Sonja (Krauss) bei ihrem Onkel Wanja (Butzke) lebt. Wanja ist Idealist, Alexander Vorstand einer Großbank. Während einer Gala hat Alexander zuvor Kurznachrichten und Anrufe erhalten, die ihn von der "Aktivierung des Banknotfallplans" informierten. Es fielen Schlagwörter wie "sofortige Evakuierung", "Stadt umgehend verlassen", "Freizeitkleidung".

"Jede Bank hat ja so einen Notfallplan", sagt Anna Martinetz. "Wenn die Leute die Bank stürmen, ist geregelt, wie die Bank damit umgeht." Auf die Originalaufnahmen entsprechender Telefonate sei sie bei ihrer Recherche gestoßen: "Die gibt es witzigerweise im Internet. Man kann sie sich anhören, und ich habe sie dann vom Englischen ins Deutsche übersetzt."

Anna Martinetz, Jahrgang 1978, ist eine Meisterin des Transfers. Wie schon bei "Fräulein Else", Schnitzlers Novelle über die Austauschbarkeit von materiellen und immateriellen Gütern, gelingt ihr auch bei "Onkel Wanja" die Überführung eines historischen Stoffes in die heutige Zeit. Bei Tschechow leben die Bauern in Schulden; Martinetz überträgt die schwelende Endzeitstimmung um Herrschaftsverhältnisse und Leibeigenschaft auf das Diktat der modernen Finanzwelt. An den Figurenkonstellationen und Liebeswirren um Sonjas junge Stiefmutter Elena (Julia Dietze) hält die Regisseurin ebenso fest wie an den Leitthemen der Vorlage. "Onkel Wanja" ist ein Film über Stadt und Land, Tun und Nichtstun ("Auf die Taten kommt es an, nicht auf die Worte"). Es geht um Klagen auf hohem Niveau, Dekadenz und die Zerstörung der Natur. Hunde, Pferde, Kühe, Kamele, Affen und Bienen tauchen auf, "es dreht sich ja auch um Landwirtschaft, um eine Art Gleichberechtigung zwischen Tier und Mensch." Gespräche mit Öko-Bauern hat Martinetz ebenfalls in ihren Film montiert. "Wir haben mit ihnen gesprochen, als wären sie Freunde von Onkel Wanja."

Ideen gab es zuhauf, die Regisseurin hat den Überblick behalten. Ihr Film ist toll geworden. Sofern man bereit ist, sich auf die fordernde Kunst einzulassen. Die Kamera bewegt sich fließend, Setting und Kostüme sind hinreißend. Das Ensemble, zu dem auch der Österreicher Manuel Rubey ("Braunschlag") und sein deutscher Kollege Michael Kranz ("Hindafing") gehören, ist ein Glücksfall.

Kranz, der einen Teil der Musik für den Film komponiert hat, sagt über Martinetz: "Anna ist in einem positiven Sinn besessen. Die Option, es nicht zu machen, gibt es bei ihr nicht." Toni Nottebohm ergänzt: "Ein typischer Satz von ihr geht so: Wenn es nicht klappt, machen wir es trotzdem." Dass es auch beim dritten Teil der Trilogie (womöglich "Der Kaufmann von Venedig", "Krieg und Frieden" oder "Stolz und Vorurteil") Probleme geben wird, ist sehr wahrscheinlich. Dass Anna Martinetz ihr Werk vollenden wird, ist noch wahrscheinlicher.

Onkel Wanja, Regie: Anna Martinetz, Mü.-Premiere mit Filmteam, Sa., 19. Mai, 13.15 Uhr, Theatiner

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: